Aus dem Reagenzglas ins Scheinwerferlicht

Die unbekannte Geschichte vom Aufstieg des CBD

Es vergingen Jahrzehnte von der Entdeckung der vorteilhaften Wirkungen des CBD bis zu seiner unglaublichen Popularität. In diese Zeit fiel – von der Öffentlichkeit unbemerkt – ein entscheidender Moment, in dem die Weichen für das Bekanntwerden dieses außergewöhnlichen Inhaltsstoffs des Cannabis gestellt wurden.
Unlängst berichtete die New York Times über ein Treffen und dessen Auswirkungen:

An einem Winterabend im Jahr 2011, lange bevor sich die Regale der Bioläden unter den CBD-Produkten bogen, versammelte sich eine Gruppe von AktivistInnen, ÄrztInnen und SchriftstellerInnen in einem Waldhaus in der Nähe von San Francisco, um über die damals bekannten positiven Wirkungen von CBD zu diskutieren. Die Wissenschaft hatte sich zu diesem Zeitpunkt schon einige Jahrzehnte mit dieser Verbindung befasst, sodass es reichlich Lesestoff über ihre schützenden und zirkulierenden Eigenschaften auf das Nervensystem gab. In Untersuchungen hatte man bereits festgestellt, dass CBD das Wachstum von Krebszellen verlangsamt und die Anzahl von Anfällen, Schmerzen, Angstzustände und Entzündungen verringert. Die Gastgeberin des Abends, Samantha Miller, wollte mit ihren Gästen besprechen, wie man dieses Wissen praktisch anwenden kann. Die Biochemikerin hatte seit ihrem 14. Lebensjahr Cannabis angebaut und gerade einen gut bezahlten Job gekündigt, um ihr eigenes Cannabislabor namens Pure Analytics zu eröffnen. Nach dem Gespräch machte sich die Gruppe daran, lokale Landwirte zu überzeugen, CBD-Sorten zu züchten, und dies in Kalifornien, wo zu jener Zeit das THC dominierte. Gleichzeitig begannen sie, die Öffentlichkeit und die BetreiberInnen von medizinischen Cannabisläden über die Bedeutung von CBD aufzuklären.

Neue Hoffnung für Zehntausende von Patienten

„Wir hatten definitiv das Gefühl, dass am Ende die Menschen, wenn sie diese Sorten verwenden, die gleiche Erfahrung machen würden, wie die Mäuse in den Labors“, sagte der Schriftsteller Martin Lee, der damals an seinem Buch über die Sozialgeschichte von Marihuana arbeitete. Doktor Stacey Kerr, Schatzmeisterin der Society of Cannabis Clinicians, nahm ebenfalls an dem Treffen teil, aber auch ZüchterInnen waren eingeladen. Wade Laughter hatte bereits in den 1990er Jahren mit dem Anbau von Cannabis zur Behandlung seines Glaukoms begonnen.
Lawrence Ringo war ein altmodischer Hippie, der sich als einer der Ersten bei der Zucht bewusst auf hohen CBD-Gehalt konzentrierte. Beide verkauften ihre Sorten zu niedrigen Preisen an kranke Menschen. Und natürlich war auch der Schriftsteller Fred Gardner anwesend, der alle Gäste zusammengetrommelt hatte. Der inzwischen 78-jährige, in Harvard ausgebildete, Antikriegsaktivist schreibt seit Ende der neunziger Jahre in verschiedenen Publikationen über CBD. Seit Jahren war es seine Absicht gewesen, sein Wissen über die CBD-Forschung in die kalifornische Bewegung für medizinisches Marihuana einzubringen, was sich mit der bunten Truppe endlich zu realisieren lassen schien. In den Monaten nach dem Treffen hielt Samantha Miller Hunderte von CBD-Seminaren für ZüchterInnen ab, Dr. Kerr führte informelle Umfragen bei Patient-Innen durch, um die Wirkungen von CBD zu studieren, und Lee hielt auf seinen Reisen entlang der Westküste Vorträge über die auf CBD getrimmten Cannabissamen.

Andere Pioniere des CBD waren jedoch schon vor dieser sagenumwobenen Nacht aktiv gewesen. Bereits 2009 gründeten Fred Gardner und Martin Lee das Projekt CBD, dessen Website ein Jahr später gestartet wurde. Auch heute noch steht es ganz oben an der Spitze, wenn es um Aktivismus und zuverlässige Artikel geht. Als Forschungsergebnisse verfügbar wurden, fanden immer mehr Menschen, deren Symptome sich mit verschreibungspflichtigen Medikamenten nicht besserten, ihren Weg zum CBD. Zu dieser Zeit verließen sich die meisten auf großzügige ZüchterInnen wie Ringo und Laughter, die den PatientInnen ihre CBD-reichen Sorten billig anboten. Gleichzeitig wurden die ersten wunderbaren Heilungsgeschichten über Kinder mit Epilepsie und KrebspatientInnen veröffentlicht. Interviews und Videos, welche die Verbesserung belegten, konnten nicht mehr vom Tisch gewischt werden. Der eigentliche Wendepunkt kam 2013, als der bekannte Neurochirurg Dr. Sanjay Gupta als CNN-Korrespondent über den Fall der damals 6-jährigen Charlotte Figi berichtete, deren schwere, vollständig arzneimittelresistente epileptischen Anfälle durch CBD praktisch beseitigt wurden. In der Folge zogen Hunderte von Familien nach Colorado und Tausende hatten Schwierigkeiten, sich das in dem Beitrag gezeigte CBD-Öl zu beschaffen. Plötzlich wollten alle Cannabidiol, die schlecht entwickelte Regulierungspraxis führte jedoch dazu, dass Fälschungen blitzschnell den Markt überschwemmten.

Ein einsames Molekül für die Massen

Eines der größten Ziele jener besagten Nacht im Waldhaus wurde eindeutig erreicht: Die Menschen kennen jetzt das Cannabidiol namens CBD. Was wir heute auf dem Markt der CBD-Produkte sehen, spiegelt allerdings absolut nicht wider, was den Millers vor einem Jahrzehnt vorgeschwebt hatte. Die US-Bundesregierung erkennt auch heute noch den medizinischen Wert von Cannabis nicht an und führt die Pflanze und das THC in einer Kategorie mit Heroin. Infolgedessen eliminieren die Hersteller das THC vollständig, obwohl mit klinischen Studien wissenschaftlich belegt ist, dass CBD mit einer minimalen Dosis THC am effektivsten wirkt. Dabei handelt es sich um eine so kleine Dosis, die keine Bewusstseinsveränderung auslöst. Das andere Problem sind noch immer die Fälschungen. Die Ende 2018 in den USA eingeführte Verordnung, ähnlich den Vorschriften der Europäischen Union, erlaubt es in allen Staaten Hanfsorten mit einem extrem niedrigen THC-Gehalt von maximal 0,3 % anzubauen. Zu diesem Zeitpunkt boomte die CBD-Branche bereits und die Bundesbehörden konnten erst mit großer Verzögerung mit der Regulierung beginnen. Daher erhielt die Mehrheit der PatientInnen CBD nicht mehr aus den speziell für diesen Zweck gezüchteten Sorten oder entsprechenden pharmazeutischen Präparaten, sondern aus Produkten der Wellnessindustrie. Langsam wurde klar, dass es auf dem Markt viele Tinkturen, Smoothies und Körperlotionen mit angeblich hohem CBD-Gehalt gab, die in Wirklichkeit überhaupt kein CBD enthielten. Und somit ist es kein Wunder, dass viele die gesamte CBD-Industrie für Unsinn und einen riesigen Betrug halten, was auch immer die Forschung über CBD sagt. Die Wahrheit liegt wohl wie immer irgendwo in der Mitte.

Sowohl Miller, die weiterhin ihr Cannabis-Analyselabor betreibt, als auch der Schriftsteller Gardner sind enttäuscht von den weiteren Entwicklungen. Schnell stellte sich nämlich heraus, dass viele, von denen man früher angenommen hatte, sie hätten ernsthafte Absichten, die Botschaft und die Genetik des CBD zu verbreiten, nur reich werden wollten. Wenn man heute den aktuellen US-Markt betrachtet, kann man nicht eindeutig sagen, dass es mehr wissenschaftliche Beweise für die Wirksamkeit der kombinierten Verwendung von THC und CBD gibt als für die von gereinigtem Cannabidiol allein. Wichtig bleibt es festzuhalten, dass PatientInnen die CBD-Fälschungen und die ungeprüften Öle vergessen und nur Sorten und Präparate anwenden, auf welche sich die Menschen um Miller vor fast zehn Jahren geeinigt hatten.

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