Pläne in Rauch aufgegangen

Cannabis in den Fängen von Big Pharma

In der Debatte um die Legalisierung waren die Argumente der BefürworterInnen schon immer die überzeugenderen, aber auch die GegnerInnen hatten einen wichtigen Einwand: Was geschieht, wenn Big Tobacco und Big Pharma in das Marihuana-Business einsteigen? Wollen wir das wirklich? Nun, dieser Moment ist jetzt gekommen: Die großen Tabakfirmen nehmen an der Startlinie Aufstellung.

Die Tabakindustrie hat schwere Zeiten durchlebt. In den vergangenen Jahren verlor das Zigarettenrauchen viel von seiner Popularität, dafür wurden alternative Formen des Tabakkonsums wie das Vaporisieren, das die schädlichen Wirkungen des Rauchens auf einen Bruchteil reduziert, immer beliebter. Bei den US-amerikanischen Jugendlichen wird heute mehr Cannabis geraucht als Tabak, zudem wurden Joints schon immer ohne Tabak gedreht. Während sich gesundheitsbewusste Menschen über diese Entwicklung freuen, bereitet sie den Tabakherstellern Kopfzerbrechen. Philip Morris verkaufte im ersten Quartal 2018 gute fünf Prozent weniger Zigaretten als im gleichen Zeitraum 2017. Verluste versucht man durch Preiserhöhungen abzufangen, was aber in Zeiten der Umsatzeinbußen gefährlich ist. Dieser Trend macht sich natürlich auch bei anderen Zigarettenherstellern bemerkbar, und daher kamen mehrere von ihnen auf die Idee, anstelle einer Preiserhöhung einen innovativen Schritt zu ihrer Rettung zu unternehmen, nämlich auf dem Marihuanamarkt aktiv zu werden.

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Der Schatten des Riesen

Den Anfang machte im Sommer 2018 Imperial Brands (Zigarettenmarke Winston) durch die Kooperation mit der Cannabisforschungsfirma Casa Verde. Man musste nicht lange warten, bis andere folgten: Im Oktober 2018 kaufte die größte amerikanische Tabakfirma, Altria Group (Hersteller von Marlboro und Mutter von Philip Morris), zwölf Prozent des kanadischen Cannabisproduzenten Aphira Inc. Der Marktanteil von Altria war in den vergangenen Jahren um 20 Prozent gesunken, und obwohl die Firma mit neuen Produkten wie der E-Zigarette und dem Vaporizer auf den Markt ging, blieben die Schwierigkeiten bestehen. Die Cannabis-Linie verspricht jedoch Erfolg, denn im Dezember kaufte das Unternehmen 45 Prozent der Aktien eines anderen kanadischen Cannabisherstellers, der Firma Cronos. Nach Meinung von Analytisten ist dies mit einem Volumen von investierten 1,8 Milliarden Dollar der größte Geschäftsabschluss zwischen einer Mainstream-Tabakfirma und dem sich explosionsartig verbreitenden Marihuana-Sektor.

Doch dieses Business beschränkt sich nicht nur auf Tabakgiganten. Das Unternehmen Constellation Brands, bekannt für die Biersorte Corona, kaufte sich 2018 mit 3,8 Milliarden Dollar an Investitionen in die größte kanadische Cannabisfirma Canopy Growth ein. Und damit nicht genug, bekundete auch Coca-Cola sein Interesse am Marihuanamarkt und denkt an die Herstellung von mit Cannabinoiden angereicherten Erfrischungsgetränken. Interesse oder auch Antipathie der Pharmaindustrie im Zusammenhang mit medizinischem Cannabis ist nichts Neues. Ende 2018 wurde Geschichte geschrieben, als die kanadische Firma Tilray, eine sich in Europa mit Lichtgeschwindigkeit ausbreitende Produktionsfirma für medizinisches Cannabis, die Zusammenarbeit mit der multinationalen Pharmafirma Novartis bekanntgab. Innerhalb eines halben Jahres brachten einige Vertragsabschlüsse einen solchen Umschwung auf dem Markt zustande, dass dessen Konsequenzen vorläufig unabsehbar sind. Nach Meinung von Analysten ist unausweichlich, dass bis Ende 2019 die beiden größten Firmen für medizinisches Cannabis voll und ganz in den Besitz der zweitgrößten Tabak-und Alkoholproduzenten übergehen.

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California Dreaming

Vor Jahrzehnten träumten AktivistInnen von einer Legalisierung, bei der kleine Akteure den Cannabismarkt umkrempeln würden, ähnlich wie ZüchterInnen von Gemüse und Obst. Noch bei der Erarbeitung der ersten legalen Modelle wurde klar, dass auch KleinunternehmerInnen die Möglichkeit geboten werden muss, KonsumentInnen direkt zu beliefern und sich an deren Bedürfnissen zu orientieren. In der Zeit der ersten medizinischen Genehmigungen wurde das zum Teil verwirklicht, aber angesichts der Entwicklungen der letzten Jahre sind diese Träume in der Legalisierung, wie wir sie heute kennen, ausgeträumt.

Wenn nun die Giganten der Tabak-, Alkohol- und Pharmaindustrie die Herrschaft übernehmen, werden sie kaum kleinere Akteure auf diesem Spielfeld dulden. Al-tria hält außerdem durch den Vertrieb von Vaporizern und anderen Geräten zum Konsum zwei Eisen im Feuer. Nach Ansicht eines Patentanwalts, der sich auf dem Portal Leafly äußerte, kämpfe Altria auf dem Vaporizermarkt um die Alleinherrschaft. Wenn die Firma erfolgreich ist, wird es bald soweit sein, dass ein Durchschnittsamerikaner in einem Vaporizer von Altria das Marihuana einer Tabakfirma verdunsten wird. Dann wird es sehr schwer sein, Einfluss auf den Markt auszuüben und die Interessen von kleineren Firmen durchzusetzen. Angesichts der globalen Entwicklung der Legalisierungsbestrebungen und der Verpflichtung der Marktakteure ist es nicht überzogen zu behaupten, dass Mitte der 2020er Jahre die ersten europäischen Länder legalisieren werden. Es ist fünf vor zwölf. Noch ist die Drogenpolitik gestaltbar und sind die Regulierungsmodelle beeinflussbar. Jetzt ist es wichtig, jede Chance zu nutzen und die kleinen Unternehmen in eine vorteilhafte Lage zu versetzen, damit nicht ausschließlich Großunternehmen die Früchte der seit Jahrzehnten fälligen Legalisierung ernten.

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