Wenn ein Geschäft beginnt

Grasläden in Colorado eröffnet

Nicht jeder verbrachte den Neujahrstag mit einem Kater und starken Kopfschmerzen. Für die Kiffer in Colorado gab’s auch noch was Besseres zu tun: Viele standen schon am frühen Morgen vor einem der vierzig neu eröffneten Geschäfte Schlange, um als Erste auf gesetzlich sanktionierte Art und Weise Marihuana zu kaufen.

Auch in den in dieser Hinsicht weniger glücklichen Gegenden der Welt war es eine Freude, auf Fotos die weit geöffneten Augen, die strahlenden Gesichter und das zufriedene Lächeln der Kunden an der Kasse zu sehen. Da das 2013 verabschiedete Legalisierungsgesetz nun endlich in Kraft trat, konnten die erwachsenen Bürger von Colorado bei jedem Einkauf pro Kopf eine Unze (28 Gramm) Marihuana erwerben, die Besucher aus anderen Staaten je eine viertel Unze. Obwohl die Preise höher als erwartet ausfielen – an manchen Orten sogar um 10 Euro teurer – brachte der legale Marihuanahandel schon am ersten Tag zu versteuernde Einnahmen in Höhe von einer Million Dollar ein. Von Mittwoch bis zum ersten Wochenende schnellte der Umsatz auf fünf Millionen Dollar hoch, was etwa einhunderttausend Käufern entspricht. Die Zeitungen berichteten schon am ersten Wochenende, dass ein Engpass in der Ganjaversorgung von Colorado eintreten könnte. Doch die Geschäftsbetreiber verkündeten eilig, dass, obwohl sie nicht im Traum mit einem solchen Umsatz gerechnet hätten, noch eine Tonne Marihuana in ihren Lagern bereitstünde und niemand mit leeren Händen nach Hause gehen müsse.

Die Kiffer gaben unterschiedliche Erklärungen dafür ab, warum sie am Neujahrsmorgen so geduldig in den Schlangen vor den Ganjaläden warteten. Die meisten belegten die wohlbekannte Tatsache, dass die Mehrheit der Marihuanakonsumenten gesetzestreu ist und am liebsten auf legalem Wege an den Stoff zum Rauchen kommen will. Zwei Kunden aus Texas erzählten zum Beispiel, dass sie den 20-stündigen Weg nach Colorado nicht auf sich genommen hätten, um endlich hochwertiges Gras kaufen zu können (denn das bekämen sie auch zu Hause), sondern deshalb, um das Gefühl der Freiheit zu erleben, wenn man sich beim Kauf nicht vor der Polizei oder Sicherheitskameras verstecken müsse. Ein anderer Käufer meinte, er rauche Marihuana, seitdem er Teenager sei, also schon seit 34 Jahren, und würde eben deshalb das Erlebnis des ersten legalen Kaufs und Konsums nicht missen wollen. Für die meisten Konsumenten ging es im Grunde darum – obwohl dieser Aspekt selten betont wird, hörten gleichzeitig mit der Legalisierung des Marihuanas Hunderttausende von Konsumenten auf, Gesetzesbrecher zu sein. Mit der Legalisierung von Gras spart der Staat Colorado überdies nach Schätzungen jährlich 12–60 Millionen Dollar für die sinnlose Strafverfolgung ein. Damit gehören auch die mehr als zehntausend Inhaftierungen pro Jahr, die für den Besitz einer heute erlaubten Menge verhängt wurden, der Vergangenheit an.

Nicht nur zur Entspannung

Es spricht Bände, dass der erste legale Marihuanakäufer ein Kriegsveteran war, der im Irak und in Afghanistan Dienst getan hatte, und dem als Folge der Kriegsschrecken Posttraumatische Belastungsstörungen (PTSD) den Alltag vergällen. Nach seinen Bekundungen verbesserten die von Ärzten verschriebenen starken Beruhigungsmittel seinen Zustand nicht so effektiv wie das Marihuana, dessen Gebrauch zudem weniger riskant sei, da es ihn nicht zu einem lebenden Zombie mache und ihn auch nicht zu einer ähnlichen Abhängigkeit wie rezeptpflichtige Beruhigungsmittel führe. Das therapeutische Marihuanaprogramm von Colorado befürwortet jedoch die ärztliche Verschreibung von Cannabis bei PTSD nicht – entgegen eindeutigen Forschungsergebnissen. Daher werden Kriegsveteranen wohl in großer Zahl die Hanfläden aufsuchen. Aber sie sind nicht die Einzigen, die aus gesundheitlichen Gründen die Freigabe des Cannabishandels begrüßen. Nach den Angaben einer medizinischen Organisation kamen bis zur zweiten Januarwoche 100 Familien aus anderen Bundesstaaten als “Therapieflüchtlinge” nach Colorado; etwa weitere 200 Familien planten dies ebenfalls. Viele von ihnen wollen die Krankheiten ihrer Kinder mit Cannabisöl behandeln, weil sich die von den Ärzten verschriebenen Medikamente und Therapien als wirkungslos erwiesen haben. Zurzeit ist jedoch noch nicht geklärt, ob die kurzfristigen Besserungen keine Langzeitschädigungen nach sich ziehen. Beim Entwurf des Legalisierungssystems erhielt der Schutz der Jugendlichen erhöhte Aufmerksamkeit – daher ist der Kauf von Marihuana an das Mindestalter von 21 Jahren geknüpft – gleichzeitig wurde die Frage der Cannabistherapie in der Kinderheilkunde aufgeworfen. Entsprechend verkündete man Anfang des Jahres, dass der Staat Colorado sieben Millionen Dollar für Forschungsstipendien bereitstelle. Ziel ist es, zu prüfen, ob Kinder von einer Cannabistherapie profitieren und ob man langfristig mit Nebenwirkungen rechnen muss. Die hoffnungsvollen Eltern beflügelt in erster Linie der Fall von Charlotte Figi (siehe den Artikel “Mit Marihuana wiedergewonnene Kindheit” in der Oktoberausgabe des Medijuana Magazins, 2013/5 – Der Red.). Sie wurde durch den Gebrauch von Cannabisöl von den Symp-tomen einer seltenen und aggressiven Form der Epilepsie befreit. Das siebenjährige Mädchen, das nach Angaben seiner Eltern vorher täglich mehrere Dutzend Anfälle erlitten hatte, lebt heute ein ähnlich vergnügtes Leben wie seine Altersgenossen. Sie reitet, fährt Ski, malt und tanzt. Doch im Gegensatz zu den vorherigen Medikamenten treten nun keine sichtbaren Nebenwirkungen in Erscheinung. Die Ärzte bemühen sich, die Gemüter zu beruhigen, und rufen Familien, die ähnliche Erwartungen hegen, zur Geduld auf.

Neben dem Highway 420

Die Verkehrsbehörden von Colorado beschäftigt unterdessen ein ganz anderes Problem. Sie haben die Aufgabe, bekiffte Fahrer aus dem Verkehr zu ziehen, wie es schon der Entwurf des Legalisierungssystems vorsah. Eine professionelle Problemlösung gestaltet sich jedoch schwierig, weil den Fahrern der Genuss von Marihuana nicht verboten ist, lediglich das Fahren unter seinem Einfluss. Im Gegensatz zum relativ einfachen Nachweis der Trunkenheit ist der Einfluss von Cannabis bei Weitem nicht so leicht nachzuweisen, denn THC-Rückstände sind sogar noch nach Wochen im Urin feststellbar.

Eine Alternative zu diesem Problem bietet der Cannabis-Tourismussektor Colorados: Hanfliebhaber werden zu den Sehenswürdigkeiten von Denver kutschiert, wobei sie die Möglichkeit haben, die Angebote der Grasläden zu probieren. CNN führte ein Interview mit der Großmutter eines 72-jährigen Kiffers, die ein solches Unternehmen aufzog. Die ältere Dame kauft zunächst die vorgedrehten Joints in einem Laden, dann lässt sie sich mit den zahlenden Rundfahrtgästen in eine Limousine fallen und zeigt der – gemütlich gutes Ganja inhalierenden – fröhlichen Gesellschaft die berühmten Sehenswürdigkeiten der Stadt. Pflichtteil des Ausfluges ist ein ausgiebiges Mahl, das kein Kiffer ablehnen kann. Obwohl der CNN-Reporter behauptet, nicht von dem Joint gezogen zu haben, fand das Gespräch in einer gehobenen Stimmung statt, die er schließlich damit erklärt, dass der Rauch im Auto sicher seine Wirkung entfaltet habe. Diese Begründung führte im CNN-Studio zum Ausbruch allgemeiner Heiterkeit. In Zukunft können wir mit vielen solcher Reportagen rechnen.

Aber um auf den Verkehr zurückzukommen. Es taucht ein weiteres ungelöstes Problem auf: Ruchlose Ganjaraucher stellen eine ernste Gefahr für die Meilentafel 420 auf der Autobahn von Colorado dar. Wer würde nicht gern in seinem Zimmer eine solche Tafel aufhängen und es zur Zone 420 machen? Stimmt´s? Die Kulttafel wurde schon mehrfach abgegriffen. Nun haben die Beamten von Colorado endlich die Bedeutung des Problems erkannt und eine brillante Lösung gefunden. Da es sinnlos ist, gegen den Strom zu schwimmen, haben sie beschlossen, die ominöse Tafel durch eine mit der Zahl 419,99 zu ersetzen. Dazu gratulieren wir hiermit, denn es wäre schwer gewesen, eine bekifftere Lösung zu finden.

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