Warum ausgerechnet 420?

Unterschiedliche Erinnerungen an den Ursprung einer magischen Zahl

Jahr für Jahr, wenn der 20. April näher rückt, stellen viele sich die Frage, was hinter der 420 – der magischen Kultzahl der Kiffer – steckt, die man vielerorts zu sehen bekommt. Warum erscheint in den Themen um diesen bedeutsamen Tag herum immer diese eine Zahl auf, und warum taucht immer wieder ein Mitglied der damaligen Studentenbande auf, der sie auch heute noch verbreitet, obwohl er selbst nicht genau weiß, was sie bedeutet? Die Ursprungsmythen weisen jedenfalls deutliche Abweichungen voneinander auf.

 

Die Story ist nach so langer Zeit wahrlich schwer zu eruieren. Was in den Kreisen der Kiffer-Historiker allgemein bekannt ist und ohne Wenn und Aber akzeptiert wird, ist aber, dass den Kern der Geschichte eine Gruppe von Teenagern namens “Waldos” bildet, deren Mitglieder sich irgendwo in Kalifornien am Louis-Pasteur-Denkmal des Gymnasiums San Rafael regelmäßig nachmittags um 4:20 Uhr treffen, um nach der “Maloche” eine Rakete zu zünden. Diese Geschichte wirft natürlich viele Fragen auf, zuallererst: Warum genau um 4:20 Uhr? Weiterhin: Wie erklärt sich die Verbreitung dieser besonderen Zahl? Und ist es überhaupt sicher, dass es so geschehen ist?

Grateful Dead und der Igel

Was beweist besser, dass der Ursprung der 420 bis jetzt ungeklärt ist, als die Tatsache der parallel kreisenden, unterschiedlichen Erzählungen? 1991 veröffentlichte eine Zeitung einen Artikel, demzufolge die Polizei Ende der 70er Jahre die Zahl 420 als Codewort für den Marihuanahandel benutzte. Nach dem Hörensagen ermunterten sie sich beispielsweise mit: “420 ist in Arbeit” oder “Schnappen wir uns einen 420er!” Als die Kiffer den Ausdruck decodiert hatten – wie die Demonstranten bei uns den im Polizeijargon benutzten Ausdruck “Igel” – drehten sie noch ein bisschen an der Story und machten eine Gewohnheit aus dem Kiffen nachmittags um 4:20 Uhr. Kurz darauf erhoben sie den 20. April (04.20.) zum Feiertag des Marihuanas. Das alles könnte eine ausreichende Erklärung für den Ursprung der magischen Zahl sein, hat aber einen Schwachpunkt: Es hat nichts mit der Wahrheit zu tun. Steve Capper, ein Mitglied der “Waldos”, berichtete jedenfalls Ende der 90er Jahre etwas ganz anderes. Nach seiner Version war der Gymnasiastengruppe der “Waldos” zu Ohren gekommen, dass ein Bereitschaftspolizist der Küstenwache überfordert war und die ihm unterstellte Marihuanaplantage nicht mehr bewachen konnte. Im Besitz der dazugehörigen Koordinaten beschlossen die Teenager, den Ort aufzusuchen, um ein wenig kostenloses Gras zu ernten.

Ihr Plan war der folgende: Treffpunkt nach dem Training am Pasteur-Denkmal in der Nähe der Schule und Sondierung des Geländes mit dem Auto. Das erste Pfadfinderprojekt brachte jedoch keinen Erfolg: “Wir haben uns um 4:20 Uhr getroffen und in einen alten 66er Chevy Impala geworfen. Natürlich haben wir sofort was geraucht. Das ging auf dem Weg nach Point Reyes so weiter und dort angekommen auch, ohne Unterlass. Wir wiederholten das regelmäßig jede Woche, fanden aber nie die erhoffte unbewachte Parzelle”, erzählte Capper, das ehemalige Mitglied der “Waldos”. Aber es gelang ihnen, den Codeausdruck “420” zu prägen. Wenn sie ihn benutzten, hatten Lehrer und Eltern keinen Dunst, was die Jungs bekakelten. Die Verbreitung des Ausdrucks sei dem Umstand zu verdanken, dass einige von ihnen Kontakte zu der legendären Hippieband Grateful Dead unterhielten und oft zu ihren Proben gingen, wo sie sich gemeinsam bekifften. Den Slangausdruck übernahmen die Musiker, die in den 60er und 70er Jahren ausgiebig kreuz und quer durch die USA tourten. Als die High Times über den Ausdruck stolperte, beschloss sie, an seiner Verbreitung mitzuarbeiten. Später kaufte sie mit einem guten Riecher auch die Webseite 420.com.

Noch einen Dreh weiter

Nachdem alle zufrieden waren, endlich die wahre Geschichte der “420” erfahren zu haben, tauchte Anfang der 2000er Jahre ein gewisser Brad Bann (alias Bebe) auf, der behauptete, dass das obige Märchen etwas hinke und er in Wirklichkeit der geistige Vater des Ausdrucks “420” sei. Dazu sagte er, die wahre Geschichte sei bei Weitem nicht so fesselnd wie die mit dem Auto und der Polizei, aber was könne man machen, wenn es nun mal so geschehen ist. Nach seiner Erzählung bereiteten sich Bebe und zwei seiner Kumpels an einem Samstagnachmittag im Oktober 1970 gerade auf eine Bong-Séance vor, als er auf die Uhr schaute und aufschrie: “Es ist 4:20 Uhr – Zeit, die Bongs zu stopfen!” Danach bekifften sie sich, was das Zeug hielt, mixten Musik und Samples. In einem Sample hieß es in Anlehnung an Abraham Lincoln: “Four point and twenty years ago …” – “Vor 4 Punkt 20 Jahren”. Worüber Lincoln sprach, ist gleichgültig. Es genügte dazu, dass “420” sich als Codewort im Bekanntenkreis verbreitete. Andere Zahlen wurden ausprobiert, aber 420 (four-twenty) ging leichter über die Lippen als jede andere Kombination. Und weil sie einen Code brauchten, mit dem sie sich vor Nicht-Kiffern über ihre Absichten verständigen konnten, kam ihnen “420” gerade recht. Und daraus machten sie einen Sport, wie es sich für echte Halbwüchsige gehört, z. B.: “Hast du ein bisschen vier-zwanzig?”, “Das vier-zwanzig haut gut rein!” oder “Mann, ich hab mich gut be-vier-zwanzigt!” Vielleicht muss gar nicht mehr erwähnt werden, dass beim Countdown “4-2-0” gezählt wurde, und nicht “3-2-1”. Nach Bebes Version hätten sich die “Waldos” weder bei der Namensgebung noch bei der Verbreitung des Slangs bleibende Verdienste erworben. Nein, seinem Aktivismus sei es zu verdanken, dass aus einer einfachen verschlüsselten Nachricht der 20. April zum internationalen Feiertag der Kiffer wurde und auch viele berühmte Ganjasorten wie 420 Colombo und 420 Thai entstanden. Letztes Jahr – 42,0 Jahre nach der Geburt des Ausdrucks – machte sich Rob “420” Griffin – Autor zahlreicher Hanfmagazine und Produzent des Dokumentarfilms “Die Wiederentdeckung der Nutzpflanze Hanf” (engl.: “The Emperor Wears No Clothes”) aus dem Jahre 2009 – die Mühe, Bebes ehemalige Kumpels aus der High School anzurufen, um ihre Version der Geschichte zu erfahren. Nach zehn Interviews stellte er fest, dass er auch nach zwanzig Jahren Forschungsarbeit die Wurzeln des Ausdrucks “420” nicht endgültig und unzweifelhaft aufgedeckt hatte. Was zuerst da war, auf diese Frage fehlt bis zum heutigen Tage eine eindeutige Antwort. Das ist aber bei einem Abstand von zwanzig Jahren auch nicht verwunderlich, da sich wohltuender grüner Dunst über die Details der Geburt der Legende gesenkt hat.

Aber jeder 420er weiß, was er um 4:20 Uhr zu tun hat.

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