Verfehlte medizinische Programme

Wenn die Interessen der PatientInnen in den Hintergrund geraten

Komplizierte Verwaltungsverfahren, fehlerhafte Gesetze, Vorrang für Unternehmensinteressen – dies sind nur einige der üblichen Fehlerquellen bei medizinischen Cannabisprogrammen. Jede Regierung sollte sich darüber im Klaren sein, dass die Regulierung verbessert werden kann und sollte.

In unseren Kolumnen haben wir oft argumentiert, dass die Durchführung von medizinischen Cannabisprogrammen nicht nur im Interesse der PatientInnen, sondern der gesamten Gesellschaft ist. Selbst wenn wir gesund sind, kann bei uns oder einem unserer nahen Verwandten jederzeit eine Krankheit diagnostiziert werden, bei der nach dem heutigen Wissensstand Cannabis die beste Therapie bietet. Es ist ermutigend, dass – wenn auch langsam – immer mehr Regierungen auf der ganzen Welt diese Notwendigkeit verstehen und entsprechende Programme starten. Es ist nicht ungewöhnlich, dass nach einer lautstarken Ankündigung unerwartete Hindernisse auftauchen und die Interessen der PatientInnen im Entwurfs­prozess in den Hintergrund geraten und am Ende ihre Bedürfnisse überhaupt nicht erfüllt werden. Wir haben zwei abschreckende Beispiele ausgewählt, aus denen man seine Lehren ziehen sollte, die Liste könnte man noch lange fortsetzen. Diese beiden Modelle veranschaulichen anschaulich, welche Fehler man bei der Entwicklung eines medizinischen Cannabisprogramms vermeiden sollte, und sie zeigen auch, dass eine verfehlte Praxis im laufenden Betrieb erheblich verbessert werden kann.

Kolumbianischer Traum

„Wo sind, vier Jahre nach Inkrafttreten des kolumbianischen medizinischen Cannabisprogramms, die Patienten?“ fragt in einem Artikel vom Juli 2020 die medizinische Cannabisforscherin Dr. Paola Cubillos, Vorstandsmitglied der Asociación Médica Colombiana de Cannabis Medicinal. Und tatsächlich ist es so, als sei die Zeit stehen geblieben, nachdem die kolumbianische Regierung am 6. Juli 2016 ein Gesetz unterzeichnet hat, das Senator Juan Manuel Galán für den medizinischen und wissenschaftlichen Gebrauch von Cannabis vorgelegt hatte. Erst Ende März dieses Jahres, gleichzeitig mit der Coronavirus-Quarantäne, erhielten die ersten sieben PatientInnen in Bogota Cannabis, das in Kolumbien hergestellt und verarbeitet wurde. Warum aber dauerte es in Kolumbien, wo Cannabis eine hundertjährige Geschichte hat und wo schätzungsweise 6 Millionen potenzielle PatientInnen leben, vier Jahre? Die Geschichte ist für alle lehrreich: Nach der Unterzeichnung des Gesetzes wurde das Land weltweit als Mekka für Cannabis angesehen: Das Klima ist perfekt für den Anbau, die Arbeitskräfte sind billig und oft im Anbau erfahren und das Land hat eine große landwirtschaftliche Tradition. Millionen an Investitionen kamen hauptsächlich von kanadischen Unternehmen, welche die Kontrolle über den gesamten Prozess übernahmen, vom Saatgut über die Verarbeitung der Blüten bis zur Herstellung der Präparate. Und obwohl man viele Argumente gegen den von Giganten monopolisierten Markt vorbringen könnte, hätte Cannabis den PatientInnen etwa innerhalb eines Jahres zur Verfügung stehen können. Die Geschichte nahm jedoch einen anderen Verlauf.

Da das verabschiedete Gesetz nicht jedes Detail abdeckte, wurden Jahr für Jahr neue Vorschriften erlassen, beispielsweise über den Antrag von Produktionsgenehmigungen, über die Arten von Cannabis, die für therapeutische Zwecke eingesetzt werden dürfen, oder über das Verfahren zur Registrierung von Saatgut. Erst im Jahr 2020 wurde eine Verordnung über die Vermarktung von verschreibungspflichtigen humanmedizinischen Präparaten verabschiedet. In der Zwischenzeit wurden die Anleger ungeduldig und überdachten ihre Optionen. Einer von ihnen, Khiron aus Kanada, war der Meinung, die Vermarktung von Cannabispräparaten könne 2019 beginnen, entschloss sich jedoch 2019 zum Export nach Kanada und Deutschland statt kolumbianische PatientInnen zu versorgen. Deren Frustration und Abkehr ist verständlich, da es in Kolumbien nach drei Jahren lediglich gelungen war, Kosmetika auf Cannabisbasis zu vermarkten. Im März dieses Jahres gab es einen kleinen Durchbruch mit der Versorgung der ersten sieben kolumbianischen PatientInnen. Es bleibt nur zu hoffen, dass die ÄrztInnen bis Ende des Jahres mehr PatientInnen Cannabisblüten verschreiben können.

Tschechisches Update

Wenn wir in Europa nach einem Präzedenzfall für eine verfehlte Praxis suchen, werden wir kein besseres Beispiel als das der Tschechischen Republik finden. Sie war einer der ersten Staaten auf dem europäischen Kontinent, der im April 2013 sein medizinisches Cannabisprogramm unter Mitwirkung exzellenter Fachleute startete. Alle setzten daher große Hoffnung in das Programm, aber die Umsetzung wurde durch administrative Umstände, Wissenslücken und hohe Kosten behindert.

Rückblickend können wir sagen, dass das Land im Jahr 2013 nicht für ein derart fortschrittliches Programm bereit war, das zudem sehr bürokratisch umgesetzt wurde. Beispielsweise müssen ÄrztInnen, die ihren PatientInnen Cannabis verschreiben wollen, einen langen und umständlichen Prozess durchlaufen, der offensichtlich viele abschreckt. Dies hatte zur Folge, dass sich bis 2017 insgesamt etwa zwei Dutzend ÄrztInnen dieser Aufgabe gestellt haben und das in einem Land mit 10 Millionen EinwohnerInnen. Andererseits unterstützte die Sozialversicherung lange Zeit medizinisches Cannabis nicht, sodass bedürftige PatientInnen nicht in der Lage waren, ihre 10 bis 20 Gramm pro Monat zu kaufen. Die Bürokratie traf aber auch die ProduzentInnen. Einige Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes wies die staatliche Behörde für medizinisches Cannabis aus administrativen Gründen mehr als 20 kg Cannabis in medizinischer Qualität zurück, was den Hersteller abschreckte und die PatientInnen ihrer Medikamente beraubte.

Das tschechische Beispiel ist dennoch positiv, da das Land in der Lage war, seine Praxis zu ändern und sein Programm in der Reaktion auf die Fehler zu verbessern. Zwischen 2017 und 2018 hat sich die Zahl der PatientInnen verdreifacht und wächst immer noch dynamisch. Und während den PatientInnen im Jahr 2017 nur 2,5 kg Cannabis verschrieben wurden, ist diese Menge bis 2019 bereits auf 17 kg gestiegen! In diesem Jahr wurden bereits in der ersten Jahreshälfte 26,8 kg Cannabis in Apotheken verkauft, während die Zahl der PatientInnen im Juni 2020 bei über tausend lag. Das Gesundheitsministerium hatte im Februar 2019 bekannt gegeben, dass es bis zu 90 % der Kosten für Therapien auf Cannabisbasis bei bis zu maximal 30 Gramm pro Cannabis-Blütenstand übernehmen würde. Sie erleichterten den ÄrztInnen auch die Registrierung, deren Anzahl in diesem Jahr bereits auf 162 gestiegen ist. Die Situation hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert, aber es gibt noch viel Raum für Verbesserungen. Wenn wir zum Beispiel den Bundesstaat Michigan, in dem 2008 das Medical Cannabis Licensing Act verabschiedet wurde, mit einer ähnlichen Bevölkerungszahl betrachten, sehen wir, dass dort nicht tausend, sondern 250.000 PatientInnen verschreibungspflichtige Cannabispräparate kaufen können. Aber auch in Europa zeichnet sich ein ähnliches Bild ab: In Deutschland, wo das Gesetz zur Genehmigung von medizinischem Cannabis vier Jahre später in Kraft trat, erhielt die achtmal größere Bevölkerung im Jahr 2019 dreihundertmal so viel medizinisches Cannabis. Auch wenn der Präsident der Tschechischen Pharmazeutischen Gemeinschaft erklärt, dass die Cannabis-Therapie nur für eine kleine Anzahl von PatientInnen eine Alternative darstellt, zeigen gut funktionierende Programme, dass Cannabis einen wichtigen Platz auf der Liste der Primärtherapien einnimmt. Es bedarf lediglich einer ordnungsgemäßen Regulierung.

text: Tomas Kardos

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