Verbotene Genüsse

Warum wir nicht ehrlich über Gras sprechen

Die üblichen Aufklärungsheftchen und Pressematerialien stellen die unangenehmen Wirkungen des Cannabis in den Vordergrund und erwecken so den Anschein, es bewirke ausschließlich Schreckliches. Insbesondere wegen zweier namhafter Forscher bekommen wir kein realistisches Bild davon vermittelt, welche Funktion Marihuana für den Menschen erfüllen kann, und ihnen ist es auch zu verdanken, dass den sogenannten problematischen KonsumentInnen keine erfolgreiche Therapie angeboten werden kann.

„Cannabis vermindert Denkfähigkeit und Koordination, es ruft Angststörungen und unangenehme Gedanken hervor. Und als sei das nicht genug, führt es zur Abhängigkeit, die das Opfer schließlich zum Gebrauch härterer Drogen treibt.“ Sind diese unzutreffenden Behauptungen zum Thema Cannabis, wie man sie in Klassenzimmern zu hören bekommt, nicht hinreichend bekannt? Als Mittelschüler habe ich nie verstanden, warum die älteren Mitschüler Gras rauchen, wenn sie doch schon aus Erfahrung wissen, dass es eine negative Wirkung hat und dem Unglücklichen immer wieder die gleichen Schreckensbilder vorspiegelt. Dann plauderte ich mit ihnen und rauchte meinen ersten Joint. Ich muss nicht anmerken, dass ich nichts von den oft erwähnten negativen Wirkungen verspürte. Von dem Arsenal an angenehmen Erlebnissen erwähnte die Fachliteratur höchstens das Gelächter. Ist es ein Wunder, dass sich danach mein Vertrauen in alle Aufklärungskampagnen vollkommen verlor? Und ist es ein Wunder, dass nach mehrmaligem Gebrauch die angenehmen Wirkungen überraschten?

Von einem ähnlichen Zwiespalt berichteten Mark Monaghan, Dozent für Kriminologie und Gesellschaftspolitik an der Universität Loughborough, und Ian Hamilton, Dozent für mentale Gesundheit an der Universität York. Das Autorenpaar macht in einer Publikation in der Zeitschrift Volteface darauf aufmerksam, dass, redeten wir auch über die angenehmen Erlebnisse beim Marihuanakonsum, die Nachrichten und Informationen zur Gesundheitsaufklärung über das Kiffen ausgewogener wären. Das würde die Glaubwürdigkeit verstärken, mehr Menschen erreichen und ProblemkonsumentInnen würden sich mit realistischen Erwartungen zu einer Therapie entschließen. Fixiert man sich nur auf die Schäden, versteht man die Konsummotivation nicht. Kurz gesagt: Die vollkommene Kenntnis der angenehmen Seiten und der Vorzüge des Cannabisrauchens wäre auch im Interesse der allgemeinen Gesundheit und politisch anwendbar und würde einen Beitrag zur Entwicklung wirksamerer Behandlungsmethoden leisten.

Was ist der Nutzen bezüglich eines kontrollierten Cannabiskonsums? – Das frage ich mich beim Lesen des Artikels, aber die Argumentation ist klar: Zuerst zeigen die Forscher auf, dass viele KonsumentInnen auf der Suche nach bewusstseinserweiternden Erlebnissen beim Kiffen hängenbleiben. Cannabis stimuliert zahlreiche Gefühle auf physischer und geistiger Ebene – manche sind von den intensiveren Farben, andere von den aufkommenden kreativen Gedanken begeistert. Diese angenehmen Erlebnisse bleiben bei vielen, die ihren Konsum kontrollieren können, erhalten, während sie bei anderen durch permanenten Konsum verbleichen und dadurch die Waagschale sich zum problematischen, zwanghaften Gebrauch neigt. Bestenfalls suchen sich die Problemfälle Hilfe, im schlechtesten Fall erleben sie ihren eigenen unkontrollierten Gebrauch als Gefängnis, was ständigen Stress und alarmierende psychische Symptome hervorrufen kann. In der Art ihres Konsums unterscheidet sich diese Gruppe scharf von jenen, die weniger kiffen oder vollkommen damit aufhören, sobald die Wirkung abflaut. Nach der Untersuchung von Monaghan und Hamilton liegt der Anteil problematischer KonsumentInnen bei 9 Prozent; sie konsumieren 73 Prozent des insgesamt verbrauchten Cannabis!

Es gibt keine maßgeschneiderte Therapie

Es ist charakteristisch für problematische KonsumtentInnen, dass sie arm an sozialen Kontakten sind, was ein auslösender Faktor des übertriebenen Gebrauchs ist, nicht seine Auswirkung. Die meisten der angebotenen Behandlungen sind problemorientiert, das bedeutet, dass sie sich auf Konsumprobleme, Menge und Häufigkeit des Konsums konzentrieren. Nach Ansicht der Autoren müsse man der Isolierung und der Ausgegrenztheit der Betroffenen größere Aufmerksamkeit widmen. Denn diese zwei Faktoren fühtren zum Festhalten am Kiffen. Die gegenwärtigen Therapien unterliegen nach Ansicht der Autoren dem Irrtum, dass sie den angemessenen Umgang mit dem Verlangen und mit prekären Situationen lehren, aber den Genuss außer Betracht lassen, den der Konsum den Menschen früher bereitet hat. Wenn der Therapeut sich auch über diese Seite im Klaren sei, könne er ein besseres Verhältnis zu seinen PatientInnen entwickeln, verstehe die Motivation besser und könne Ratschläge zur Lebensführung anbieten, die über das reine Neinsagen hinausgehen. Wenn das Ziel lediglich die Abstinenz sei, dann könne die Behandlung auch dann als erfolgreich bezeichnet werden, wenn die persönlichen Probleme des Patienten nicht gelöst werden und er nicht befähigt wird, die Genüsse in sein Leben einzufügen. Deshalb sei es wichtig, die Quellen der Freude zu verstehen, die Cannabis biete, damit es auf eine andere Art wieder in den Alltag zurückkehren könne.

Beim Alkohol werden die positiven und negativen Wirkungen viel klarer herausgestellt. In der Werbung werden natürlich die Genüsse hervorgehoben und mit der Erwähnung der Missbrauchsschäden kontrastiert. Nach Meinung von Monaghan und Hamilton müsse man sich auf ähnliche Weise mit dem Cannabiskonsum auseinandersetzen – ohne die Furcht, diese Botschaft könne als Aufforderung verstanden werden. Es sei eine falsche Botschaft, den Genuss zu verleugnen, den die KonsumentInnen erfahren.

Wenn wir das vollständige Bild sehen, dann können wir auch in Problemfällen effektivere Hilfe anbieten. Ein Jugendlicher, der allumfassende Informationen erhalten hat, wird dann bei einem angenehmen Kiff-erlebnis nicht das Gefühl haben, dass man ihn unter dem Hinweis auf die Gefahren darum betrügen wollte, vielmehr wird er einsehen, dass bei maßvollem Konsum angenehme Erlebnisse dominieren. Mehr muss man nicht wissen, um Cannabis, Alkohol und andere Genussmittel richtig zu benutzen.

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