Überholte Vereinbarungen

Mit Experimenten zur Akzeptanz der Legalisierung

Die UN-Drogenvereinbarungen haben praktisch auf dem gesamten Planeten Gültigkeit und verbieten in mehreren Punkten den Gebrauch von Cannabis zur Entspannung. Trotzdem wächst die Zahl der Länder, in denen die nationale Gesetzgebung diese Vereinbarungen augenscheinlich modifiziert. Welche Tricks werden benutzt und mit welchen Methoden kann man die Gültigkeit der Vereinbarungen aushebeln?

World Leaders Address The UN General Assmebly

In zahlreichen Ländern wurden schon resolute Schritte zur Cannabisregulierung unternommen, mit denen vom vollkommenen Verbot und der Anwendung der Strafgesetze Abstand genommen wird. Mit Ausnahme der vollständigen Legalisierung hat jeder UN-Mitgliedstaat schon heute gewisse Freiheiten in Bezug auf die UN-Drogenvereinbarungen: Sie können nicht nur die Rechtsprechungspraxis, sondern auch das Strafmaß bestimmen, Konsummotivationen unterscheiden und den therapeutischen Gebrauch gesondert beurteilen, um kranken Menschen rechtliche Sanktionen zu ersparen. Solche Gesetzesänderungen beziehen sich nur auf das entsprechende Land und müssen von den übrigen Mitgliedstaaten nicht gutgeheißen werden.

Die Vereinbarung von 1961 zog einen Schlussstrich unter den Anbau und den Handel mit Cannabis. 1971, zehn Jahre später, setzte die Konvention über psychotrope Substanzen das THC auf die Liste der regulierten (d. h. verbotenen) Stoffe, daher stehen seit 45 Jahren die Cannabispflanze und ihr Wirkstoff auf verschiedenen Listen. Das bereitet den Staaten, die als Unterzeichner der Konvention den Cannabiskonsum und -handel legal regulieren wollen, Kopfzerbrechen. Einstweilen bleiben nur gewagte Aktionen einiger Länder, die diese Aufgabe damit erfolgreich gemeistert haben.

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Hunde, die bellen, beißen nicht

Wenn wir in die Geschichte zurückblicken, stellt sich die Frage, warum die UN es zulassen, dass ihre Mitgliedstaaten die Vereinbarungen aus den Jahren 1961, 1971 und 1988 verletzen, obwohl sie für die Gesamtheit der Mitgliedstaaten verbindlich sind. Wie konnten einige Staaten als Unterzeichner der bombensicheren UN-Abkommen den Handel mit Cannabis legalisieren? Auf der Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen zum Weltdrogenproblem konnten dieses Jahr mehrere Länder ihre Vorstellungen einer Cannabisregulierung präsentieren – Kanada und Jamaika den Plan zur vollkommenen Legalisierung. Und es folgte kein Donnerwetter seitens der Sitzungsleitung hinsichtlich der in den Vereinbarungen einst eingegangenen Verpflichtungen, lieber hielten sie sich die Ohren zu und bekannten sich zur Fortsetzung der bisherigen Praxis. Verständlicherweise denken immer mehr Staaten mit Blick auf die Steuereinnahmen durch die Legalisierung in Colorado einerseits und dem Herumdrucksen der UN andererseits, dass man das Cannabis von der Liste der streng verbotenen Drogen nehmen sollte. Die Frage ist jedoch, ob eine alternative Regulierung nicht die Daseinsberechtigung der Drogenvereinbarungen insgesamt aushebelt. Wann kommt der Punkt, an dem man nicht mehr die Augen davor verschließen kann, dass die momentane Praxis unhaltbar ist? Viele hatten gehofft, dass schon die diesjährige UNGASS eine Wende bringen würde und die 50 Jahre alten Abkommen mit ihren überkommenen Ansichten von neuen Vereinbarungen abgelöst würden, die den Ländern bei der Drogenregulierung freie Hand ließen. Sie wurden enttäuscht. Es ändert nichts, dass die Drogenleitlinie in jeder Hinsicht angeschlagen ist, der offizielle Standpunkt beharrt weiterhin auf dem Verbot, doch wenigstens gelangte die medizinische Betrachtungsweise in den Vordergrund.

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Tipps und Tricks für die Legalisierung

Um Abhilfe zu schaffen und die unhaltbar gewordenen Vereinbarungen weiter zu untergraben, haben die Drogenreformorganisationen eine Leitlinie für jene Mitgliedstaaten erstellt, die dem Schwarzmarkt das Cannabis aus der Hand nehmen und stattdessen einen legalen Handel ermöglichen wollen. Auch die UN sind an einer gemeinsamen Lösung interessiert, damit weitere Legalisierungen – nach einigen Staaten der USA und Uruguay – das zweifelhafte Abkommen nicht weiter erodieren lassen. Wenn wir das Beispiel der Philippinen beiseitelassen – wo der Präsident bereit ist, alle Mitgliedschaften und Vereinbarungen über den Haufen zu werfen, um nach Lust und Laune seine Drogen konsumierenden Landsleute töten lassen zu können – kann die UN mit Recht darauf vertrauen, dass die Länder, die bei der Cannabislegalisierung eigene Wege gehen, die übrigen Abkommen der Internationalen Organisation – beispielsweise jene zum Völkermord und zu den Atomwaffen – weiterhin einhalten. Abgesehen von hartgesottenen ExtremistInnen ist es unwahrscheinlich, dass jemand wegen des Drogenabkommens der Weltgemeinschaft den Rücken kehrt, daher ist es für die UN vielleicht besser, keine Spannungen zu schüren. Trotzdem kann es nicht bis in alle Ewigkeit so weitergehen. Eine Möglichkeit wäre, die Abkommen zu modifizieren, wozu natürlich ein Konsens nötig wäre, der beispielsweise zwischen der Drogenpolitik von Singapur und Kanada nur schwer vorstellbar ist. An dieser Unmöglichkeit litt auch die diesjährige UNGASS. Vergebens war der Versuch der lateinamerikanischen Staaten, in denen eine Legalisierung den tobenden Drogenkrieg beschwichtigen würde, eine Sitzung zur Abmilderung der gemeinsamen Regelung zu initiieren. Das berührte China und Indonesien nicht im geringsten. Abgesehen davon, dass es nicht gelang, die Mitgliedstaaten zur Genehmigung einer legalen Reglementierung zu bewegen, reicht es nicht einmal zu einem gemeinsamen Auftreten gegen die Todesstrafe! Der bolivianische Präsident Evo Morales hatte schon vorhergesehen, dass der Konsens der Mitgliedstaaten nur ein Traum ist und es keine Chance gibt, dass alle Mitgliedstaaten seinen Standpunkt zu den Kokablättern akzeptieren. Da in Bolivien das Kokakauen seit Jahrtausenden ein alltäglicher Brauch ist, kann logischerweise niemand erwarten, dass der Staat unter Berufung auf den Kokainhandel seine ansonsten gesetzestreuen und unschuldigen BürgerInnen in die Zange nimmt. Die UN-Konvention aus dem Jahre 1961 verlangt das dennoch. Was Morales tat, ist beispiellos: 2011 kündigte er die Drogenkonvention auf und ein Jahr später nahm er sie wieder an, wobei er die Bestimmungen zum Koka als für sein Land nicht mehr verbindlich betrachtete. Der Marihuanakonsum ist zwar auch Bestandteil der Kultur vieler Länder, aber für das Marihuana war bisher kein einziger Mitgliedstaat bereit, das Gleiche zu tun. Vielleicht, weil im Gegensatz zum Koka der Cannabisgebrauch mehr oder weniger alle Mitgliedstaaten betrifft und es absolut nicht sicher ist, dass die übrigen Mitgliedstaaten einen solchen Versuch passiv unterstützen würden. Es ist fraglich, ob immer und in allen Dingen alle am gleichen Strang ziehen müssen oder ob man nicht ohne Erlaubnis ein wenig in eine andere Richtung voranschreiten kann. Immer mehr Sachverständige drängen zur Einsicht, dass die Drogenstrategien in den Ländern der Welt zu unterschiedlich seien, um gemeinsame Normen für alle zu entwickeln. Daher müssen die UN zu der Einsicht gelangen, dass einheitliche Drogengesetze keinen solchen gemeinsamen Wert darstellen wie etwa das Verbot von Atomwaffen und man daher die Möglichkeit zum Experimentieren anbieten müsste. Das würde auch dazu beitragen, dass anstelle eines qualvoll erreichten Konsens, der weder Fisch noch Fleisch ist, sich jeder selbst ein Bild von den Ergebnissen einer mutigen und progressiven Drogenpolitik verschaffen und aufgrund realer Erfahrungen entscheiden kann, welcher Weg eingeschlagen wird.

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