Tonnenweise Blüten für die PatientInnen
Das deutsche medizinische Cannabisprogramm – heute und morgen
Ersten Angaben zufolge kommt das deutsche Programm für medizinisches Cannabis in Schwung. Obwohl immer mehr PatientInnen in den Genuss von Cannabis kommen, erhalten viele keine Unterstützung ihrer Krankenkasse. Den Import aus Holland und Kanada werden in Zukunft auch Blüten aus Deutschland ergänzen.
Nach einer Debatte im Januar 2017 beschloss das deutsche Parlament, medizinisches Cannabis zugänglich zu machen. In der Praxis bedeutet das, dass ÄrztInnen seit Januar 2017 PatientInnen Cannabis verschreiben können. Dadurch wurde es möglich, bei medizinisch begründeten Symptomen Cannabis einzusetzen. Jedoch übernehmen die Krankenkassen nur dann die Kosten für 20–25 g Cannabis, wenn bei den PatientInnen alle anderen traditionellen Therapien nicht angeschlagen haben. Das deutsche System wurde jedoch scharf kritisiert, weil es nur etwa 15–20.000 PatientInnen von der Krankenkasse subventioniertes Cannabis bereitstellt. Alle übrigen bleiben wegen des hohen Preises von medizinischem Cannabis auf den Schwarzmarkt angewiesen. Im Jahr 2018 verbesserte sich die Situation zum Glück ein wenig. Obwohl die Gesamtzahl der PatientInnen nicht bekannt ist, wurden ca. 180.000 Cannabisrezepte ausgestellt. Eine Zahl, die für sich spricht. Nach einer Schätzung des Deutschen Hanfverbands (DHV) kommen dazu noch weitere 50–60.000 Rezepte, die von PrivatpatientInnen eingereicht wurden und deshalb nicht in den Statistiken der Krankenkassen auftauchen. Nach offiziellen Angaben haben die deutschen Krankenkassen 73,7 Millionen Euro für medizinische Cannabispräparate ausgegeben. Nur zwei Drittel der Anträge wurde positiv beschieden – die übrigen PatientInnen müssen weiterhin tief in die Tasche greifen.
Von der Blüte zur Medizin
Die meisten CannabispatientInnen kommen aus der Altersgruppe zwischen 50 und 59 Jahren, das macht einen Gesamtanteil von 25 % aus. Fasst man die Altersklasse weiter (40–79 Jahre), so entstammen dieser 75 % aller PatientInnen. Gegenwärtig gibt es in Deutschland drei Kategorien von medizinischem Cannabis:
- Unbearbeitete Cannabisblüten, die vor allem aus Holland und Kanada importiert werden. In Deutschland wurde mit deren Anbau noch nicht begonnen, mit einer Entscheidung zu den laufenden Ausschreibungen ist jedoch bald zu rechnen.
- Verschiedene Cannabisprodukte, inklusive der ärztlich verschriebenen Cannabispflanzen, kanadische Extrakte, die das volle Spektrum umfassen, sowie die Präparate TILRAY und Dronabinol, die ebenfalls aus Kanada kommen. Die kanadische Firma Aurora Cannabis wird ihre Extrakte im Laufe des Jahres 2019 in das Programm integrieren.
- Die dritte Gruppe bildet bzw. cannabinoidhaltige Arzneimittel. Dazu zählen unter anderem die Präparate Sativex und Canemes. Diese Medikamente verfügen in Deutschland über eine Vertriebsgenehmigung.
Cannabisblüten werden momentan nur selten verschrieben. Zwei Drittel der Patient-Innen wird Dronabinol, d. h. synthetisches THC, verschrieben. Dann folgen die Blüten mit 21 % und das Sativex-Spray, das THC und CBD zu fast gleichen Teilen enthält. Insgesamt wurden 2018 3.000 kg Blüten für die Apotheken importiert, was deutlich über den 1.200 kg aus dem Jahr 2017 liegt. Im Lauf des Jahres 2018 übernahmen die Krankenkassen die Kosten für ungefähr 1.650 kg unbearbeitete Cannabisblüten. Ungefähr die Hälfte des auf Rezept verschriebenen Cannabis beziehen die PatientInnen ohne Unterstützung der Krankenkasse mit Privatrezepten. Die Zahlen für das aktuelle Jahr sind ähnlich. Im ersten Quartal 2019 wurden mehr als 750 kg medizinische Cannabisblüten importiert, was der Menge des Vorjahres entspricht. Im gleichen Zeitraum wurden ungefähr 130.000 Einheiten Sativex eingeführt. Die Hälfte der Rezepte wurde von AnästhesistInnen ausgestellt, in erster Linie gegen Schmerzen und Krämpfe, wie sie bei Multipler Sklerose und Krebs vorkommen. Ungefähr ein Drittel der PatientInnen leidet unter seinen Symptomen schon seit mindestens zwölf Jahren, ehe Cannabis verschrieben wurde. Die Angaben der PatientInnen widerlegen jedoch die gängige Meinung, dass Cannabis auf jeden Fall wirksamer ist als die traditionelle Therapie, denn gut ein Drittel brach im ersten Jahr die Behandlung ab. Ungefähr die Hälfte von ihnen, weil Cannabis bei ihnen keine Wirkung zeigte, während ein Drittel von ihnen aufgrund von Nebenwirkungen dazu gezwungen war. Allerdings sind die Nebenwirkungen vergleichsweise gelinde, denn die meisten Patienten klagten lediglich über Müdigkeit und Schwindelgefühle.
Die Zukunft des Programms
Gegenwärtig erlaubt der deutsche Staat die Einfuhr von Cannabis aus jedem beliebigen Land. Solange das Cannabis von lizenzierten Herstellern stammt und den Qualitätsanforderungen entspricht, beabsichtigt er auch nicht, die Importmengen zu begrenzen. Es muss medizinische Qualität haben, was in der Praxis bedeutet, dass das Prädikat „EU Good Manufacturing Practice“ (GMP) vorliegen muss. Das meiste Cannabis wird gegenwärtig aus Kanada und Holland importiert. Bei der Einführung der Legalisierung in Kanada glaubte man, die Liberalisierung könne den Außenhandel beeinträchtigen. Da Kanada das medizinische und kreative System klar voneinander getrennt hält, kann der Import jedoch problemlos fortgesetzt werden. Kanadischen Firmen werden sehr wahrscheinlich auch in Zukunft weiterhin nach Deutschland exportieren und mit der holländischen Firma Bedrocan in Konkurrenz stehen. Erste Züchtungen im Inland stehen allerdings kurz bevor und die erste Ernte in Deutschland wird für das Jahr 2020 erwartet. Auch nach Beginn der Zucht im Deutschland wird die Regierung sicherlich den Import von Cannabis fortsetzen. Denn in der mehrjährigen Anfangsphase wird wegen der unterschiedlichen rechtlichen Bedingungen und der Steuern das inländische Cannabis sicher teurer sein als das importierte. Insgesamt können wir aber feststellen, dass der deutsche Markt für medizinisches Cannabis in vieler Hinsicht in Bewegung ist. Aufgrund der Menge des ausgegebenen Cannabis und durch die Unterstützung der Krankenkassen lässt sich ein in steigendem Maß positives Bild für die Zukunft des größten europäischen Marktes zeichnen.