Sie sagten, wir müssen sterbenskrank sein

Chris V. aus Baden-Württemberg hat sich jahrelang selbst therapiert, was in vielen Hausdurchsuchungen und rechtlichen Problemen resultierte. Durch Ausnahmegenehmigung und Cannabis auf Rezept änderte sich das schlagartig. Mittlerweile beschäftigt er sich mit den Rechten von PatientInnen und damit, wie man die Cannabiswirkstoffe am besten zu sich nehmen kann.

Medijuana: Erzähl uns mal, wie du zu Cannabis als Medizin gekommen bist und wie es dir hilft.

Chris V.: Ich bin ziemlich überraschend mit dem Thema konfrontiert worden, obwohl sich mein Bruder und ich schon seit 2007 immer wieder damit beschäftigt hatten – wir dachten aber, dass wir nicht krank genug sind. Wir hörten immer nur, dass man sterbenskrank sein muss. So vergingen noch ein paar Jahre, in denen wir uns selbst behandelten, wie es der Großteil der Nutzer von Cannabis als Medizin schon vor einer Ausnahmegenehmigung oder der Verschreibung getan hat.

Ich nutze Cannabis als Schmerzmedikament nach Verletzungen an der Wirbelsäule vom Handballspielen und BMX-Fahren in der Jugend, zwei Motorradunfällen, mehreren Bandscheibenvorfällen und gegen diverse Begleiterscheinungen, die durch jahrelange falsche Medikamente und eine Opiatsucht entstanden sind. Seit 2015 nehme ich keine anderen Medikamente außer Cannabinoide ein.

Mitte 2013 lernte ich per Zufall in einem hier ansässigen Headshop zwei Patienten kennen, die beide schon länger eine Ausnahmegenehmigung hatten. Ich war total baff, als sie mir eine Dose Bedrocan unter die Nase hielten und meinten: Das ist eine der Sorten aus der Apotheke, ein 22-prozentiges Jack Herer. Da war meine Neugier geweckt und ich traf mich zwei Tage später mit einem der beiden, um mich aufklären zu lassen. Als er dann im Laufe des Gesprächs sagte: „Du hast alles, beantrage eine Erlaubnis“, da war ich erfreut, aber auch sehr skeptisch, denn bisher hatte jeder Arzt Cannabis als Suchtstoff gesehen, aber nicht, dass es mir guttat und ich damit gut leben konnte.

Also machte ich mit meinem Bruder zusammen einen Termin bei Dr. Franjo Grotenhermen, wozu wir auch meine Mam einpackten, um ihr endlich die Augen zu öffnen und zu zeigen: Wir helfen uns nur selbst. Wir hatten ein tolles Gespräch mit Dr. Grotenhermen und endlich Aussicht auf Hilfe. Und unsere Mam war ab diesem Tag begeistert und offen für das Thema, sie nimmt seitdem selbst erfolgreich CBD.

Mir fehlten aber noch Unterlagen, die ich besorgen musste. Ich habe dann meine Unterlagen beim BfArM nachgereicht, und genau zehn Tage nach dem Absenden war schon Post mit meiner damaligen Ausnahmegenehmigung im Briefkasten. Ich werde den Moment nie vergessen, wie ich am Briefkasten fast zusammengeklappt bin, mir sind Tränen gelaufen, ein unglaublicher Moment von Freude über das neue Leben, die Erlaubnis, aber auf der anderen Seite auch Hass und Wut gegenüber dem Staat und der Justiz. Denn mein Bruder und ich hatten bis zu diesem Zeitpunkt elf Hausdurchsuchungen, die rein durch die Illegalität der Selbsthilfe gekommen sind. Und auf einmal darf man es legal. Verkehrte Welt.

 

MED: Wie war die Umstellung auf das neue System „Cannabis auf Rezept“?

CV: Die Umstellung war bei mir selbst gar nicht so kompliziert: Anstatt der Genehmigung holte ich mir jetzt alle vier Wochen ein Rezept, falls überhaupt etwas in Apotheken lieferbar war. Das größere Problem war, erst mal einen Arzt zu finden, der Rezepte ausstellt. Mein Hausarzt, der mitverantwortlich für meine Ausnahmegenehmigung war, wollte in seiner Praxis keine Cannabisrezepte ausstellen, was ich zähnefletschend akzeptieren musste. So stand ich, wie der Großteil, da und hatte keinen Doc. Aber Aufgeben gab es für mich nicht mehr. Nach dem siebten Arzt hatte ich einen sehr aufgeschlossenen und gut informierten Arzt gefunden, bei dem ich aber auch erst einige Termine wahrnehmen musste, um mit ihm in mehreren Gesprächen alles zusammenzutragen für den Antrag auf Kostenübernahme.

MED: Wie läuft es bei dir mit der Übernahme der Kosten durch die Krankenkasse? Musstest du für deine Rechte kämpfen?

CV: Da ich schon drei Jahre lang immer wieder eine Kostenübernahme beantragt hatte und im Widerspruch mit der Krankenkasse war, ging es eigentlich fast fließend. Mit dem neuen Gesetz mussten sie es als chronisch anerkennen. Vor allem hat der MDK (Medizinischer Dienst der Krankenkasse) hier einen Riesenbeitrag geleistet – mit dem Gutachten, dass die schwere Erkrankung schon länger vorliegt. So hatte ich Anfang April 2017 meine Kostenübernahme im Briefkasten und dachte, jetzt heißt es Aufatmen. Doch es kamen neue Probleme dazu.

MED: Welche Probleme? Bezüglich Autofahren? Du fährst ja mit einem öffentlichkeitswirksamen Canna-Benz durch die Gegend – wie oft kommst du in eine Polizeikontrolle und wie reagieren die auf dein medizinisches Cannabis?

CV: Ich fuhr [lacht]. Mittlerweile ist er komplett entschärft, also hat seit zwei Monaten kein riesiges grünes Cannabisblatt mehr auf der Motorhaube und der Slogan „Cannabis ist Medizin“ auf der Seite ist auch entfernt. Was einfach daran liegt, dass ich seit Mai 2016, also seit der Folierung, 19 Fahrzeugkontrollen hatte und dadurch viel Ärger mit der Führerscheinstelle. Denn bei der dritten Kontrolle war der Polizist nicht erfreut über die Beklebung, und so ging eine Mitteilung an die Führerscheinstelle, dass ich zwar voll fahrtauglich war, aber mein Auto ein Cannabisblatt nebst dem Spruch „Cannabis ist Medizin“ schmückte und ich zum damaligen Zeitpunkt vier Gramm Cannabis verordnet bekam. So kam es, dass sich die Führerscheinstelle meldete und steinalte Sachen wieder aufwärmte (dazu mehr in einer der nächsten Ausgaben). Eigentlich sind die Reaktionen meist dieselben, denn die Polizei ist Null aufgeklärt und weiß mehr aus irgendwelchen Zeitungsartikeln als über den richtigen Umgang mit Patienten. Ich kenn mich mittlerweile sehr gut mit allen Gesetzen aus und sehe mich so oft als Lehrer, der Infos verteilt. Eigentlich waren alle Kontrollen easy, denn ich setz mich nur hinters Steuer, wenn ich topfit bin. Vor allem bin ich nur unter der richtigen Dosierung voll konzentriert und fahrtauglich. Ohne Medikament würde ich mich z. B. nie ans Steuer setzen.

Es ist einfach traurig, dass der Staat die Polizei nicht ausreichend schult und dass Gutachter, wie der, der mich zweimal aus fadenscheinigen Gründen für nicht fahrtauglich erklärte, weil er bisher nur illegalen Konsum begutachtet hat, jetzt auch noch Stellen in ganz Deutschland zu diesem Thema schult, obwohl er selbst keine Ahnung von der Materie hat.

Mich hat dies bisher knapp 4.000 € für Anwalt und Gutachten gekostet und es ist nach jetzt zwei Jahren immer noch nichts entschieden. Ich hab zwar noch meinen Führerschein, aber die schlaflosen Nächte, das Geld, was an allen Ecken für wichtige Dinge fehlt usw., zermürben. Hoffnung stirbt zuletzt, bloß, wenn man solch Ungerechtigkeit erlebt, schwindet diese immer mehr.

MED: Was sind deine Tipps für Cannabispatienten, wenn sie in eine Polizeikontrolle kommen?

CV: Das Wichtigste ist: Hinterfragt euch selbst, seid ihr fit genug, um ein Fahrzeug zu führen? Setzt euch nur hinters Steuer, wenn ihr wirklich sicher seid, dass ihr verantwortungsbewusst und sicher fahren könnt. Dazu kommt: Seid immer freundlich, die Polizei weiß oft gar nicht genau Bescheid, nehmt euch Zeit, um es in Ruhe zu erklären, seid informiert. Habt immer alle Unterlagen dabei und die Blüten immer in der Originaldose mit aktuellem Rezept. So spart ihr euch viel Ärger und Zeit.

MED: Vapen, rauchen, dabben, essen oder ein Mix davon – wie wendest du Cannabis an?

CV: Mein Tag beginnt mit Dabs, also dem Verdampfen von THC-Extrakten in einer Oil-Rig. Die Dabs stelle ich selbst aus dem Apothekencannabis her. Ein Mix aus THC-Öl und CBD-Isolat gebe ich in den Frühstücksshake. So habe ich die Möglichkeit, ohne Verbrennen von Grünzeug das volle Potenzial durch Verdampfen der Wirkstoffe aufzunehmen und durch die Kombi der oralen Aufnahme des THC/CBD perfekt für mich zu dosieren. Ich rauche aber auch zwischendurch, wenn das Apothekengras gut gespült ist, auch pure Joints, um meinen Spiegel zu halten, und ich gerade keine Rig dabei habe, was selten vorkommt [lacht].

Hauptsächlich dabbe ich meine Tagesdosis von 1.200 mg THC und nehme abends zum Schlafen noch zwei Sprüher Sativex, um eine bessere und tiefere Tiefschlafphase zu erreichen. So kann ich in der kurzen Zeit wenigstens so viel wie möglich Erholung schaffen. Momentan schleiche ich das Sativex aus, weil es mir extrem nach den mittlerweile 4,5 Jahren auf das Zahnfleisch geht (Anm. der Red.: Sativex auf Alkoholbasis reizt Schleimhäute und Zahnfleisch).

MED: Welche Strains helfen dir am besten?

CV: Unterschiedlich, das liegt viel daran, wie wurde der Strain angebaut, wann wurde er geerntet, wie ist das Terpenprofil. Am besten half mir von den Apothekensorten das Princeton, was seit geraumer Zeit leider aus dem Programm genommen wurde. Mittlerweile ist das Orange No 1 und Bedrocan gemischt als Extrakt meine erste Wahl.

Die beste Sorte, die bei meinem Krankheitsbild hilft, ist eine Kreuzung aus einer Pineapple Chunk mit einer OG18Skunk, bei der sowohl die Cheese-Seite als auch die entspannende OG-Seite perfekt mit den Terps dieses Pisshaze-Phenos kombiniert sind. Leider gibt es diese Sorte nicht in der Apotheke. Die neuen Sorten wie das Kosher, das Berry und das Tangie, die jetzt schon längst in der Apotheke sein sollten, versprechen endlich Besserung, was Sortenvielfalt angeht.

MED: Was denkst du, wie wird sich die Situation für CannabispatientInnen in den nächsten Jahren in Deutschland, aber auch in Europa verändern?

CV: Na, ich hoffe, endlich positiv, es wäre schon ein Riesenschritt, wenn endlich alle, die eine Ausnahmeerlaubnis haben, einen guten Doc haben und vor allem eine Kostenübernahme. Und dass Ärzte keinen Regress fürchten müssen. Und dass sich die Verfügbarkeit bessert und endlich auch deutsche Unternehmen anbauen dürfen. Wir haben so viel Potenzial im eigenen Land, da müssen wir nicht schlechtes Cannabis aus anderen Ländern importieren.

Ich fände es gut, wenn neben der medizinischen Nutzung Cannabis auch so legal wird, denn das Geld, das millionenfach für die Verfolgung verschwendet wird, ist bei Aufklärung und Schutz der Jugend besser investiert. Die Polizei hätte dann Zeit, wichtige Dinge zu tun, und nicht einen Menschen, der seinen Abendjoint zum Entspannen raucht, zu kriminalisieren.

Ich verfolge die ganze Legalisierungsarbeit seit 1994 und es hat sich in kleinen Schritten viel getan. Dafür bin ich Menschen, die seit Jahrzehnten für ihre und unsere Rechte kämpfen, wie Michael aus Mannheim, Günther Weiglein, Lars Scheimann und wie sie alle heißen, von Herzen dankbar, denn ohne sie würde ich hier heute nicht sitzen. Vielen Dank!

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