Salzige Limonade (Teil 3)

In Cochin haben wir uns unerwartet bekifft

In Indien angekommen, stellt man sich die unwahrscheinlichsten Dinge vor. Wenn man aber Zeit hat und nicht nur für zwei Wochen gekommen ist, wenn man nicht nur einen 300 Meter langen Sandstrand sehen möchte, dann geht einem auf, dass die Realität auch hier viel einfacher und gewöhnlicher ist, als man sich das in seinen exotischen Träumen vorgestellt hat. Nicht anders verhält es sich mit den zwischenmenschlichen Kontakten. In einem indischen Menschen findet sich ebenso viel Spiritualität wie in einem Europäer, wovon man sich leicht im Gedränge eines Fährhafens oder am Fahrkartenschalter eines Bahnhofs überzeugen kann.

Wir verbrachten nur in zwei Staaten, und dort in den Städten (Goa) und Cochin (Kerala) genügend Zeit – jeweils mehr als eine Woche –, um überhaupt Gelegenheit zu zwischenmenschlichen Kontakten zu finden. Anwärter gab es natürlich immer. Der Chauffeur des Hotels in Goa war sehr zuvorkommend und erfüllte jeden Wunsch, aber nicht, weil er ein guter Kerl war oder aus Zuneigung. Dennoch hatten wir Ideen, bei denen er die Augen aufriss und den Kopf schüttelte. Meiner Meinung nach nahm er sie uns nicht einmal ab. Es wurde aber sofort klar, dass hier nicht einmal von Kumpelhaftigkeit die Rede sein konnte. Unendlich störend fand ich übrigens, dass alle immerzu bereit sind, jederzeit mit jedem in Kontakt zu treten, es noch dazu den Anschein machte, dass die Inder in diese persönlichen Kontakte Vertrauen setzen. Während wir die „Spiritualität“ vergeblich suchten, wenigstens in Südwestindien, konnte man die Offenheit und Neugier, mit der sie sich untereinander und der Welt gegenüber verhalten, unmöglich übersehen.

Kontakte im Verkehr

Für einen Inder ist es schon Grund genug, dich anzusprechen, wenn du an der gleichen Stelle wartest wie er, auf den gleichen Bus. Schon deshalb, weil die Haltestellen durch nichts gekennzeichnet sind. Es weiß einfach jeder, dass der Bus zur Fähre hier an der Tankstelle hält, an der Kreuzung nach Cherai Beach. Hier gibt es nämlich genügend Platz zum Anhalten, Ein- und Aussteigen.

An einem späten Nachmittag war die Menge so dicht, dass ich nicht genau erkennen konnte, wer seinen Ellenbogen in meinem Mund hatte und wessen Ellenbogen ich im Rücken spürte. Die Privatbusse nahmen so viele Menschen auf, wie sie nur konnten. Es gibt keine Regelung oder Begrenzung der Fahrgastzahl, aber das könnte hier sowieso niemand überwachen. Schaffner und Chauffeur mieten und betreiben den Bus immer für einen fixen Tagespreis. Während der Schaffner nun versuchte, in der Menge Fahrkarten zu verkaufen, übernahm ein Mann mittleren Alters den Platz an der hinteren Tür und gab zwischen den Haltestellen dem Fahrer Zeichen, wenn alle eingestiegen waren und der hintere Trakt abfahrbereit war. Da die Privatbusse auch untereinander in Konkurrenz um die Fahrgäste stehen, erfordert dies alles außergewöhnliche Umsicht. Menschen in einem solchen Tempo durch die engen Türen, wie man es vom Reifenwechsel der Formel 1 kennt. Trotzdem bleibt keiner zurück, ja, in dieser entsetzlichen Menge, in dem Lärm und dem Betrieb schnappten sie noch einen Taschendieb, dem sie übrigens nur die Tasche abnahmen und ihn laufen ließen.

Die bequemste Art der Fortbewegung in Indien ist das Motorrad und natürlich die Rikscha. Ersteres ist mein persönlicher Favorit, daher konnte ich der Versuchung, eine Royal Enfield zu fahren, nicht widerstehen, und auch den örtlichen „Volkswagen“, den Bajaj, nicht auslassen, denn das Autofahren war die größte Herausforderung. Neben dem Zustand der Straßen oder deren kompletten Abwesenheit ist das Fehlen der Bürgersteige am schmerzlichsten und gefährlichsten. Keine Seltenheit sind Motorräder mit vier Personen, weiterhin Rinder, Ziegen, Hunde und Enten, die jederzeit überall auftauchen können. Es dauerte ein paar Tage, bis wir uns an die extremen Bedingungen gewöhnt und die Eigenheiten des örtlichen Verkehrs begriffen hatten. Dann reisten wir einmal 160, dann fast 300 Kilometer. Das gilt in Indien bei einer maximalen Durchschnittsgeschwindigkeit von 30-50 Km/h als große Entfernung.

Einmal legten wir sogar etwa 450 Kilometer zurück, in einem Mietwagen (mit Chauffeur). Das nahm 14 Stunden in Anspruch. Den einzigen Asphaltstreifen blockierten die Anhänger einer Partei, die an der bevorstehenden Wahl teilnahm, natürlich nicht mit Absicht, sondern weil ihre Bühne am Wegesrand stand, wo drei Stunden lang ein Redner nach dem anderen seine geschätzte Aufmerksamkeit in den Bann schlug. Solange gab es kein Vorwärtskommen, für niemanden. Zehn Kilometer Stau in beiden Richtungen auf dem National Highway (NH47) bei 30 Grad und laufenden Motoren – das ist in Indien so üblich, weil nur dann die Klimaanlage arbeitet – nach einigem Rangieren sahen alle ein, dass die Breite der Straße eine fixe Größe ist, die Zahl der Zuschauer ebenso, und man nichts machen kann.

In einem solchen Fall kommen auch die Motorräder und Rikschas nicht vorwärts, trotzdem sind sie auch hier auf 40 – 50 Kilometer das schnellste Fortbewegungsmittel. Die Rikschas sind die charakteristischste Erscheinung Indiens, vielleicht ganz Asiens.  Diese sind so unterschiedlich wie ihre Fahrer. Es gibt ganz einfache schwarz-gelbe, hauptsächlich in Mumbai. In Südindien aber sind sie unglaublich bunt und dekoriert mit vielen Bildern – von den eigenen Kindern bis hin zu den Göttern.

Persönlicher Kontakt

Amiish trafen wir in Cochin, als wir gerade Aziz auf dem Basar über die Dealer am Ort befragten. Wir dachten gerade darüber nach, ob es besser wäre, zu den Jungs am Sportplatz hinter der Basilika zurückzugehen, weil der Alte, obwohl er ein guter Kerl war, spürbar wenig über die örtlichen Dinge wusste und sein Gras nicht nur schlecht aussah, sondern auch teuer war. Das hätte uns sicher auch ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert, aber das war jetzt nicht das Ziel.

Wir hatten schon vorher bemerkt, dass uns ein Typ aus einer Rikscha in der Nähe beobachtete. Also verabschiedeten wir uns von Aziz und gingen zu ihm. Er fragte uns, ob wir etwas zu Rauchen suchten, was wir bejahten. “Und noch ein paar Informationen über die örtlichen Verhältnisse und Bräuche”, fügte ich hinzu. Man sah, dass es unser Mann war, sein Anblick war seine Referenz. Er war bekifft. “Wir müssen aber weg von hier”, sagte er. “Der Basar wird wegen der Touristen mit Kameras überwachte und es gibt auch Polizei in Zivil.” Ich erkundigte mich, für wen Aziz wohl arbeitet, weil er so ruhig ist, aber er versteht nicht oder will die Frage nicht verstehen. Bis wir zu den Rikschafahrern kommen, die ein paar Minuten im Schatten eines gewaltigen Baumes eine Siesta eingelegt haben, erzählt er uns von den örtlichen Verhältnissen, beispielsweise, was für Amateure die Behörden seien. Aber die Touristen ließe man in Ruhe, besonders, wenn sie nicht auf der Straße rauchten. Lieber im Hotel oder am Strand, empfiehlt er, dort sei es sicherer. “Im Allgemeinen ist es am besten, wenn du kein Englisch verstehst”, rät er, als Universalmittel gegen behördliche Schikanen.

Unterdessen sind wir angekommen und Shamiir ist aufgetaucht. Es stellt sich heraus, dass eigentlich er der Gewerbetreibende ist.  Er erzählt von den Unterschieden zwischen den einzelnen Landesteilen und seinen  Erfahrungen im Norden, vom Charras, den Plantagen in den Bergen bei Madurai und den Wiesen von Kerala. Wir erfahren, dass man auch hier wegen einer geringen Menge nicht in Ketten gelegt wird, von einer echten Toleranz aber nicht die Rede sein kann. (Da Indien ein unglaublich korruptes Land ist, wo alles eine Frage des Geldes ist, liegt alles verständlicherweise am eigenen gesellschaftlichen und ökonomischen Rang.) “In Mumbai, Kalkutta, Varanasi, Goa und in den nördlichen Staaten ist die Situation ganz anders”, sagt er. “Dort ist es nicht sicher, dass sie dich einsperren, wenn du auf der Straße rauchst und Gras bei dir hast. Hier (in Kerala) sperren sie dich beim ersten Mal 90 Tage ein. Beim zweiten Mal gibt es schon eine Gerichtsverhandlung und es drohen bis zu 1,5 Jahre. Hundert Gramm überschreiten schon die geringe Menge!” Während er erzählt, nimmt er die Uhr der Rikscha auseinander und entnimmt ihr ein nicht sonderlich imposantes Päckchen. Als ich andeute, dass ich es mir ansehen möchte, sagt er, wir sollen lieber davon rauchen, das sei einfacher. Joints dreht man hier aus Palmenblättern, die sie aus den lokalen Zigaretten namens Bidis gewinnen. Die Operation ist nicht einfach, denn die Blätter sind trocken und zerbröseln leicht. Mit ein bisschen Übung kann man sie so weit öffnen, dass man ein wenig Ganja anstelle des Tabaks reinfüllen kann und das Ganze nicht einmal auffällig ist. Ein paar Minuten und schon glüht das getunte Testbidi. Unterdessen erfahren wir, dass man bei ihnen in Gesellschaft lieber ein Schillum eine Pfeife raucht, alleine nur das Bidi. Man bekommt zwar schon normales Zigarettenpapier, aber das mögen sie nicht, außerdem ist es sündhaft teuer. Die Stimmung wird gelöster, die Wirkung bleibt auch nicht aus, 10 Minuten und wir lachen, worüber eigentlich, weiß ich nicht mehr. “Das sind 12 Gramm” sagt er, “der Preis ist halb so hoch wie bei Aziz.” Und darin sind das Gespräch und auch seine Informationen enthalten. Obwohl auch die Hälfte für uns genug wäre und uns scheint, dass es weniger ist, sind wir aber so anständig, es ihm abzukaufen. Besonders, nachdem wir es schon geraucht haben.

Die Wirkung ist sehr angenehm, es kommt im Kopf an, ist nicht zu drängend oder aggressiv. Ich hasse Ganja, dass dein Gesicht entgleisen lässt oder dich so umhaut, dass kein Pferd dich wieder aus dem Sessel bringt. Idikki Gold, wie sie es nennen, ist das lokale Spitzenprodukt. Angeblich gibt es keine andere Sorte zu kaufen, aber das nehme ich dem Dealer nicht ab. Es erstaunt mich nicht, dass sie nur Freilandsorten kennen und benutzen. Es ist gerade mitten im Winter und abends kühlt sie Luft auf + 20 Grad ab! Körperlich ermüdet es nicht und im Kopf ist es noch aktiv, aber die Wirkung ist gemäßigt. Natürlich glaube ich nicht, dass wir eine große Menge geraucht haben.  Zwei Stunden erstaunlich reines High im Hirn, dann eine Stunde Chill-Out, zum dem auch die Einnahme von etwas Zucker beiträgt. Die größte Überraschung erwartet uns jedoch im Hotel, als ich mir das Päckchen genauer anschaue und sehe, dass Shamiir genau das gleiche Gras verkauft wie Aziz. Nachträglich muss ich gestehen, dass es viel besser wirkte als es aussah, aber das ändert nichts daran, dass das Äußere bei der Qualität auch eine wichtige Rolle spielt. Jedenfalls für mich, aber ich bin natürlich kein Inder. Und ich wäre auch kein guter Inder, wie sich bei einigen näheren persönlichen Bekanntschaften herausstellte. Beispielsweise mag ich keine salzige Limonade. Ich mag weder zu stark gewürzte oder ungenießbare Speisen, auch keine überzuckerten  Süßigkeiten und keine Menschenmengen. Warum ich überhaupt in Indien war? Weil man dort am besten erfährt, wie gut es auch in Europa ist.

 

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