Risiken und Nebenwirkungen

Cannabinoide, Körper, Seele, Gesundheit

Es ist üblich, populärwissenschaftliche Texte mit den Worten zu eröffnen “bereits die Griechen der Antike…”. Wenn es um Cannabis geht, trifft dies allerdings nicht ganz zu, denn es stimmt zwar, dass sich auch die Völker der Antike damit beschäftigten, allerdings nicht die Griechen sondern die Chinesen waren damals führend in der Verarbeitung und Nutzung von Pflanzen und Kräutern. So nutzte das “Volk der Großen Mauer” den Hanf also schon vor fünftausend Jahren und zwar nicht nur als Rohstoff sondern auch als Schmerzmittel. Seine Vorteile in der Medizin werden heutzutage in immer weiteren Kreisen diskutiert, und in unserem Artikel möchten wir zu diesem Thema ohne Anspruch auf Vollständigkeit einige bedeutende Forschungsergebnisse vorstellen sowie die Wirkung der in der Hanfblüte enthaltenen Wirkstoffe auf physiologische Prozesse vom wissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet darstellen.

Cannabis Sativa wurde über viele Jahre hinweg, bis zu den 1930-er Jahren weltweit auf der Liste der Pflanzen mit Heilwirkungen geführt, bis in den USA auf politischen Druck der Regierung hin der “alltägliche” Gebrauch von Marihuana verboten wurde. Damit war der erste Dominostein gefallen. An dem Business der Anti-Drogen-Partei beteiligten sich nach und nach immer mehr fortschrittliche westliche Länder, bis es schließlich – dank des UNO-Abkommens über Rauschmittel vom Jahre 1961 überall auf die Verbotsliste gesetzt wurde. Die Medizin entwickelt sich jedoch trotzdem weiter, und auch die Erforschung der Heilwirkungen des Cannabis hat nicht an Elan verloren. Mittlerweile erscheinen immer häufiger und an den unterschiedlichsten Stellen werden Studien zu dem Thema präsentiert. Dabei haben wir noch gar nicht erwähnt, dass in einigen Bundesstaaten der USA Marihuana auf Rezept zur Behandlung bestimmter Krankheiten erhältlich ist, und anderorts Medikamente in Umlauf gebracht werden, die synthetisches THC enthalten.

Wie allgemein bekannt, ist der Hauptwirkstoff der Cannabis Sativa das THC, bzw. mit anderen Worten; das Delta-9-Tetrahyd-rocannabinol. Wenige wissen jedoch, dass in der Pflanze insgesamt rund vierhundert verschiedene chemische Substanzen vorkommen, wobei ca. 60 von ihnen in die Kategorie der Cannabinoide gehören (jedoch ausschließlich das THC hat psychoaktive Wirkung). Es ist interessant, dass außer Nikotin sämtliche karzinogene (krebserregende) Stoffe im Hanf enthalten sind wie sie auch im Tabak vorkommen. Deshalb betonen die Fachleute, dass das regelmäßige Rauchen von Tabak wie auch von Marihuana einen ernstzunehmenden Risikofaktor für die Ents-tehung von Krebs darstellt.

Trotz alledem liegt der molekular-medizinische Grund für zahlreiche potentielle medizinische Verwendungsmöglichkeiten darin, dass die Cannabinoide sich an Rezeptorenmoleküle an der Zelloberfläche in Geweben binden, die in diversen Geweben vorkommen. Ein Aufschwung in der Cannabisforschung begann, als man im Jahre 1970 entdeckte, dass im menschlichen Organismus sogenannte Endocannabinoid-Moleküle vorkommen, die sich in erster Linie an das Eiweiß von zwei verschiedenen Rezeptoren CB1 und CB2 (Cannabinoid Binding Receptor) binden, und auf diese Weise bestimmte physiologische Prozesse beeinflussen. Bei weiteren Untersuchungen zeigte sich zudem, dass sie sich auch mit anderen, bereits bekannten Rezeptoren verbinden können (z.B. mit dem Protein TRPV1, das sich hauptsächlich im Bereich der Haut befindet). Diese Eigenschaften lassen ihnen eine entscheidende Rolle bei der Regulierung einzelner physiologischer Prozesse zukommen. Von den Cannabinoid bindenden Rezeptoren findet man den CB1 hauptsächlich in Zellen des zentralen und des peripheren Nervensystems, wohingegen der Rezeptor CB2 eher in Nicht-Nervenzellen, wie Gewebezellen und vor allem Immunzellen vorkommt. Vereinfacht dargestellt ist dies der Grund dafür, dass Marihuana – wegen der enthaltenen Stoffe und deren Bindungspartner in unserem Organismus – eine bedeutende medizinische Rolle spielen könnte.

Seine Wirkung ist schon seit langem bekannt, die Linderung verschiedener, akuter wie auch chronischer Schmerzen (wie sie zum Beispiel bei Krebskranken auftreten) kann in folgenden Dosen erfolgen: Der Wirkungsgrad von 20 mg THC entspricht demjenigen von 60 mg Kodein (dies ist der am häufigsten verwendete Opiat ähnliche Wirkstoff). Im Gegensatz zu den Schmerzmitteln auf Opiat-Basis erzeugt das THC keine starke physische Abhängigkeit. Außerdem kann Marihuana auch in Alternativ-Formen angewandt werden (etwa als Extrakt), und so zur Behandlung von Nebenwirkungen der Chemotherapie bei Krebskranken eingesetzt werden. Eine dieser Beschwerden ist z.B. ständiger Brechreiz und Erbrechen, was die Therapie begleiten kann. Anhand zahlreicher Untersuchungen ließ sich nachweisen, dass bei Chemotherapie mit hohem emetogenen Potenzial der Brechreiz der Patienten nach Verabreichung einer entsprechenden Dosis (0,5-2,5 mg) eliminiert werden konnte. Allerdings ist diese positive Wirkung leider nur bei jungen Patienten zu beobachten, bei Älteren Kranken wirkt diese Medikamentierung – aus bislang ungeklärten Gründen – nicht.

Eine andere unangenehme Nebenwirkung der Chemotherapie ist die Appetitlosigkeit, die nicht nur bei Krebskranken sondern auch bei AIDS-Patienten häufig zu beobachten ist. Laut einer Studie, im Rahmen derer man bei neun krebskranken Patienten die Veränderung des Gewichts in Korrelation zur Menge des gerauchten Cannabis stellte, konnte festgestellt werden, dass die Testgruppe bei einem regelmäßigen Konsum von 0,5-1 g Marihuana sichtlich zunahm. Als das Medikament jedoch abgesetzt und stattdessen ein Placebo verabreicht wurde, nahmen die Patienten wieder ab.

Übrigens eignet sich das THC nicht nur als potenzielles Medikament für die Linderung von Nebenwirkungen sondern senkt auch die Wahrscheinlichkeit der Entstehung gewisser Arten von Tumoren. Ein Grund (von vielen) für die Entstehung von Tumoren ist die sogenannte Apoptose, die auch als programmierter Zelltod bezeichnet wird, und die von den krebskranken Zellen “ausgeschaltet” wird. Der programmierte Zelltod ist in der Natur ein allgemein verbreiteter Prozess zur zahlenmäßigen Regulierung des Zellbestands. Es geht im Wesentlichen darum, dass sich eine Zelle nicht ins Unendliche teilen kann und es nicht zu Wucherungen kommt. Die Tumorzellen verhindern diesen Selbstregulierungsprozess, so können sie wesentliche größere Zellpopulationen zustande bringen als dies normalerweise möglich wäre.

Man beobachtete, dass durch die Wirkung von Endocannabinoiden die Apoptose der Zellen, die den Hautkrebstyp Melanom verursachen, angeregt wird, was das Tumorwachstum verlangsamt. Dies geschieht, indem die Cannabinoide die Produktion der Proteine, die am Prozess des programmierten Zelltods beteiligt sind, enorm anregt. Deshalb ist es nicht ausgeschlossen, dass gegen die Entstehung von bestimmten Tumorarten die im Cannabis enthaltenen Substanzen als Medikament eingesetzt werden können, obwohl dies – genauso wie zahlreiche andere Thesen im Bereich der Medikamentenforschung – weiteren Forschungen bedarf. Was die Haut anbetrifft, so können wir nicht nur im Falle einer tumorartigen Veränderung die Vorteile des Marihuanas nutzen.

Unsere Haut besteht aus einem verhornten, mehrschichtigen Plattenepithel. Die oberste Schicht besteht aus verhornten Zellen, die ständig abgestoßen und erneuert werden, die untere Schicht dagegen ist diejenige, in der die ständige Zellteilung stattfindet, damit Nachschub für die oberste Schicht vorhanden ist. Cannabinoide wirken hier auf die verschiedenen Schichten unterschiedlich. In den unteren Schichten sorgen sie dafür, dass die Zellteilung angeregt wird, was z.B. für ein frühes Stadium der Wundheilung äußerst nützlich sein kann. Bei den Zellen der oberen Schicht dagegen fördern sie die Keratinisierung, bzw. mäßigen die Verhornung. Letztere Eigenschaft können sich Patienten zunutze machen, die an Schuppenflechte leiden, denn bei ihnen werden die unangenehmen Symptome genau durch die Verhornung verursacht.

Ein weiteres Anwendungsgebiet für Marihuana in der Medizin wäre noch die Behandlung des grünen Stars. Der grüne Star ist eigentlich ein Sammelbegriff für mehrere Erkrankungen, bei denen der Sehnerv Schaden leidet. Dieses Nervenbündel ist dafür zuständig, den Reiz von der Retina zum visuellen Verarbeitungszentrum im Gehirn zu liefern – seine Beschädigung führt zu irreversibler Blindheit. Der Nerv nimmt z.B. dadurch Schaden, dass der Druck in der Flüssigkeit im Augapfel (Kammerwasser) ansteigt. Der Konsum von Cannabis senkt diesen Überdruck im Auge erwiesenermaßen, nachdem eine Bindung mit den CB1 Reflektoren stattgefunden hat. Zahlreiche, herkömmliche Medikamente gegen den grünen Star machen den Patienten durch die regelmäßige Einnahme entweder tolerant gegen das Medikament oder haben unangenehme Nebenwirkungen. Die Behandlung des grünen Stars mit Marihuana hat dagegen wesentlich weniger Negativ-Folgen.

Weiter oben hatten wir angedeutet, dass der CB2 Rezeptor vor allem in Immunzellen zu finden ist, und dass er sich nach Bindung der Endokannabinoide vor allem an der Hemmung verschiedener Immunprozesse beteiligt. Aus diesem Grunde kann er bei der Behandlung von eventuellen chronischen Entzündungskrankheiten, wie z.B. Asthma, eingesetzt werden. In diesem Fall kommt natürlich die Zigarette nicht in Frage. Die Reihe der Alternativen ist jedoch nahezu unendlich: angefangen bei den einfachen Wasserpfeifen – der durch das Wasser gefilterte Rauch ist nämlich wesentlich unschädlicher – man kann einen Vaporisator verwenden, in dem die Blüten nicht verbrannt sondern lediglich erhitzt werden und so die flüchtigen Öle entweichen – und nicht zuletzt auch noch die diversen Extrakte, Tinkturen und Lösungen, aus denen man ganz spezielle Lebensmittel herstellen kann.

Auch die Mäßigung der Funktion des Immunsystems zur Behandlung von Patienten mit Autoimmun-Krankheit wäre möglich. Bei der Autoimmun-Krankheit greifen die Immunzellen, die den Körper normalerweise schützen nun die eigenen Zellen und Gewebe des Organismus an. Mit einem ähnlichen Phänomen haben wir es auch bei der Multiplen Sklerose (MS) zu tun, bei der die Schutzhüllen der Nervenstränge zerstört werden und dadurch die Reize von den Nerven nicht mehr einwandfrei übertragen werden, was unter anderem zu Lähmung der Gliedmaßen führen kann.

Gleichzeitig erhöht Cannabis die Zahl der Immunzellen in einer gewissen, lange Zeit unbekannten Population namens (MDSC). Die MDSC-Zellen halten das Immunsystem unter Kontrolle, allerdings kann ein regelmäßiger und übermäßiger Konsum von Cannabis dazu führen, dass der Körper leichter an ansteckenden Krankheiten erkrankt.

Es lässt sich also feststellen, dass die Cannabisforschung – unter anderem durch die jahrzehntelangen Verbotsregelungen – in diversen Bereichen, so auch in der Medizin, noch in den Kinderschuhen steckt. Die medizinischen Ansätze müssen weitere gründliche Untersuchungen durchlaufen, vor allem auch deswegen, weil mit dem wissenschaftlichen Fortschritt ständig neue Fragen aufgeworfen werden. Die Tatsache, dass Marihuana durchaus eine Daseinsberechtigung in der Medizin hat, wurde nicht nur wissenschaftlich belegt, sondern auch von Millionen Patienten und zahlreichen Ereignissen in der Geschichte bezeugt.

Bisher haben wir uns mit körperlichen Symptomen und Krankheiten beschäftigt – in unserer nächsten Ausgabe werden wir uns auch mit den psychischen Wirkungen auseinandersetzen.

KGB

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