Real Change in Kanada

Nach neun Jahren kommen die Liberalen an die Regierung

Kanada gehört zur Weltspitzengruppe beim Grasrauchen, und obwohl der Konsum einigermaßen toleriert wird, ist man bei der Legalisierung noch nicht so weit gekommen wie die Nachbarn im Süden. Der gesellschaftlichen Akzeptanz entsprechend wurde der Cannabismarkt, ähnlich wie in den USA, Wahlkampfthema und schlug sich in den Strategien der Kandidaten nieder. Der Sieg der Liberalen könnte eine neue Ära einleiten.

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Obwohl die Zahl der KonsumentInnen in Kanada in den letzten zehn Jahren etwas gesunken ist, hat mehr als die Hälfte der 18- bis 24-Jährigen schon Marihuana ausprobiert. Bei den über 15-Jährigen sind es insgesamt etwa 40%. Dies lässt vermuten, dass der Bevölkerung sehr an der Cannabisregulierung gelegen ist. Nach den Umfragen halten sich die BefürworterInnen und die GegnerInnen die Waage. Nach einer Untersuchung, die das Research Forum Ende August veröffentlichte, befürworteten 53% legales Marihuana, aber bei der Umsetzung scheiden sich die Geister. 35% der WählerInnen sind der Meinung, die Regierung müsse legalisieren und eine Steuer erheben, während 33% meinen, man müsse geringe Mengen entkriminalisieren. Nur 15% halten die gegenwärtige Regelung für ausreichend und 12% würden die Strafen für Handel und Konsum erhöhen. Der Leiter des beauftragten Instituts erinnerte daran, dass die Mehrheit schon bei der letzten Wahl Ganja legalisieren wollte, der Ministerpräsident diesen Stimmen aber kein Gehör schenkte. Er fügte hinzu, dass die überwiegende Mehrheit der WählerInnen der Meinung sei, dass die Illegalität die größten Schäden verursacht.

 

Sachlich falsch dargestellt

deadliest drugsDer Marihuanaregulierung kam also die zentrale Rolle im Wahlkampf zu, der im Sommer mit Volldampf geführte wurde. Justin Trudeau, der Kandidat der Liberalen, hörte auf die Stimme des Volkes, heftete sich die Legalisierung ans Banner und brachte die Konservativen damit in Zugzwang. Stephen Harper, Ministerpräsident seit 2006, hatte im Sommer argumentiert, dass die Mehrheit der Bevölkerung überhaupt keine Cannabisläden wünsche, und ließ in der herbstlichen Hurra-Stimmung seine Lügenfabrikation auf Hochtouren laufen. Als Harper Anfang Oktober gefragt wurde, warum er gegen die Cannabisfreigabe sei, antwortete er, dass zahlreiche wissenschaftliche Belege zur Verfügung stünden, welche die Langzeitschäden von Cannabis bewiesen. Man bemühe sich seit Generationen mit großem Erfolg wegen eben solcher Schäden, das Rauchen einzudämmen, fügte er hinzu. „Tabak ist ein sehr schädliches Produkt. Aber das Marihuana ist unendlich gefährlicher und wir möchten nicht zu seinem Konsum ermutigen.“ Mit dieser Bemerkung war es ihm gelungen, die Lüge so auf die Spitze zu treiben, dass sich verdutzte JournalistInnen und Fachleute weltweit auf unterschiedliche Art und Weise mit dieser kolossalen Fehleinschätzung auseinandersetzten. Vox machte beispielsweise anschaulich klar, dass das Rauchen in Kanada jährlich 37.000 Todesopfer fordere, was 17% aller Todesfälle entspreche, dass die medizinische Betreuung das Land 4,4 Milliarden Dollar koste, während die Todesfälle bei Marihuanakonsum exakt bei Null lägen. Das Magazin machte also anhand des amerikanischen Beispiels deutlich, was für ein Nonsens Harpers Behauptung ist. Dort stehen der Null beim Grasrauchen 437.000 Todesfälle durch Rauchen, 16.000 durch Schmerzmittel, 8.300 durch eine Überdosis Heroin und annähernd 5.000 durch Kokainkonsum gegenüber. Neben der Sterblichkeit als Risikofaktor könnte man noch viele Gesundheitsschäden durch Rauchen anführen – im Gegensatz zu dem nicht vollkommen unschädlichen Cannabis, das aber als relativ sicher bezeichnet werden kann. Und da haben wir noch kein Wort über die Heilwirkungen des Marihuanas verloren. PatientInnen können Medikamente mit schweren Nebenwirkungen absetzen und das viel sicherere Cannabis anwenden. Von Medizinaltabak hat man noch nie gehört, denn Zigaretten haben keine ähnlich positiven Wirkungen.

International Cannabis Day

DrogenkonsumentInnen sind gleichberechtigte BürgerInnen

Kanada ist auch Vorreiter bei der Einrichtung von Drogenpräventionsmaßnahmen. Dazu zählen kontrollierte Räume für den Drogenkonsum, vom Volksmund Druckkammern genannt, denen in letzter Zeit die Regierung Harper mit einer Kürzung der Mittel gedroht hatte. Diese Einrichtungen leisten einen großen Beitrag zur Verringerung der Infektionsgefahr und bei der Hilfe für problematische DrogenkonsumentInnen und ihrer Rehabilitation. Daher löste Harpers Äußerung auch in den Kreisen der Fachleute und der an sozialen Fragen Interessierten Empörung aus. Der liberale Kandidat Trudeau hatte im März in einer Rede an der Universität von Vancouver den Betreibern von kontrollierten Drogenräumen Hilfe versprochen. Hierbei geht es um eine geringe Zahl von schwer abhängigen Menschen; die Maßnahmen sind weniger populär als das Eintreten für die Legalisierung, aber es skizziert die Haltung der Liberalen zu grundlegenden menschlichen Werten. Ein Drogenkonsument kann ein Durchschnittsbürger sein, der das Gras dem Bier vorzieht, oder ein Abhängiger mit einem problematischen Hintergrund, der auf Hilfe angewiesen ist. Aber sie sind keine Kriminellen, sondern vollberechtigte Mitglieder der Gesellschaft. Diese liberale, sozial sensible Haltung brachte vor ein paar Monaten Trudeau nur den dritten Platz nach seinen konservativen und demokratischen Konkurrenten ein, aber bei den Wahlen im Oktober wurde er mit überzeugenden 40% Erster – vor Harper mit 32% und dem Demokraten Tom Mulcair mit 20% der Stimmen. Wir können sicher sein, dass bei der Veränderung des Wählerwillens zum Ende des Wahlkampfs die Haltung zur Legalisierung eine gewichtige Rolle spielten wird, sodass Trudeau sich schnell des Themas annehmen und seinen Versprechen Taten folgen lassen muss. Der Wahlkampf der Liberalen stand unter dem Slogan „Real Change“ und jetzt, nach neun Jahren konservativer Regierung, ist alles gegeben, damit die Politik und mit ihr zusammen die Gesellschaft wirklich den Weg grundlegender Veränderungen beschreiten kann.

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