Primaten auf Trip

Terence McKenna: Food of the Gods

Nehmen wir an, dass wir der Evolutionstheorie glauben können und wir von den Affen abstammen. Immer weniger Menschen stellen das infrage, obwohl es noch zahlreiche Schwierigkeiten gibt und im Detail noch Kettenglieder fehlen. Wie entstand beispielsweise unser entwickeltes Selbstbewusstsein und was befähigte unsere Vorfahren, die Sprache zu erschaffen? Nach der Meinung von Terence McKenna müssen wir die Antwort im Gebrauch psychedelischer Pflanzen suchen.

Der lang gehegte Traum der AnhängerInnen der psychedelischen Kultur wurde wahr, als das anschauliche Werk eines der bedeutendsten Psychonauten den 20. Jahrhunderts, Terence McKennas Speisen der Götter (Food of the Gods, 1992) erschien.

Pflanze und Mensch

McKenna, der sich den psychedelischen Drogen (bzw. den Halluzinogenen) über die Wissenschaft und seine eigenen Erfahrungen annäherte, dachte ein Großteil seines Lebens darüber nach, ob der Konsum eines Mittels oder gerade sein Verbot die menschliche Kultur beeinflusst. “Sämtliche Mensch-Pflanzen-Verbindungen betonen bestimmte Aspekte, während sie andere verbleichen lassen”, lautet der Ausgangspunkt seiner Einsichten. Die in seinem Buch skizzierte Theorie sucht auch die Antwort auf die Frage, wodurch das menschliche Hirn sein Volumen – an den Schritten der Evolution gemessen – sehr schnell verdreifachte. Nach seiner Annahme könnten unsere Vorfahren bei ihrer Lebensweise als Sammler psylocybinhaltige Pilze gefunden haben, die im engeren Sinne des Wortes unser Bewusstsein erweitert und die Entwicklung unseres Hirns beschleunigt haben. Es ist eine Tatsache, dass Psilocybin in kleinen Dosen das Sehvermögen verbessert, seinem Benutzer beim Sammeln und der Jagd einen Vorteil verschafft und damit die ganze Gruppe erfolgreicher werden lässt. Andererseits stimuliert es in kleinen Dosen auch den Sexualtrieb, wirkt sich infolgedessen auf die Vermehrung aus und erhöht so gleichermaßen die Aussichten der Gruppe, am Leben zu bleiben. Eine kräftigere Dosis ruft die “schamanistische Ekstase” hervor, welche die Grenzen der Persönlichkeit niederreißt und ihrem Benutzer transzendentale Erlebnisse beschert. Gleichzeitig stimuliert sie die sprachlichen Fähigkeiten, was nach McKenna eine Explosion in der Evolution des Menschen hervorrief. “Wie man im XIX. Jahrhundert zu der Theorie kam, dass der Mensch von den höheren Säugetieren abstammt, mussten wir zu den Ansätzen kommen, die es als Tatsache ansehen, dass diese höheren Säugetiere auf Trip waren. Berauscht sein, scheint eine uns eigene Wesensart zu sein”, schlussfolgert er. Demzufolge stimmt er nicht mit den Forschern überein, die im Gebrauch von Halluzinogenen eine Entartung des Schamanismus sehen. Seiner Meinung nach verhält es sich genau umgekehrt: Eben die mit psychedelischen Drogen gepflegte enge Verbindung bedeutet, dass der Schamanismus in seiner lebendigen und ursprünglichen Form präsent ist. Übernahmen aber Rituale und verschiedene Formen des Auf-die-Probe-Stellens die Hauptrolle, degenerierte der Schamanismus langsam zu einem alltäglichen Glauben. Die Dekadenz begann also nicht mit dem Gebrauch der psychedelischen Drogen, sondern mit der Beendigung der Symbiose zwischen Pflanze und Mensch!

Gehirn, Zucker, Fernsehen

McKenna untersucht die von der Menschheit benutzten Formen der Bewusstseinsveränderung im Hinblick auf das Ziel, dem sie dienten und der Art, wie sie die Entwicklung der Kultur beeinflussten. Es ist daher nicht erstaunlich, dass wir unter den negativsten Drogen den Zucker und auch das Fernsehen finden. Sie ähneln sich darin, dass sie sich in sehr kurzer Zeit in sehr weiten Kreisen verbreiten und zu einer Abhängigkeit führen, die nur mit harten Drogen vergleichbar ist. Der Fernsehzuschauer verlässt die wirkliche Welt und tritt ein in einen passiven Seelenzustand, der, wenn er das ständig betreibt, seine persönlichen Kontakte schwächt und die Kommunikation um ihn herum verstummen lässt. Wird dies zu einem Massenphänomen – vor dem Auftreten des Internets war der Fernsehapparat der Herr im Schlafzimmer – dann ist McKennas Ansatz stichhaltig, wonach es vor dem Fernsehen “keine solche Droge in der Geschichte gegeben hat, der es vollkommen gelungen wäre, die von ihr infizierten kulturellen Werte so vollkommen umzuformen”. Die Antwort auf das Auftreten der Hippies, die aus der “TV-Narkose” ausbrachen und Halluzinogene benutzten, was zum Verbot der psychedelischen Drogen sowie der mit ihnen verbundenen Forschungen führte, war eine “doppelte Dosis TV-Therapie”, wodurch die Blumenkinder zu Yuppies umerzogen wurden, die der Konsumgesellschaft wesentlich sympathischer sind.

Katalysator der Evolution

Was aber hält McKenna wohl vom Cannabis, von dem er nach eigenem Bekunden seit 35 Jahren regelmäßig Gebrauch macht? Nun, der bedeutende Psychonaut sieht es so: Während die soziale Organisation und das kulturelle Selbstbild des feudalen Europas vom Alkohol determiniert wurde, überraschten beim Bau des indischen Delhi oder im alltäglichen Umgang Visionen der Unmittelbarkeit, die das Haschisch hervorrief. Man muss nicht ausdrücklich darauf hinweisen, dass Letztere eher nach dem Geschmack des Psychonauten sind. Das Marihuana ist in den Augen von McKenna das “mildeste Rauschmittel, das jemals benutzt wurde” und das nach den Pilzen am besten die soziale Interaktion in einer Gemeinschaft hervorbringt. Da aber das Cannabis weniger rivalisierendes, wettbewerbsorientiertes Verhalten hervorruft, hat es keinen Platz in einem modernen, auf Wettbewerb basierenden System, in einer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umgebung. Im Gegensatz zu Kaffee und Energiegetränken beispielsweise, die das Individuum innerhalb des Konkurrenzkampfes stimulieren. Nach McKenna wäre ein Effekt der Marihuana-Legalisierung – ungeachtet der ökonomischen Vorteile –, dass in der Gesellschaft die Dominanz des egozentrischen Wertesystems zurückgedrängt würde und mit der Aufweichung der starren, persönlichen Grenzen eine Zusammenarbeit partnerschaftlicher Gemeinschaften entstehen könnte. Könnten wir nämlich erreichen, dass die Natur nicht mehr der Wirkung der Gesetze unterliegt, eröffnete sich uns ein kleines Paradies!
Sein Lieblingsgebiet, die Wirkung der psychedelischen Drogen auf die Psyche und die Kultur – heute und in der Zukunft – erörtert er erst am Ende des Buches. So, wie viele andere, meint auch er, dass die Befreiung des Bewusstseins aus der Kontrolle der Macht zum raschen Verbot der psychedelischen Drogen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts führte, ohne ihr ungenutztes therapeutisches und psychologisches Potenzial zu bedenken. Doch sind die psychedelischen Drogen auch heute noch in der Lage, die Rolle des Katalysators der Evolution einzunehmen, ja, die Benutzer von DMT könnten sogar direkte Sendboten der Zukunft sein. Er selbst trug mit der Verkündung eines Zehn-Punkte-Programms zur Schaffung einer Demokratie bei, welche die Daseinsberechtigung der Bewusstseinsveränderung in Ehren hält. Stellenweise mag es vielleicht gewagt klingen, aber auf jeden Fall ist es wert, darüber nachzudenken. Speisen der Götter ist das grundlegende Werk der psychedelischen Kultur, das alle Interessierten getrost in ihre Pflichtlektüre einreihen können.

Terence Kemp McKenna (16. November 1946 – 3. April 2000), amerikanischer Ethnobotaniker, Philosoph, Psychonaut, Forscher, Lehrer, Lektor und Schriftsteller. Er war bekannt für sein umfassendes Wissen und seine außerordentliche Fähigkeit, die oft durch eigene Erfahrungen gewonnenen Erkenntnisse über psychedelische Drogen und entheogene Stoffe zu vermitteln. Er beschäftigte sich mit dem Schamanismus, der Sprache, geschichtlichen und zivilisatorischen Ereignissen, dem Ursprung des menschlichen Bewusstseins und stellte ein neues theoretisches Konzept auf. Der Titel seines Werkes lautet: Speisen der Götter. Die Suche nach dem ursprünglichen Baum der Weisheit (Grüne Kraft Verlag, Löhrbach).

 

 

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