Pflanzen sind unsere Verbündete

Kratom und Hanf statt Opiaten

Die verheerende Opiatkrise in den USA bewegt Millionen KonsumentInnen, nach weniger gefährlichen Alternativen zu suchen. Neben Cannabis bietet eine weitere Pflanze, das Kratom, vielen PatientInnen die Möglichkeit, sich aus der Gefangenschaft von Analgetika oder Heroin zu befreien. Doch statt die Entwicklung zu unterstützen und in geregelte Bahnen zu lenken, wird staatlicherseits wieder einmal an unsinnige Verbote gedacht.

Jährlich sterben in den USA etwa 50.000 Menschen an der Überdosierung von Opiaten. In den vergangenen fünf Jahren stieg die Zahl der Opfer steil an. Dieser Prozess hat verschiedene Ursachen. Einerseits wurde Heroin wieder populär, andererseits wird es von Dealern oft mit dem wesentlich potenteren Fentanyl gestreckt, was in der Kombination tödlich sein kann. Überdosierung ist aber nur ein Gesichtspunkt. In der außer Kontrolle geratenen Situation beschuldigen viele die Ärzteschaft, oft unbegründet starke opiathaltige Schmerzmittel zu verschreiben, deren Dosis ständig erhöht werden müsse, um die gleiche Wirkung zu erreichen. Deswegen wechselten viele PatientInnen letztendlich zu Heroin oder Fentanyl. Da der Konsum von Opiaten immer mit einem hohen Risiko verbunden ist, ist es unumgänglich, weniger gefährliche Alternativen zu entwickeln. Wir können auf Anhieb zwei solcher Heilpflanzen anbieten, doch sind beide wegen politischer Kurzsichtigkeit verboten.

Schadensminimierung reloaded

Wo sind die Zeiten geblieben, in denen wir bei dem Wort „Schadensmimimierung“ nur an sterile Spritzen, Druckräume und Ähnliches im Zusammenhang mit dem intravenösen Gebrauch von Rauschmitteln dachten? ForscherInnen, persönlichen Erfahrungsberichten und progressiven politischen Entscheidungen ist es zu verdanken, dass heute außer Frage steht, dass dem Cannabis in der Zurückdrängung der Opiatkrise eine mindestens ebenso große Rolle zuteil wird wie den sterilen Nadeln bei der Bekämpfung von Aids. Es genügt zu erwähnen, dass in den US-Staaten, in denen der medizinische Gebrauch erlaubt ist, die Zahl der Todesfälle durch Opium-Überdosierung um 25 Prozent gesunken ist. Aus Fragebögen und in persönlichen Interviews erfuhren die ForscherInnen, dass PatientInnen, die unter starken Schmerzen litten, zum größten Teil mit dem Gebrauch von Cannabis produktiver und sozialer seien, zudem unter sehr viel weniger Nebenwirkungen litten als bei der Schmerzbehandlung mit Opiaten. Aber die Politik akzeptiert diese Tatsachen nur langsam. Vorläufig kann sich glücklich schätzen, wer die Möglichkeit hat, rezeptpflichtige, opiumhaltige Medikamente durch Cannabis zu ersetzen und mit entsprechenden Sorten aus staatlichen Cannabisläden experimentieren zu dürfen. Eingedenk dessen war es vorhersehbar, dass die Politik bei einem anderen, ebenfalls seit Jahrhunderten benutzten pflanzlichen Mittel keine gottgegebene Möglichkeit sah, sondern nur die Aufgabe, Ordnung zu schaffen.

Natürliches Schmerzmittel, das auch die Stimmung verbessert

In der 29. Ausgabe der Medijuana (6/2016) stellten wir die in Südostasien heimische Pflanze Kratom vor, deren Blätter seit Jahrhunderten zur leichten Stimulation und Stärkung der Abwehrkräfte konsumiert werden und in größeren Dosen als Schmerzmittel und zur Beruhigung Einsatz finden. Im letzten Jahrzehnt verbreitete sich die Pflanze auch in der westlichen Welt, hauptsächlich nachdem erkannt wurde, dass sie mit ihrer Wirkung auf die Opioidrezeptoren wirksam das Verlangen nach Opiaten senkt, während ihre Nebenwirkungen deutlich schwächer sind. In der Praxis bedeutet dies, dass Menschen, die regelmäßig Opiate konsumieren – beispielsweise Heroinabhängige – mit Kratom Entzugserscheinungen reduzieren und ohne sich zu sedieren den ganzen Tag aktiv bleiben können. Im Gegensatz zu Opiaten bildet sich nicht so schnell Toleranz heraus, das heißt, dass die Dosis nicht so schnell gesteigert werden muss. Doch auch bei einer Erhöhung der Dosis ist nicht mit tödlicher Überdosierung zu rechnen – solange man Kratom nicht mit anderen Mitteln mischt.

Wir können also den Kratombaum neben der Cannabispflanze als zweiten bedeutenden Verbündeten in der Schlacht gegen die Opiate betrachten. Problematisch ist nur, dass sich gegenwärtig nur wenige Forschungsarbeiten mit den medizinischen Wirkungen von Kratom beschäftigen. Es ist also nicht überraschend, dass die Pflanze in keiner Form auf der Liste der zugelassenen Medikamente erscheint und ÄrztInnen sie daher nicht verschreiben können. KonsumentInnen sind somit gezwungen, eine Selbstdiagnose zu stellen, sich mit Recherchen im Internet behelfen und getrocknete Blätter oder Konzentrate in verschiedenen Shops zu beschaffen. Doch die Nachricht macht die Runde und es gibt eine große Zahl von Menschen, die mit Kratom experimentieren. Schätzungsweise benutzen drei bis fünf Millionen US-AmerikanerInnen regelmäßig Kratom und nach einer Studie aus dem Jahr 2017 haben zwei Drittel von ihnen dadurch Heroin oder rezeptpflichtige Analgetika absetzen können. Demnach haben mindestens zwei Millionen US-AmerikanerInnen einen Ausweg aus dem Labyrinth der Opiate gefunden, was allein schon ein Grund zum Feiern wäre. Die US-Regierung denkt jedoch anders.

Panik ist ein schlechter Ratgeber

Wenn Millionen von Menschen etwas Neues aufgreifen, ist die typische Reaktion der Politik, nicht über die Motive der KonsumentInnen oder die Vorzüge ihrer Entscheidung nachzudenken, sondern, Panik zu schüren und tödliche Gefahren vorzugaukeln. Es ist richtig, dass der Konsum von Kratom nicht risikofrei ist – regelmäßiger Gebrauch kann zu Abhängigkeit führen (obwohl diese in keinem Verhältnis zur Opiatabhängigkeit steht), zu Appetitlosigkeit und schlechtem Schlaf. Einige ForscherInnen befürchten, es könne sich negativ auf die Lernfähigkeit und das Gedächtnis ausüben und in Ausnahmefällen zu schweren Lebererkrankungen führen. Natürlich darf man diese Risiken nicht auf die leichte Schulter nehmen, doch die Handlungsweise der US-amerikanischen Regierung ist die schlechteste Reaktion angesichts der Opiatkrise. Unter Obama versuchte man zum ersten Mal im Jahr 2016, den Handel mit der Pflanze zu verbieten. Damals leisteten zahlreiche Fachleute und die Interessenvertreter der KonsumentInnen Widerstand. Der Aufschub währte bis Ende 2018, als die Drug Enforcement Administration (DEA) es für unabwendbar hielt, Kratom auf die Liste der gefährlichsten illegalen Mittel zu setzen. Es blieb jedoch die Frage offen, wann dies geschehen würde. Im Zeitalter des Darknets und der Designerdrogen kann kein verantwortungsbewusster Mensch ernsthaft glauben, dass der Drogenhandel mit einem Verbot beendet werden kann oder die damit verbundenen Risiken minimiert würden. Statt es in speziellen Geschäften, eventuell unter ärztlicher Aufsicht zugänglich zu machen, wird nach einem Verbot der Schwarzmarkt aufblühen und illegale Laboratorien werden um die Gunst der KonsumentInnen wetteifern.

Ein neuer Markt für die organisierte Kriminalität

Mit etwas Kenntnis der Gesetzmäßigkeiten des Schwarzmarktes lässt sich vorhersagen, dass die Platzierung von Kratom auf der Verbotsliste mehr negative als positive Ergebnisse zeitigen wird. Durch ein Verbot werden mehrere Millionen KonsumentInnen mit einem Schlag ihres Mittels beraubt, und auch dann müssen ihre Schmerzen gestillt werden. Manche von ihnen werden die Möglichkeit haben, mit einer ärztlichen Verschreibung auf Cannabis auszuweichen, doch ein Teil der gegenwärtigen KonsumentInnen wird gezwungen sein, wieder Opiate zu nehmen, und andere werden sich illegal Kratom beschaffen. Die Stelle der momentan legal betriebenen Geschäfte übernehmen dann Verbrecherkartelle, von denen nicht zu erwarten ist, dass sie den Verbraucherschutz im Auge haben. Laboranalysen entdeckten jetzt schon mit Opiaten gepushte Kratomproben. Nach einem Verbot dürfte dies Usus werden, denn Dealer vertreiben immer die potentesten Sorten. Außerdem wären sie verrückt, wenn sie nicht versuchten, ihre KundInnen zum Konsum von Opiaten zu verführen, die einen größeren Gewinn abwerfen. Da die Einzeldosen bei Kratom im Vergleich zu den meisten Drogen recht hoch liegen – 3 bis 15 Gramm – werden die Händler, um möglichst viele wirksame Dosen aus jedem Kilo ihrer Ware zu portionieren, sicher tricksen. Illegale Labors haben bereits begonnen, die Wirkstoffe zu verändern und zu verstärken. Mit welchen Risiken das einhergeht, wissen wir ebensowenig, wie dies bei den ständig veränderten synthetischen Cannabinoiden der Fall ist. Die Welt müsste es doch eigentlich als Geschenk auffassen, dass eine Pflanze mit solch geringen Risiken bei der Zurückdrängung der Opiatkrise helfen kann, und sie nicht in die Hände von Kriminellen geben, die aus ihr ein Monstrum erschaffen könnten. Beim Cannabis setzt sich weltweit die Einsicht durch, dass die strenge aber legale Regulierung die ideale Lösung darstellt, und nach 80 Jahren kehren langsam Präparate auf Cannabisbasis auf die Regale der Apotheken zurück. Es wäre traurig, wenn beim Kratom zu den Schäden durch das Verbot Hunderttausende vermeidbare Todesfälle kämen.

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