Nicht nur Symptombehandlung

Cannabis in der Multiple-Sklerose-Therapie

Bei der Linderung von Krämpfen und Schmerzen sind aufgrund der jahrzehntelangen Forschung die positiven Wirkungen des Cannabis gegen diese Symptome am überzeugendsten. Diesem Umstand ist es zu verdanken, dass die Programme für therapeutisches Cannabis von Anfang an der Multiplen Sklerose (SM) besondere Aufmerksamkeit widmeten. Wir betrachten im Folgenden die Wirkungsmechanismen der Cannabinoide und die bisherigen Erfahrungen in der Behandlung dieser Krankheit.

 

Multiple Sklerose ist eine chronische, degenerative Erkrankung des zentralen Nervensystems, die Entzündungen, Muskelschwäche und motorische Störungen verursacht. Mit der Zeit werden SM-Kranke in ihrer Selbstständigkeit und Lebensqualität oft dauerhaft behindert und in bestimmten Fällen kann diese Krankheit sogar tödlich verlaufen. Die ersten Symptome stellen sich im Allgemeinen im Alter von 20 bis 40 Jahren ein. Auf der Welt gibt es insgesamt 2,5 Millionen SM-Kranke, Frauen erkranken häufiger.

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Wissenschaftliche Erkenntnisse

In der Fachliteratur finden sich klinische und Einzelfallberichte in großer Zahl darüber, dass die Cannabinoide (die medizinisch aktiven Bestandteile der Cannabispflanze) in der Lage sind, die mit SM verbundenen Symptome wie Schmerzen, Krämpfe, Depression, Müdigkeit und Inkonsistenz zu reduzieren. In einer 2008 publizierten Studie der University of California berichteten die ForscherInnen darüber, dass inhaliertes Cannabis die Intensität der Schmerzen und die objektiven Anzeichen von Krämpfen bei SM-Kranken in einer randomisierten klinischen Untersuchung beträchtlich verringerte. Die ForscherInnen kamen zu dem Schluss, dass „bei Patienten, die unter Multipler Sklerose leiden, die Anwendung des Cannabis bei der Reduzierung von Krämpfen und Schmerzen das Placebo übertrifft und etwas vorteilhafter war als die bisher beschriebenen Therapien“.

In einer randomisierten kontrollierten Studie im Jahre 2012 zeigte inhaliertes Cannabis bei SM-Kranken, die auf die traditionelle Therapie nicht ansprachen, ähnliche Ergebnisse. Die Studie, die in der Zeitschrift des kanadischen Ärzteverbandes publiziert wurde, kommt zu dem Ergebnis, dass Cannabis die Placebos bei der Reduktion der Symptome und Schmerzen übertraf. Es ist keine Überraschung, dass nach einer Untersuchung jeder zweite SM-Kranke die Pflanze zu therapeutischen Zwecken konsumiert.

Andere Studien weisen darauf hin, dass die Cannabinoide über die Behandlung der Symptome hinaus fähig sind, SM in seiner Entwicklung zu bremsen. Die wissenschaftliche Zeitschrift Brain veröffentlichte 2003 den Bericht des Nervenforschungsinstituts der University of London, nach dem der synthetische Cannabinoidagonist WIN 55,212-2 bei SM-kranken Tieren neuroprotektive (nervenschützende) Wirkung zeigte. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Cannabis neben der Behandlung der Symptome jene neurodegenerativen Prozesse verlangsamen kann, die bei Multipler Sklerose und wahrscheinlich auch bei anderen Krankheiten schließlich zur chronischen Behinderung führen.

2012 berichteten spanische ForscherInnen über ähnliche Ergebnisse. Sie dokumentierten, dass bei Mäusen eine Behandlung mit einem synthetischen Cannabinoid die neurologischen Schäden und das Fortschreiten der Krankheit verringerten. In einer 2006 fertiggestellten offenen Untersuchung gaben 167 an Multipler Sklerose leidende PatientInnen an, dass Cannabinoid-Pflanzenextrakte ihre Schmerzen, Krämpfe und Inkonsistenz linderten, ohne dass die Versuchspersonen ihre Dosis erhöhen mussten. Die Therapie dauerte im Durchschnitt 434 Tage.

Eine andere, zweijährige Studie berichtete 2007 darüber, dass die Anwendung von Cannabisextrakten bei SM-Kranken langfristig die neuropathischen Schmerzen reduziere. Die UntersuchungsteilnehmerInnen benötigten im Durchschnitt eine geringere Tagesdosis des Extrakts und die angegebenen mittleren Schmerzwerte sanken, je länger sie es einnahmen. Den ForscherInnen zufolge bedeuten diese Ergebnisse in Fällen von anderen progressiven Krankheiten ähnlich der Multiplen Sklerose, dass die Cannabinoidtherapie den Verlauf auch dieser Krankheiten bremsen könne.

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Sativex – das zugelassene Cannabispräparat

Sativex® ist ein aus Cannabis-Sativa-Pflanzenextrakten hergestelltes Spray, das von GW Pharmaceuticals entwickelt wurde. Das Präparat enthält THC und CBD sowie andere cannabinoide und nicht cannabinoide Bestandteile. Bei der Anwendung von Sativex werden die Wirkstoffe über die Mundschleimhaut – unter der Zunge oder im Rachenraum – aufgenommen.

Der Wirkungsmechanismus der Cannabinoide wurde erst mit der Entdeckung der beiden Cannabinoidrezeptoren CB 1 und CB 2 sowie einer inneren Cannabinoidverbindung namens Ananamid verständlich. Anandamid entfaltet seine Wirkung, indem es zweitrangige Boten-RNA blockiert, die sich im zentralen Nervensystem in den für Schmerz, Erinnerung und für die Vermittlung von anderen grundlegenden Funktionen zuständigen Regionen gruppieren. Anandamid und THC verbinden sich in gleicher Weise mit denen im Hirn befindlichen CB1-Cannabinoidrezeptoren. Die Aktivität der Cannabidiole (CBD) mit dem CB 1 ist hingegen gering, größere Aktivität herrscht mit den Cannabinoidrezeptoren vom Typ 2 (CB 2), die sich zum größten Teil an der Peripherie befinden.

THC und CBD sind gleichermaßen neuroprotektive Antioxidantien, die bei traumatischen Kopfverletzungen, Schlaganfällen und degenerativen Hirnkrankheiten ihre positive Wirkung zeigen. Vor Kurzem wurde aufgezeigt, dass CBD auch die Vanilloid-Rezeptoren (VR 1) stimuliert, die Aufnahme von Anandamid verhindert und dessen Abbau blockiert. Diese neuen Ergebnisse haben eine große Bedeutung für die Erforschung der schmerzstillenden, entzündungshemmenden und immunisierenden Wirkungen des CBD. Die Kombination von THC, CBD und ätherischen Ölen in medizinischen Extrakten auf Cannabisbasis lassen solche Therapiepräparate entstehen, deren Vorzüge die Summe ihrer Bestandteile übertreffen – das erklärt die Wirksamkeit von Sativex in der Behandlung von SM-Symptomen.

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Cannabinoide auf Rezept

In den letzten Jahren haben die medizinischen Gesetzesregelungen in Kanada, Neuseeland, Israel, Dänemark, Deutschland, Österreich, Finnland, Island, Norwegen, Spanien, Polen, Schweden, Italien, der Schweiz und Großbritannien die Verschreibung von Cannabisextrakten zur Behandlung der Symptome von Multipler Sklerose erlaubt. Die Partner von GW Pharmaceuticals vertreiben in den USA und 16 weiteren Ländern Sativex zur Therapie der mittelschweren bis schweren Spastik bei Multipler Sklerose. Die Pharmafirma erhielt in zwölf weiteren Ländern die behördliche Zulassung und rechnet damit, dass sie den Handel im nächsten Jahr in weitere Länder ausdehnen kann – in erster Linie in den Nahen Osten und Lateinamerika, wo innerhalb der nächsten zwölf Monate die Zulassung erwartet wird.

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