„Nicht im Traum hätte ich mit einem solchen Erfolg gerechnet“

Vom Korruptionsskandal bis zur medizinischen Zulassung in Mazedonien

In Mazedonien war eine Kampagne für medizinisches Cannabis für osteuropäische Verhältnisse ungemein erfolgreich. Hierbei spielten die geheime Verbreitung der Cannabisöltherapie und ein Korruptionsskandal, der die Regierung bedrohte, eine Rolle. Die Einzelheiten der Geschichte erzählte uns einer der bekanntesten mazedonischen Cannabisaktivisten Filip Dostovski.

 

Der Cannabiskonsum der zwei Millionen MazedonierInnen wird in erster Linie davon bestimmt, dass der südliche Nachbar Albanien der vielleicht größte illegale Cannabisproduzent Europas ist. Daher konsumierte man lange das billige albanische Gras von minderer Qualität, statt selbst anzubauen oder sich für eine Legalisierung einzusetzen. Filip probierte im Alter von zwölf Jahren zum ersten Mal Cannabis und seit seinem 16. Lebensjahr konsumiert er es regelmäßig. Mit 15 wurde bei ihm das Hodgkin-Lymphom diagnostiziert, eine bösartige Tumorerkrankung des Lymphsystems. Das war 1995, als das Wissen über die positiven Wirkungen von Cannabis noch nicht sehr verbreitet war, besonders nicht in Osteuropa. Filip erhielt in Slowenien eine Chemotherapie und eine Strahlenbehandlung, welche das Lymphom beseitigte, aber Nebenwirkungen wie Schlaflosigkeit und Beklemmungszustände mit sich brachte. „Im Krankenhaus bot mir ein slowenisches Mädchen einen Joint an, nachdem ich ihr meine Geschichte erzählt hatte. Nach ein paar Zügen spürte ich sofort eine wohltuende Wirkung. Der Freizeitgebrauch ist ein angenehmer Zeitvertreib, aber bei schweren Gesundheitsstörungen, beispielsweise bei starken Schmerzen, bietet Cannabis eine wahre Erleichterung“, erinnert sich Filip an seinen ersten medizinischen Gebrauch.

 

Das Öl schlug ein wie eine Bombe

Während seiner Zeit in Slowenien verheimlichte Filip weder seiner Mutter noch den ÄrztInnen den Cannabisgebrauch und erklärte ihnen, welch große Hilfe ihm die Pflanze war. Nach der Heilung blieb er beim gelegentlichen Konsum und begann mit dem Guerillaanbau. Er dachte damals noch nicht an Prophylaxe, denn von der krebshemmenden Wirkung des Cannabis hatte er noch nicht gehört. Erst ein paar Jahre später lernte er die Geschichte von Rick Simpson kennen und die Methode zur Herstellung von Cannabisöl (RSO), doch stand er dem anfänglich skeptisch gegenüber. Nur aus Neugier stellte er eine Dosis aus minderwertigem Gras her, rauchte damit getränkte Zigaretten und ließ es dabei bewenden. Zwei Jahre später, 2010, tauchte Filips Lymphom wieder auf und man entnahm eine Probe aus seinen Lymphknoten. „Mein erster Gedanke galt dem Öl – ich habe wieder eine Portion hergestellt, die ich nicht aufrauchte, sondern nach Rick Simpsons Methode konsumierte. Bei der Untersuchung zwei Monate später erwiesen sich die Lymphknoten als gesund.“ Der behandelnde Arzt war der gleiche, der ihn vor fünfzehn Jahren geheilt hatte, er war in der Zwischenzeit zu einem Freund der Familie geworden. Filip berichtete dem Arzt nicht nur von seinen Erfahrungen, sondern gab ihm auch eine Probe seines Öls. Die Ehefrau des Arztes, eine Anästhesiologin, zeigte Interesse am Cannabis, bewahrte eine Probe und benutzte sie bei einem Patienten. Später stellte Filip Öl für eine leukämiekranke Frau her, deren Zustand sich schnell besserte. Diese Frau berichtete in der Öffentlichkeit über die Heilung mit RSO und weckte damit das öffentliche Interesse am medizinischen Cannabis in Mazedonien.

 

Kurpfuscherei oder Medizin?

Die steigende Nachfrage bewog Filip, die Angelegenheit ernst zu nehmen, und er gründete mit Freunden die Organisation Zelena Alternativa (Grüne Alternative). „In Mazedonien bekommst du ein Kilo Cannabis aus Albanien für 200 €, was für die Herstellung von 100 bis 120 Milliliter RSO ausreicht. Die Aktivisten legen zusammen und geben jeweils drei bis fünf Milliliter an Patienten weiter. Wenn wir positive Befunde erhalten, ermuntern wir die Leute, selbst Öl herzustellen, das wir dann anderen Kranken weiterreichen können. Damit ist garantiert, dass der Vertrieb ohne Geld funktioniert. Und in ein paar Jahren bringen wir jedem bei, wie man Öl herstellt. Die Rezepte und die Herstellungsmethode kann man sich auch auf einem Videokanal anschauen, sodass wirklich jeder es lernen kann.“ Die Organisation bot also anfänglich Öl ohne ärztliche Assistenz an, wodurch Probleme auftraten. Während die meisten gute Ergebnisse erzielten, gab es manchmal Kritik wegen der Nebenwirkungen. Filip kontaktierte Rick Simpson und dieser vermittelte ihn an internationale Sachverständige: den Israeli Lumír Hanuš, den Kanadier Paul Hornby und Robert Melamede aus den USA. Viele PatientInnen und auch ÄrztInnen können ihnen für ihre Ratschläge dankbar sein. Auf einem Seminar für medizinisches Cannabis im Jahre 2014 in Slowenien traf Filip Rick Simpson und andere Sachverständige persönlich. Noch im gleichen Jahr veranstalteten sie das erste Seminar in Skopje, dem bis heute sechs weitere folgten. Die positiven Reaktionen erklärt die Organisation damit, dass sie schon zwei bis drei Jahre vor der Gründung 2014 Erfahrungen mit der Ölherstellung gesammelt hatten und es eine Mundpropaganda über die Heilwirkungen des Cannabis gab. 2015 unterstützten schätzungsweise 70 Prozent der erwachsenen Bevölkerung Mazedoniens medizinisches Cannabis.

Politischer Rückenwind, durchwachsene Resultate

Die Organisation Zelena Alternativa zog bald das Interesse von PolitikerInnen der Regierungspartei auf sich, besonders deshalb, weil der damalige Ministerpräsident Nikola Gruevski gerade in einen Korruptionsskandal verwickelt war. Als seine Machenschaften an die Öffentlichkeit gerieten, begann er, die Legalisierung des medizinischen Cannabisgebrauchs mit voller Kraft zu unterstützen. Er versuchte, schnellstmöglich ein entsprechendes Gesetz zu erlassen, um bis zu den Wahlen 2016 an der Macht bleiben zu können. Als er Rat bei Filips Organisation einholte, stellte man ihm drei Forderungen: 1) den Cannabisanbau mit einer Lizenz zu ermöglichen, 2) keinen THC-Grenzwert für medizinische Präparate festzulegen und 3) Fachleuten die Cannabisforschung zu ermöglichen. „Ich hätte nicht im Traum daran gedacht, dass man all dies akzeptieren und in Gesetzesform bringen würde!“

Obwohl Gruevski trotz aller Bemühungen die Wahl nicht gewann und sich seit letztem Jahr wegen einer zu verbüßenden Gefängnisstrafe auf der Flucht befindet, unterstützt die neue Regierung diese Angelegenheit und verabschiedete das Gesetz. Seminare vermitteln mazedonischen ÄrztInnen die Kenntnisse über die Anwendung von medizinischem Cannabis. Filip ist der Meinung, dass noch weitere Gesetzesänderungen notwendig sind, da bisher nur vier Krankheitsgruppen festgelegt sind: Krebserkrankungen, Epilepsie, Aids und Multiple Sklerose. „Dieser Liste liegen keine Forschungsergebnisse zugrunde. Die Regierung hat einfach die Krankheiten ausgewählt, für die sie die meisten Google-Treffer fand.“ Ein weiteres Problem ist, dass die zehn Unternehmen, die eine Lizenz zum Cannabisanbau erhalten haben, ausschließlich für den Export produzieren. Infolgedessen findet man momentan in den Apotheken keine Präparate aus einheimischer Produktion und Kranke können nur auf ausländisches Cannabis zurückgreifen, das ziemlich teuer ist. Wegen der hohen Preise beschaffen sich viele PatientInnen ihr Medikament lieber auf der Straße. „Vergebens propagiert die Regierung die medizinischen Vorzüge des Cannabis, wenn die Produkte der privaten Firmen nicht in die Apotheken gelangen. Öl mit einem THC-Gehalt von 600 mg kostet auf Rezept momentan ungefähr 150 €, auf der Straße bekommt man es für 20 €. Im Endeffekt hat die Regierung also den Schwarzmarkt gestärkt. Möglicherweise sind auch sie sich im Klaren darüber, sodass in Zukunft Gesetzesveränderungen zu erwarten sind.“

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