Medizinisches Cannabis in Tschechien

Pionierarbeit von MedizinerInnen und PharmazeutInnen in Brünn

Mitte April fand an der Mendel-Universität in Brünn, der zweitgrößten tschechischen Stadt, die Konferenz zum medizinischen Cannabis statt, wo MedizinerInnen, PharmazeutInnen und WissenschaftlerInnen aus Tschechien und dem Ausland die Ergebnisse ihrer Forschung und aktuelle Behandlungsmethoden vorstellten. Einer der Höhepunkte war der Vortrag von Dr. Radovan Hřib, der in der Universitätsklinik St. Anna arbeitet und die Behandlung von mehr als 80 SchmerzpatientInnen mit medizinischem Cannabis überwacht.

Dr. Radovan Hřib ist Leiter des Zen-trums für Schmerzbehandlung an der Universitätsklinik St. Anna in Brünn und verschreibt seit 2015 (mit einigen Unterbrechungen) offiziell medizinisches Cannabis und ist heute der bekannteste tschechische „Cannabisdoktor“, der diese natürliche Medizin in seiner Praxis benutzt.

 

Eröffnung einer Vaporizer-Station im Krankenhaus

Einen Tag vor der Konferenz berichteten fast alle tschechischen Medien von der Schaffung einer „Vaporizer-Station zu Unterrichtszwecken“ am Zentrum für Schmerzbehandlung in Brünn unter der Leitung von Dr. Radovan Hřib. Diese Station gehört zu den ersten ihrer Art weltweit (wenige ähnliche existieren in einigen Krankenhäusern in Israel und Kanada), wo registrierte PatientInnen getrocknete Cannabisbuds mit den Vaporizern Volcano Medic und Mighty Medic inhalieren. Diese beiden Geräte des Herstellers Storz & Bickel tragen als einzige das Zertifikat „medizinisch“ und kosten zwischen 350 und 500 €, was bedeutet, dass sie für die meisten PatientInnen zu teuer sind. Die PatientInnen im Brünner Zentrum für Schmerzbehandlung können sie kostenlos benutzen und eine viel gesündere Methode des Konsums von medizinischem Cannabis ausprobieren.

Das System funktioniert folgendermaßen: Ein Arzt im Schmerzzentrum verschreibt medizinisches Cannabis, der Patient kauft es in der Apotheke und geht zurück zum Arzt, um die möglichen Wirkungen zu besprechen, den Vaporizer vorzubereiten und die Dosierung festzulegen.

Der Betreiber des größten tschechischen E-Shops für Vaporizer erzählte uns, dass die Besucherzahlen seiner Webseite explodierten, nachdem die Medien über die Station im Krankenhaus von Brünn berichtet hatten; unterdessen musste Dr. Hřib den Zeitungen klarmachen, dass die Station eine professionelle medizinische Institution ist und kein „Drogenhaus, wie viele vielleicht denken. Es besteht ein großer Unterschied zwischen dem Rauchen von Cannabis und dem Einatmen von Dämpfen.“

Eine lange Reise

Das Zentrum für Schmerzbehandlung benötigte zwei Jahre, um die nötigen Papiere (zum Beispiel medizinische Zertifikate für die Vaporizer) zu beschaffen und die Station in Betrieb zu nehmen. Dr. Hřib und seine KollegInnen verschrieben vorher Kapseln in Zusammenarbeit mit örtlichen Apotheken. Die tschechischen Gesetze verbieten den Import von Cannabisextrakten und -tinkturen. Eingeführt werden dürfen nur getrocknete Kräuter, was bedeutet, dass die Kräuter der kostengünstigste Weg waren, die PatientInnen mit Medizin zu versorgen. Die Herstellung von Extrakten im Krankenhaus wäre nach Angaben von Dr. Hřib zu teuer geworden, die Kapseln waren hingegen billig, wie wir später sehen werden.

 

Komplizierte Situation

Seitdem 2014 das Gesetz über medizinisches Cannabis in Kraft trat, sind nur 5 kg Cannabis an PatientInnen verkauft worden. Im Durchschnitt kaufen monatlich nur 26 PatientInnen in Apotheken ein. Die Gesamtzahl der PatientInnen für medizinisches Cannabis liegt offiziell bei 100 Personen, was ein trauriger Witz ist, weil die neueste Studie des Nationalen Zentrums für Drogenmonitoring belegt, dass etwa 880.000 TschechInnen in den letzten zwölf Monaten aus medizinischen Gründen ihr eigenes Cannabis benutzten, obwohl es illegal ist! Das ist fast ein Zehntel der Gesamtbevölkerung der Tschechischen Republik.

Was ist die Ursache des gewaltigen Unterschieds zwischen der Zahl der offiziell legalen CannabispatientInnen und jener Personen, die es illegal für medizinische Zwecke benutzen? Das Hauptproblem ist, wie auch wiederholt auf der Konferenz in Brünn angemerkt wurde, dass der Preis für Cannabis in den Apotheken zu hoch ist und die staatlichen Krankenkassen sich weigern, die Kosten zu übernehmen. Dies ist der Hauptgrund, warum tschechischen PatientInnen ihre deutschen NachbarInnen beneiden, da dort zwei Dritteln der PatientInnen medizinisches Cannabis von Krankenkassen voll bezahlt wird, was dazu führte, dass die Zahl der PatientInnen gewaltig anstieg.

Ein weiterer bedeutender Grund ist die unnötige bürokratische Belastung für ÄrztInnen, die medizinisches Cannabis verschreiben wollen, und die ablehnende Haltung anderer, neue Behandlungsmethoden kennenzulernen. Viele sind von der widersprüchlichen Geschichte des Cannabisverbots verunsichert. Im nachfolgenden Interview mit Dr. Radovan Hřib bringen wir diese und viele andere Gesichtspunkte zum Thema medizinisches Cannabis und seine Verbreitung unter PatientInnen zur Sprache.

Medijuana: Warum verschreiben Sie als Algologe Cannabis?

Dr. Radovan Hřib: Je länger ich Cannabis benutze, desto mehr bin ich fasziniert und desto lieber verschreibe ich es. Ich habe es jedoch, wegen der Versorgungsengpässe, noch nicht lange genug zur Verfügung, um meine Patienten von den Standardmedikamenten abzubringen, also benutze ich es zusammen mit den konventionellen Medikamenten wie Opioiden oder Nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR), um ihren Zustand zu verbessern.

MED: Wie genau?

RH: Dank Cannabis haben wir die Möglichkeit, den sogenannten Teufelskreis der Schmerzen zu unterbrechen, indem wir die Schmerzen selbst reduzieren, Angstzustände minimieren und den Schlaf verbessern. Was den Schlaf betrifft, gibt es nicht viele wissenschaftliche Beweise, aber der erste Eindruck von 99 Prozent meiner Patienten nach Beginn der Cannabisbehandlung ist ein deutlich besserer Schlaf. Und folglich, wenn die Leute besser schlafen und ruhen, können sie auch besser mit dem Schmerz umgehen.

MED: Was ist der Hauptgrund, warum so wenige Ärzte in Tschechien Cannabis verschreiben?

RH: Es gibt einen Mangel an zuverlässigen Informationen. Nach meiner Erfahrung gibt es bei den Medizinern sowohl unerfüllbare Erwartungen als auch absolute Verdammnis. Beides ist natürlich unangemessen. Dann gibt es natürlich die Faulheit, den Unwillen und die Vorwände, wie zum Beispiel „Wir haben nicht genügend Belege.“ Und natürlich gibt es auch die Angst, etwas Neues zu erfahren.

MED: Es gibt auch Probleme mit dem komplizierten Prozess der elektronischen Verschreibung und die Bürokratie in diesem System, nicht wahr?

RH: 2015 war es wie ein Marathonlauf, wenn jemand legal medizinisches Cannabis verschrieben bekommen wollte, aber heute würde ich sagen – in athletischer Terminologie – ist es nur noch ein Sprint über 400 oder 800 Meter. Heutzutage laufen alle Verschreibungen über das elektronische System, und die nötigen Papiere bei der Staatlichen Agentur für medizinisches Cannabis (SAKL), die Ärzten erlaubt, es zu verschreiben, dauern kaum mehr als eine Woche. Ich möchte diese staatliche Institution nicht verteidigen, aber es ist kein Problem mehr. Wer behauptet, wegen des elektronischen Systems kein Cannabis verschreiben zu können, sagt nicht die Wahrheit. Natürlich kann es auch Softwareprobleme geben, aber die sind lösbar.

MED: Vor drei Jahren haben Sie und ihre Kollegen in der Krankenhausapotheke begonnen, Kapseln aus gemahlenem, decarboxyliertem Cannabis herzustellen. Warum Kapseln und keine Extrakte oder Suppositorien?

RH: Not macht erfinderisch. Kapseln mit getrockneten Kräutern sind natürlich keine perfekte Lösung, aber bei der Schmerzbekämpfung wirken sie gut und wir haben gute Ergebnisse. Suppositorien kann man aus Kräutern nicht ordentlich herstellen und wegen des sogenannten Entourage-Effekts müssen wir den Patienten die ganze Blüte geben, damit der Körper entscheiden kann, welche Komponenten er benötigt. Ein anderer wichtiger Faktor sind die niedrigen Kosten bei der Herstellung von Kapseln im Vergleich zum Extrahieren, das teuer und technisch aufwendig ist. Außerdem sind Kapseln leicht herzustellen: Das Pflanzenmaterial wird gewogen, in Glaskolben gegeben, verschlossen und 30 Minuten bei 120°C decarboxyliert. Wenn es abgekühlt ist, wird es gemahlen und in Kapseln gegeben.

MED: Wie werden Patienten ohne Cannabiserfahrungen auf die Behandlung mit medizinischem Cannabis vorbereitet?

RH: Zuerst erkläre ich ihnen, dass ihr Bewusstsein auch von einer kleinen Dosis Cannabis beeinflusst werden kann, dass sie sich ein wenig „betrunken“ fühlen können. Wenn der Patient dies weiß und diese Tatsache akzeptiert, dann verschwinden diese psychoaktiven Effekte innerhalb weniger Tage. Abgesehen von dem, was sie bei mir lernen, können sie ihre eigenen Nachforschungen auf Webseiten durchführen, die ich ihnen empfehle – die der tschechischen Cannabis-Patientenvereinigung KOPAC.

Bei den Kapseln beginnen wir gewöhnlich mit einer Dosis von 0,125 g THC etwa eine Stunde vor dem Schlafengehen. Ungefähr eine Woche danach wird nach einem Beratungsgespräch die Dosis eventuell erhöht (im Falle von unerwünschten Nebenwirkungen muss sie unbedingt sofort reduziert werden). Vor Kurzem habe ich begonnen, sogar kleinere Dosen zu benutzen, im Fall einiger Patientinnen mit geringem Körpergewicht waren es 0,0125 g THC am Tag, und das nahmen sie einen Monat lang, bevor sie die Tagesdosis von 0,125 g THC erreichten. Auf jeden Fall bin ich mit den Patienten in den ersten sieben oder zehn Tagen der Behandlung regelmäßig in Kontakt, wir telefonieren miteinander und sprechen darüber, welche Fortschritte die Behandlung macht.

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