Medizinisches Cannabis in Italien

Personalisierte Therapie für alle PatientInnen

Während in den letzten Jahren das Hauptaugenmerk in erster Linie auf dem sich rasch entwickelnden deutschen medizinischen Programm lag, ist das italienische medizinische Cannabisprogramm heimlich zu einem der größten in Europa geworden. Die Praxis wollen wir anhand der Schriften eines italienischen Experten für medizinisches Cannabis, des Apothekers Dr. Fabio Di Francesco, vorstellen.

Die Geschichte begann im Januar 2013. Von diesem Zeitpunkt an konnten italienische PatientInnen erstmals Cannabis mit einem ärztlichen Rezept beziehen. Der Staat übernahm zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Kosten und der Preis für aus den Niederlanden importierte Blüten war sehr hoch, was sich nur wenige PatientInnen leisten konnten. Angesichts dieser Situation kündigte Verteidigungsministerin Roberta Pinotti im September 2014 an, dass Italien medizinisches Cannabis im Inland produzieren und den Preis pro Gramm auf rund acht Euro senken werde. Sowohl der Standort als auch die Züchterin sind ungewöhnlich: Die Erzeugerin ist keine andere als die italienische Armee selbst, die in Florenz in einer chemisch-pharmazeutischen Militäranlage mit der Produktion von Saatgut und auch mit der Verarbeitung von Blütenständen begann. Der Direktor der Einrichtung hatte argumentiert, dass die Gesundheitsversorgung ein nationales Sicherheitsproblem und die Herstellung von Arzneimitteln eine normale Aufgabe der Verteidigungsbehörde sei. Letzteres ist richtig, da die italienische Armee bereits für die Herstellung von Arzneimitteln zur Behandlung seltener Krankheiten verantwortlich war. Die Kritik traf sie aber nicht deswegen, sondern wegen der mangelhaften Auswahl. Jahrelang wurde nur die Canna­bissorte FM2 angebaut, die mit einem Gehalt von fünf bis acht Prozent THC und sieben bis zwölf Prozent CBD für nur einen Teil der PatientInnen infrage kam. Dies liegt daran, dass italienische ÄrztInnen am häufigsten Sorten mit einem hohen THC-Gehalt verschreiben, sodass die meisten PatientInnen nach wie vor gezwungen waren, auf teures niederländisches Cannabis zurückzugreifen, auf das sie manchmal einen Monat warten mussten. Erst 2018 kam die italienische Sorte FM1 auf den Markt, die ein ideales Medikament für weitere PatientInnen darstellt: Sie enthält dreizehn bis zwanzig Prozent THC und etwas mehr als ein Prozent CBD. Die beiden Sorten ahmen übrigens eindeutig die niederländischen Cannabissorten Bedrocan und Bediol nach, die bei den PatientInnen am meisten gefragt sind.

Schwankende Qualität, wachsendes Sortenangebot

Die Darreichungsform der italienischen FM1- und FM2-Blüten ist ebenfalls nicht alltäglich: PatientInnen erhalten nicht die ganzen Blüten, sondern ein Pulver. Der Grund dafür liegt in der Standardisierung: Das Military Pharmaceutical Institute vermeidet so, dass einige Chargen nur cannabinoidreiche Blütenstände von der Spitze der Pflanzen enthalten, während andere nur Blütenstände mit geringerem Wirkstoffgehalt enthalten, die vom unteren Teil der Pflanze geerntet wurden. Dies führt jedoch zu einem etwas schwächeren Endprodukt, was teilweise erklärt, warum lokale Sorten die niederländischen Importe nicht verdrängten. Auch konnte die Inlandsproduktion nicht mit der Nachfrage der Patient­Innen Schritt halten, weshalb die Liste der verfügbaren Sorten um Importe aus Kanada erweitert wurde: Diese enthalten THC und CBD im Verhältnis 22 : 1 und 1 : 9. Ein weiterer Grund für den Anstieg niederländischer und kanadischer Sorten ist eine stabilere Qualität: Während die entsprechenden Sorten im niederländischen Bedrocan und im kanadischen Aurora einen festen THC-Gehalt von 23 % aufweisen, erreicht die italienische FM1 dank der oben beschriebenen Methode durchschnittlich nur 14–15 %
THC. Dies ist hauptsächlich deshalb ein Problem, weil im Fall von Öl oder Extrakt mehr Tropfen eingenommen werden müssen, um die gleiche Menge THC zu verabreichen. PatientInnen, die Vaporizer benutzen, klagen zudem häufig über die Qualität der italienischen Blüten. Am häufigsten wird diese Form des Konsums von Personen angewandt, die eine schnelle Absorption und sofortige Wirkung benötigen, z. B. um die Symptome von Multipler Sklerose oder Parkinson zu lindern. Für sie bedeutet es ein ernstes Problem, wenn sie erst einige Zeit nach der Einnahme feststellen, dass das Mittel nicht wirksam genug ist.

Die Schlüsselfigur sind die Apotheken

Eine weitere Besonderheit der italienischen Praxis ist, dass keine medizinischen Cannabispräparate importiert werden, sondern nur Blütenstände. Dies bedeutet jedoch nicht, dass dies die einzige Form ist, die den PatientInnen zur Verfügung steht. Extrakte, Kapseln, Öle, Cremes, Zäpfchen und Augentropfen werden ebenfalls als Magistralpräparate hergestellt, die von den ÄrztInnen je nach den Bedürfnissen der PatientInnen verschrieben werden. In Italien kann jede/r AllgemeinmedizinerIn und jede/r Facharzt Cannabis verschreiben, ebenso TierärztInnen und ZahnärztInnen. Die PatientInnen bringen das Rezept zur Apotheke und warten auf die Benachrichtigung, wann sie ihre personalisierte Zubereitung abholen können. Die behandelnden ÄrztInnen stehen dabei normalerweise in Kontakt mit den Apotheken, die die Präparate herstellen. Die ÄrztInnen bestimmen die Art der Aufbereitung und den Wirkstoffgehalt je nachdem, wie sie es für ihre PatientInnen am geeignetsten halten. Der Apotheker Dr. Fabio Di Francesco sagt, dass sie am häufigsten Präparate auf Olivenölbasis von Dutch Bedrocan (22 % THC und mehr als 1 % CBD) und auf ärztliche Verschreibung mit einem THC-Gehalt von bis zu 1,5 % herstellen.

Laut Di Francesco empfindet die Mehrheit der PatientInnen eine Cannabis-Therapie als wirksam. Die meisten haben dabei keine Nebenwirkungen, allerdings brechen etliche die Behandlung aus finanziellen Gründen ab, da die Unterstützung der Sozialversicherung nicht alle Krankheiten abdeckt. Für diejenigen, die beispielsweise medizinisches Cannabis gegen chronische Schmerzen verwenden, trägt der Staat die Kosten voll, während Epilepsie nicht auf der Liste der anerkannten Krankheiten steht und ein in diesem Fall wirksames CBD-Öl mit GMP-Bewertung besonders teuer ist.

text: Tomas Kardos

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