Medizinisches Cannabis in der pädiatrischen Neurologie

Wir sind uns sehr wohl dessen bewusst, dass bei bestimmten gesundheitlichen Problemen sowie genetischen und in Familien auftretenden Krankheiten der Cannabiskonsum unterlassen werden sollte. Der Neurologe Dr. Ilya Reznik hat unlängst allerdings Fälle beschrieben, die weit über die derzeitigen Grenzen der Cannabis-Therapie hinausgehen.

 

In den meisten Teilen der Welt können Kinder nicht mit Cannabis oder anderen THC-haltigen Produkten behandelt werden. Nur in seltenen Fällen sind sie eine Art „Ultima Ratio“, wenn es sich um einen besonders schweren Fall handelt und erprobte Therapien fehlgeschlagen sind. Statt als Blüten zum Rauchen oder zum Vaporisieren, wird Kindern Cannabis am häufigsten in Öl- oder Kapselform gegeben. Man muss jedoch nicht unbedingt Cannabis verwenden, denn in vielen Fällen hilft allein das CBD. Darüber informierte Prof. Neubauer, Neurologe an der Kinderklinik der Universität Ljubljana und Mitglied des ICANNA (International Institut for Cannabinoids), auf der Wiener Cultiva 2019 das Publikum.

 

Die Heilwirkung der Natur

Hinsichtlich der Bestandteile von Cannabis haben sich die meisten Forschungen zu Kinderkrankheiten in den letzten Jahren auf das CBD konzentriert. Dies ist zum einen darauf zurückzuführen, dass Cannabidiol keine bewusstseinsverändernde Wirkung hat und zum anderen von Kindern und Erwachsenen auch in höheren Dosen gut vertragen wird. Dank einer Vielzahl von Studien gab es bereits 2017 eindeutige Belege über die anti­epileptische Wirkung von CBD, die auch bei Kindern festgestellt wurde. Es stellt sich immer wieder die Frage, ob gereinigtes, von allen anderen Wirkstoffen befreites CBD oder Vollspektrum-CBD-Öl gegen Epilepsie angewendet werden soll. Obwohl es Argumente für beide Varianten gibt, zeigt der Entourage-Effekt definitiv in Richtung natürlicher Extrakte. Ethan Russo, einer der bekanntesten Neurologen der Cannabinoidforschung, hat mehrere Studien zur Beschreibung dieses Phänomens durchgeführt. Kurz zusammengefasst haben Untersuchungen gezeigt, dass sich die Wirkungen einzelner Cannabinoide sowie der in Cannabis enthaltenen Flavonoide und Terpene summieren. Beispielsweise kann ein Vollspektrum-Öl, das THC, CBN, CBG, Terpene und andere Inhaltsstoffe zusammen mit CBD enthält, bei Epilepsie und anderen Symptomen wirksamer eingesetzt werden als isoliertes CBD. Prof. Neubauer erinnerte an eine Studie von Ruth Gallily und Lumír Hanuš aus dem Jahr 2015, in welcher die inzwischen oft zitierte Dosis-Wirkungs-Kurve beschrieben wurde. Im Wesentlichen besteht das Phänomen darin, dass die Wirkung von isoliertem CBD mit steigender Dosis allmählich zunimmt – die Kurve steigt an und beginnt dann nach dem Höhepunkt gleichmäßig abzusinken. Das bedeutet, dass der gewünschte Effekt nicht erzielt wird, wenn mehr oder weniger isoliertes CBD als die wirksame Dosis verabreicht wird. Daher rät Prof. Neubauer AnwenderInnen dieser Präparate, mit einer niedrigen Dosis zu beginnen und diese langsam und schrittweise zu erhöhen, bis der gewünschte Effekt erreicht ist. Der Professor erwähnte auch eine Studie, nach der bereits ein Drittel der Dosis wirksam ist, wenn man statt isoliertem CBD ein Vollspektrum-Öl oder eine cannabidiolreiche Pflanze verwendet.

Ein Mittel gegen die Epilepsie im Kindesalter

Nach einer Studie aus dem Jahr 2019 wird CBD von Kindern in allen getesteten Dosen gut vertragen. Dies ist wichtig, da CBD eine wichtige Rolle bei der Behandlung von Epilepsie spielen kann, einer Krankheit, die häufig im Kindesalter auftritt. Obwohl viele Antiepileptika auf dem Markt sind und viele von ihnen hervorragende Ergebnisse erzielen, spricht etwa ein Drittel der PatientInnen auf keines dieser Medikamente an. Die GW-Pharma-Studie aus dem Jahr 2014 führte zu einem bedeutenden Durchbruch, da sie festgestellt hat, dass CBD bei mehr als der Hälfte der seltenen behandlungsresistenten Fälle von Epilepsie wirksam ist. Angesichts der Tatsache, dass CBD im Gegensatz zu vielen Antiepileptika nur äußerst milde Nebenwirkungen mit sich bringt, sollte eine frühzeitige Anwendung von CBD bei Kindern mit Epilepsie in Betracht gezogen werden, da dies die Wahrscheinlichkeit erhöht, anfallsbedingte Hirnschäden zu verhindern.

 

Überzeugende Erfahrungen

Prof. Neubauer stellte auch seine eigenen Forschungsergebnisse vor, bei denen ein Fünftel der mit natürlichem CBD-Extrakt behandelten epileptischen PatientInnen vollständig anfallsfrei wurde, während sich bei der Hälfte die Zahl der Anfälle verringerte. Leichte Nebenwirkungen traten nur bei hohen Dosen auf, einige erwiesen sich sogar als vorteilhaft. Der Professor beschrieb die Ergebnisse mehrerer ähnlicher Studien, von denen er zwei hervorhob: In Kanada führte ein Präparat mit 50 : 1 / CBD : THC zu einer 70%igen Verringerung der epileptischen Anfälle. Ähnlich gute Ergebnisse erzielten zehn slowenische und mazedonische Patient­Innen, die für sich selbst Präparate mit hohem CBD- und niedrigem THC-Gehalt herstellten und eine Reduktion der Anfälle um 60 % erzielten. All dies bestätigt die Bedeutung der gemeinsamen Wirkungen und rechtfertigt auch die Verwendung niedriger THC-Mengen, die in dieser Zusammensetzung keine bewusstseinsverändernde Wirkung haben, sodass sie bei Kindern oder PatientInnen mit psychiatrischen Störungen sicher angewendet werden können. Prof. Neubauer fügte hinzu, dass auch vielversprechende Forschungen zu Cannabinoiden namens CBDA und CBDV im Gange sind. Abschließend stellte er heraus, dass Cannabis-Therapien neben der Behandlung der Epilepsie auch äußerst gute Ergebnisse bei Autismus, Angstzuständen und ADHS zeigen, sodass wir auch bei diesen Erkrankungen mit großen Erfolgen rechnen können.

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