Medizinalhanf in Deutschland

Auch in Deutschland ist es inzwischen ganz legal möglich, natürliche Hanfblüten aus bestimmten Apotheken zu erhalten, die das Medijuana ihrerseits direkt aus Holland beziehen. Doch in der Realität sind es bisher nur um die 70 Patienten, die diese Naturmedizin im Rahmen der sogenannten “Ausnahmegenehmigung nach § 3 Abs. 2 BtMG” auch tatsächlich erhalten und überteuerte Blüten erwerben dürfen. Deutlich mehr Patienten erhalten lediglich synthetische Cannabis-Präparate wie Dronabinol oder Nabilon, die sie noch mehr kosten. Denn in den meisten Fällen zahlen die Krankenkassen nichts.

Es bewegt sich was in Deutschland – auch wenn es ein immer noch viel zu zäher und langwieriger Prozess ist. Aber es ist ein Prozess, der wohl nicht mehr aufzuhalten ist. Immer mehr Ärzte und Patienten entdecken das medizinische Potential von Cannabis neu, und auch die Politik kommt daher nicht mehr umhin, dieser Entwicklung Rechnung zu tragen. In einer Expertenanhörung beriet der Gesundheitsausschuss des Bundestages im Mai 2012 auf Antrag der Grünen, wie sich die derzeitige Situation des medizinischen Cannabis in Deutschland verbessern lässt. Denn verbesserungswürdig ist die Situation allemal – schließlich ist in Deutschland mit dem Präparat Sativex derzeit nur ein einziges (natürliches) Cannabis enthaltendes und von den Krankenkassen bezahltes Arzneimittel zugelassen – allerdings ausschließlich für Kranke, die aufgrund von Multipler Sklerose an einer Spastik leiden. In diesem einen Fall übernehmen die Krankenkassen die Kosten – in allen anderen Fällen lehnen sie es kategorisch ab. Und so kommt es, dass Patienten, die an Krankheiten wie zum Beispiel Krebs leiden und mit Cannabis ihr Leid lindern könnten, auch Sativex verordnet bekommen können, um beispielsweise ihre Schmerzen zu lindern, ihrer Appetitlosigkeit entgegenwirken oder um Übelkeit oder Gleichgewichtsstörungen besser bekämpfen zu können. Doch in all diesen Fällen müssen die Patienten das Medikament bisher komplett selbst bezahlen, weil Sativex außerhalb seiner Zulassung für Multiple Sklerose in einem so genannten “Off-Label-Use” verwendet wird. Viele Kranke bekommen nicht die nötige und mögliche Hilfe, weil sie sich Sativex einfach nicht leisten können – schließlich liegt der Preis um ein Hundertfaches über dem tatsächlichen Rohstoffpreis des Medikaments. Kein Wunder, dass bisher kein Kranker seine Medizin selbst anbauen darf – inzwischen maximiert die Pharmaindustrie ihre Gewinne auch mit natürlichem Cannabis.

Und dennoch scheint Sativex für die Politik die beste Lösung zu sein – es kann nicht geraucht werden und enthält hochwirksames natürliches THC. Die Grünen schlugen daher im Mai diesen Jahres im Bundestag vor, dass das zuständige Gremium im Gesundheitswesen, der “Gemeinsame Bundesausschuss”, beschließen sollte, dass auch HIV-Kranke, Krebs- oder Schmerzpatienten cannabisbasierte Medikamente auf Kosten der Kassen erhalten können. Diesen Vorschlag unterstützte in der Anhörung auch die Bundesärztekammer – der Spitzenverband der Krankenkassen lehnt den Vorschlag dagegen erwartungsgemäß und energisch ab: Der “Off-Label-Use” komme nur unter ganz engen Voraussetzungen, die von höchstrichterlicher Rechtsprechung abgedeckt seien, in Betracht. So müsse es sich zum Beispiel um “schwerwiegende, regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankungen” handeln. Auch seien für viele der Begleiterscheinungen wie Übelkeit oder chronische Schmerzen Arzneien verfügbar, die nicht auf Cannabis basieren und die von den Kassen übernommen werden.

Dennoch wollen die Grünen ihren Vorschlag bald im Plenum des Bundestages zur Abstimmung stellen und hoffen, dass sie auch von anderen Fraktionen Unterstützung erhalten. Doch diese Hoffnung hilft vielen Betroffenen im Hier und Jetzt auch nicht weiter, und so therapieren sich tagtäglich tausende Deutsche auch weiterhin selbst – mit illegal erworbenem Cannabis. Das sind vor allem Betroffene, die denken, dass sie eh keine Chance haben, eine Ausnahmegenehmigung zu bekommen, da sie ja nicht mal einen Arzt finden, der sie dabei unterstützt. Doch das ist ein Fehler, den die meisten Patienten erst dann erkennen, wenn tatsächlich ein Strafverfahren wegen illegalen Besitzes oder gar wegen Eigenanbaus von Betäubungsmitteln droht. Denn dann ist nur eines sicher: Der Richter wird den Angeklagten fragen, was er ganz konkret unternommen hat, um seinen zwar medizinisch induzierten, aber dennoch illegalen Cannabiskonsum in legale Bahnen zu lenken. Patienten stehen dann umso besser da, je mehr sie sich darum bemüht haben, aus der Illegalität herauszukommen. Dabei kommt es gar nicht unbedingt darauf an, dass diese Bemühungen auch erfolgreich waren – man muss es nur versucht haben.

Ganz konkret haben in Deutschland alle Kranken – sofern sie von ihrem behandelnden Arzt dabei unterstützt werden – die Möglichkeit, beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte einen kostenpflichtigen Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 3 Abs 2 BtMG zu stellen. Wird diese Genehmigung erteilt, darf der Patient aus vier standardisierten holländischen Sorten wählen und muss in der Apotheke dafür zwischen 14 und 17 Euro pro Gramm bezahlen.

Diese unter Umständen immensen Kosten – die bis zu 1500 Euro im Monat betragen können – können die Patienten nur senken, indem sie selbst (illegal) Pflanzen ziehen oder sich ihre Blüten dann doch wieder auf dem schwarzen Markt besorgen. Denn hier zahlen sie nur die Hälfte pro Gramm bei vergleichbarer Qualität. Und wenn das illegale Medijuana dann ins legale Apotheken-Döschen gelegt wird, kann hinterher keiner mehr irgendeinen Unterschied feststellen. Immerhin etwas.

Martin Müncheberg

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