Land of the Free

In Amerika entsteht das System der Legalisierung

 

Seit der Legalisierung in Colorado und Washington sind kaum ein paar Monate vergangen, und schon wird das neue System mit Volldampf ausgebaut, womit die USA dem Titel “Land der Freiheit”, den sie stolz tragen, ein wenig näher kommen könnten. Während Aktivisten und Geschäftsleute an der schnellstmöglichen Umsetzung des legalen Grasmarktes arbeiten, beobachten die anderen amerikanischen Bundesstaaten mit Besorgnis oder Neid die Entwicklungen.

In Denver, Colorado, konnten einige Glückliche das alte Jahr in einer neuen Cannabisbar verabschieden. Der Club 64, der seinen Namen dem Aktenzeichen der Volksabstimmungsinitiative verdankt, öffnete um 4:20 Uhr, und eingelassen wurde nur, wer bereit war, 30 Dollar Mitgliedsbeitrag zu bezahlen. Einer CNN-Reportage zufolge scheuten die Gäste die Ausgabe nicht, um endlich legal ihrer Lieblingsfreizeitbeschäftigung nachgehen zu können. Der Besitzer eines Washingtoner Billardklubs machte keine langen Umschweife und verkündete einfach, dass bei ihm von nun an jeder jederzeit einen Joint anzünden könne. Um die Aufmerksamkeit der Kiffer noch zu steigern, könnten sich seine Gäste auch an einem Menü aus Leckerbissen gütlich tun, für lausige 4,20 Dollar.

Auch in anderer Hinsicht bereitet sich Colorado professionell vor. Auf zahlreichen Events versuchte man zu ergründen, welche Summen die nunmehr legale Hanfindustrie ungefähr umsetzen wird. Denn vor der Eröffnung der ersten Fachgeschäfte für den Cannabishandel müssen die Staatsbeamten die Standards für die Genehmigung und die auf Produkte erhobenen Steueranteile ausarbeiten. Die örtlichen Behörden müssen auch entscheiden, ob sie Einzelhandel zulassen und wenn ja, unter welchen Bedingungen.

Das Colorado Center on Law and Policy rechnet mit jährlich fast 270 Millionen Dollar (ca. 200 Millionen Euro) Einnahmen aus dem Marihuanahandel, woraus sich 35 Millionen Euro an Steuern ergeben. Durch den Wegfall der Strafverfolgung wird die Polizei etwa 9 Millionen Euro einsparen, und diese Einnahmen sind noch nicht alles. Allein der Steueranteil, der auf den Bau von Schulen entfällt, wird Arbeitsplätze für mehrere tausend Menschen schaffen.

Demokratische Umgestaltung

Was aber sagt die Bundesregierung dazu? Obwohl die zur praktischen Umsetzung der Legalisierung nötige Einführung des Marktmodells, die Ausgabe der Konzessionen für Anbauer und Händler, noch im Gange ist, verkündete Präsident Obama schon jetzt, dass die Bundesbehörden der beiden Bundesstaaten die Konsumenten nicht belästigen werden. Natürlich wäre es ein gewaltiges Eigentor, etwas anderes zu sagen, denn Untersuchungen zufolge bilden die Hanfliebhaber die Wählerbasis der Demokraten. Wenn er erfolgreich seine zweite Amtszeit absolvieren will und den Präsidentensitz mit der Hoffnung auf eine weitere Regierungszeit der Demokraten verlassen will, dann liegt es in seinem elementaren Interesse, die Umsetzung der Legalisierung wenigstens nicht zu behindern. Auch der amerikanische Drogen-zar erkennt den historischen Sieg der Legalisierer an. Gil Kerlikowske, der zuvor noch verkündet hatte, dass “die Legalisierung in meinem Wörterbuch nicht vorkommt, und auch in dem des Präsidenten nicht”, kommentierte jetzt die Ereignisse folgendermaßen: “Es ist klar geworden, dass wir mitten im gesellschaftlichen Dialog über das Marihuana stehen.”

Ja, er fängt an zu begreifen, dass die Bevölkerung schon ein neueres Wörterbuch benutzt, in dem Marihuana nicht mehr illegal ist. Nicht die Bürger müssen upgedatet werden, sondern die irreale Vorstellung vom Krieg gegen die Drogen und einer drogenfreien Welt, für die sich ernsthafte Menschen in Amerika immer weniger hergeben. Leichter hat es der ehemalige demokratische Präsident und Nobelpreisträger Jimmy Carter, der von 1971 bis 1975 Gouverneur des Staates Georgia war. Carter unterstützte schon während seiner Präsidentschaft (1976-1980) die Entkriminalisierung und ist auch jetzt der Meinung, dass die Legalisierung, für welche die beiden Staaten gestimmt haben, vollkommen in Ordnung ist – er verfolge mit Interesse, wie der amerikanische Traum Form annimmt. Wir sind sicher, dass Carter während seiner Präsidentschaft weitaus weniger Geld in das Geschäft mit dem Drogenkrieg investiert hat als Obama.

 

Des Nachbarn Gras

Gleichzeitig kann die lokale Legalisierung mit Nachteilen einhergehen. Beispielsweise erhöht sie den Grasabsatz in die benachbarten Bundesstaaten – wenigstens meint das der Polizeichef einer Stadt in Wyoming, die an Colorado grenzt. Mike Thompson, Sheriff von Casper/WY, sagte, dass ohnehin schon regelmäßig Bürger aufgegriffen würden, die therapeutisches Marihuana aus dem Nachbarstaat beschafften. Auch wenn der Arzt es verschrieben hätte, ist es in Wyoming gegenwärtig illegal, erklärte Thompson, der schon des Öfteren auf überraschte Gesichter stieß. Nach den Gesetzen von Wyoming kann für den Besitz von Marihuana sogar ein Jahr Gefängnis oder eine Geldstrafe von 1.000 Dollar stehen, unabhängig davon, dass das Ganja aus einer nur ein paar Kilometer entfernten Apotheke stammt. Das wird jedoch die nach legalem Hanf lechzenden Bürger von Wyoming nicht aufhalten. Viele teilen die Vision, dass Colorado für die Nachbarstaaten das bedeuten wird, was Holland für Europa ist – in Anbetracht seiner günstigen Lage könnte es das zweite Grasparadies nach Kalifornien werden. Fraglich, ob die damit verbundenen Sorgen berechtigt sind. Zu diesem Phänomen liefert der Bürgermeister der Kleinstadt Tilburg, die an der belgischen Grenze liegt, die Antwort: Bitte in Belgien auch Coffeeshops eröffnen. Dann muss man sich nicht weiter mit dem Drogentourismus der Bevölkerung beschäftigen! So einfach ist das!

Im konservativen Wyoming könnte in der ersten Runde die Freigabe des medizinischen Marihuanas auf der Tagesordnung stehen. Also wahrscheinlich schon bald, denn nach der letzten Untersuchung würde die Bevölkerung zu 65 % mit “Ja” stimmen. Damit würde der Tourismus zur Beschaffung von Medizinalmarihuana sein Ende finden. Andere möchten jedoch dem Bürgermeister von Tilburg Folge leisten und möglichst bald das Marihuana bei sich zu Hause legalisieren. Zu ihnen gehört ein Senator in Pennsylvania, der Anfang Januar erklärte, dass er den Weg Colorados einschlagen möchte und den über 21-Jährigen nicht nur medizinisches Marihuana erlauben wolle, sondern auch solches, das der Entspannung dient. Das Marijuana Policy Projekt, eine hochrangige Organisation zur Drogenreform, hat schon den Zeitplan der Volksabstimmungen über die Legalisierung für die nächsten Jahre in sieben weiteren Bundesstaaten ausgearbeitet. Demzufolge könnten, wenn die Wähler es wünschen, bis zum Ende des Jahrzehnts Alaska, Maine, Rhode Island, Massachusetts, Oregon und natürlich Kalifornien legalisieren.

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