Kiffende Eltern
Gefahr oder Chance für die Kinder?
Weltweit verschwindet das Gras-Tabu: Immer mehr Länder erlauben Erwachsenen den Gebrauch von Cannabis und damit geraten auch jene Eltern in den Fokus, die gelegentlich oder regelmäßig Marihuana konsumieren. Eine wichtige Frage hierbei ist, ob den Kindern durch das Rauchen Schaden zugefügt wird beziehungsweise wie sich die Elternrolle mit dem therapeutischen oder rekreativen Hanfgebrauch vereinbaren lässt.
Allgemein wird gesagt, dass Gelegenheitskiffen mit Anfang Dreißig oder mit der Gründung einer Familie aus dem Leben eines Menschen verschwinden würde. Doch trifft das nicht auf alle zu. Wer nicht aus Rebellion oder wegen der Gesellschaft Cannabis konsumiert, sondern weil er darin ein Mittel zur Entspannung oder eine Medizin entdeckt hat, wird wohl über die Dreißig hinaus am Konsum festhalten. Nachfolgend beschäftigen wir uns weniger mit den Eltern, die es aus medizinischen Gründen konsumieren, sondern mit den Müttern und Vätern, die Cannabis gelegentlich zur Entspannung genießen. Auch Eltern sind nur Menschen und daher gibt es Situationen im Leben, in denen man sich sagt, dass nun ein paar Züge an einem Joint fällig sind, und diese vielleicht sogar sinnvoller sind, als ein paar Getränke zu kippen. Dahinter verbirgt sich oft nicht das selbstsüchtige Verlangen, es sich angenehm high unter Ausschluss der Umwelt in seiner eigenen kleinen Wirklichkeit bequem zu machen, sondern die positive Erwartung, den Alltagsstress abzulegen und sich eingehender mit den Kindern befassen zu können – statt Spannungen weiterzugeben, heitere Momente mit ihnen zu verbringen. Das Experiment ist aber nicht ungefährlich, daher sollte man sich ein paar Dinge vor Augen führen.
Rauchen oder Trinken
Eltern, die zu Hause Alkohol trinken, sind kulturell akzeptiert – manchmal wird Müttern mit jungen Kindern sogar geraten, die Anspannung des Tages mit ein bis zwei Gläsern Wein nach dem Zu-Bett-Bringen zu lösen. Das führt dazu, dass sich Kinder schon früh an alkoholische Getränke gewöhnen und an den Anblick trinkender Eltern. Jedoch machte es einen Unterschied, ob die Eltern maßvoll trinken oder sich gelegentlich vor ihren Kindern betrinken. Abgesehen davon, dass der Alkohol die Haupttriebfeder der Gewalt in der Familie ist, sollte man wissen, dass das Trinken zu Hause viele Gefahren in sich birgt. Nach einer Erhebung haben 46% der britischen 10- bis 14-Jährigen ihre Eltern schon betrunken gesehen und wahrscheinlich ist die Lage im übrigen Europa auch nicht vorteilhafter. Kinder, die beobachtet haben, dass ihre Eltern regelmäßig trinken, werden doppelt so oft dem Komasaufen (binge drinking) frönen wie ihre Altersgenossen. Eine vergleichbare Erhebung zum regelmäßig insgeheim konsumierten Cannabis steht vorläufig nicht zur Verfügung, doch kann man sicher zu Recht annehmen, dass regelmäßiges Rauchen vor dem Kinde früher als nötig sein Interesse weckt, wobei das Rauchen im frühen Teenageralter besonders risikoreich ist. Ein unerhörter Vorteil im Vergleich zum Alkohol liegt darin, dass Marihuana keine aggressiven Verhaltensmuster weckt und somit nicht zur Ausbreitung häuslicher Gewalt beiträgt. Man bedenke, in welchem Maße diese zurückgehen würde, wenn jeder Vater, der betrunken seine Familie verprügelt, das Glas mit der Pfeife vertauschen würde. Ob es ratsam wäre, den verborgenen Problemen dieser Menschen auf den Grund zu gehen, die den familiären Alltag nur betrunken oder bekifft ertragen können, ist eine andere Frage.
Mit mentalen Problemen in der Familiengeschichte sollte man sich ohnehin vom Cannabis fernhalten. Wer als Elternteil dennoch ein solches Risiko eingeht, sollte wissen, dass er seine Familie stark gefährdet. Es ist nicht so sehr im kollektiven Bewusstsein präsent, dass dies auch für den Alkoholkonsum zutrifft, der schon in einer geringen Menge zur Ausbildung einer latenten Psychose führen kann. Es spielt ebenso eine Rolle, welche Wirkung das Ganja entfaltet und was mit dem Ganjakonsum bezweckt wird. Wenn man kifft, um dann vor der Glotze hockend in Serien abzudriften, gleichmütig den Inhalt des Kühlschranks mampfend, kann es nicht schaden, daran zu denken, dass man mit diesem Schauspiel seinem Kind keinen erbaulichen Anblick bietet, sondern ein vollkommen ungesundes Verhaltensmuster. Außerdem ist es nicht sicher, dass man in Gefahrensituationen angemessen reagieren kann. Wenn man aber mit ein wenig Ganja offener für die Umwelt wird, leichter mit anderen in Einklang kommt und auch die Stimmung sich verbessert, dann ist es sicher kein größeres Problem, sich so vor seinem Kind zu präsentieren. Aber mit den roten Augen und dem etwas schweren Zungenschlag geht der Auftritt ohnehin bald schief und daher sollte man überlegen, ob es sich überhaupt empfiehlt, bekifft in Kontakt mit Familienangehörigen zu treten.
Um nicht nur zu theoretisieren, kommen nun ‘echte’ Eltern zu Wort, die an der Onlinebefragung des Guardian teilgenommen und anderen ihre eigenen Erfahrungen mit dem Dilemma Kiffen vs. Kindererziehung mitgeteilt haben.
Am rechten Ort zur rechten Zeit
“Im Allgemeinen rauche ich, nachdem sich alle schlafen gelegt haben. Das Gras gehört zu meinem Zeitvertreib in den letzten Stunden des Tages. Vor meinen Kindern würde ich nicht rauchen, weil ich fürchte, damit das Vertrauen und die Konsequenz zu untergraben, die man als Vater bieten muss.” – Buddy 47, Los Angeles
“Mein Mann und ich rauchen nur im Freien, wenn die Kinder schon schlafen, und ich übertreibe es auch nicht. Wenn die Eltern vor den Augen ihrer Kinder ohne Weiteres Bier oder Wein konsumieren können, sollte das Rauchen eines Joints auch nicht anders beurteilt werden.” – Merry, London
“Ja, ich rauche Gras. Ja, ich habe zwei wunderbare Söhne, der eine ist acht, der andere vier Jahre alt. Abends rauche ich in ihrer Anwesenheit, aber wenn es geht, gehe ich raus ins Freie oder in ein anderes Zimmer. Ich habe das Gefühl, dass das Rauchen mich nicht nur zu einem besseren Elternteil, sondern allgemein zu einem besseren Menschen macht.” – anonym
“Wenn die anderen Bier, Wein oder Cocktails trinken, springe ich runter in die Garage. Man muss im Sinn behalten, dass es für alles einen Ort und eine Zeit gibt. Wenn die Zeit nicht gut zum Trinken ist, dann ist sie auch nicht gut zum Rauchen. So einfach ist das.” – Rob 59, Washington
“Vor meiner Tochter rauche ich nicht. Ich ziehe mich in das Dachzimmer des Hauses zurück, in angemessenem Abstand zu ihr. Es macht mich geduldiger, weniger reizbar. Wenn ich tagsüber Cannabis rauche, dann werde ich schlaff und spiele nicht wie sonst, deshalb warte ich lieber bis zum Abend.” – Tannis, Halifax
Ebenfalls wichtig scheint das Dilemma, “ob ich es meinem Kind sagen soll”:
“Es hat uns noch nie rauchen sehen. Wir haben ein Zeichen, wenn einer von uns rauchen will, dann passt der andere auf oder bringt das Kind ins Bett, bevor er mitraucht.” – Elizabeth, New York
“Mein Kind ist noch zu klein für gute Gespräche, aber ich werde es nie zum Cannabiskonsum ermutigen, wenn die Rede darauf kommt. Ich werde ihm einfach reine Tatsachen vermitteln, wenn es erwachsen wird, genauso wie wir unsere Kinder über Alkohol, Kaffee, zu viel Dörrpflaumen oder Reinigungsmittel aufklären.” – anonym, Southampton
“Ich habe schon Kinder gesehen, die mit ihren Eltern rauchen, manchmal habe ich auch mitgeraucht. Zuerst habe ich mich unwohl gefühlt, obwohl das ein Erlebnis ist, das die Verbindung stärkt. Mit meinen Kindern würde ich nicht rauchen, solange sie keine 18 sind. Ich denke, dass das Rauchen den Eltern hilft, sich besser in den Blickwinkel der Kinder zu versetzen, was oft bei den Entscheidungen der Eltern fehlt. Wie alles andere sollte man es auch maßvoll benutzen, und den größten Nutzen hat es vielleicht beim Nachdenken, beim Entscheiden und der Entspannung.” – Jonathan, Boston
Es macht die Eltern besser
Das hört man oft, aber mit Verallgemeinerungen kann man auch in diesem Fall wenig anfangen. Es kommt vor, dass sich jemand als besserer Elternteil fühlt, wenn er mit den Angelegenheiten der heranwachsenden Kinder toleranter umgeht. Andere, wenn sie strenger sind, aber trotzdem gerecht. Die Erfahrungen der Betroffenen sind trotz ihrer Subjektivität interessant.
“Ich habe das Gefühl, dass das Gras mich zu einer besseren, ruhigeren und interaktiveren Mutter macht. Ich stelle meiner Tochter mehr Fragen, setze mich geduldiger mit ihr hin und bringe ihr neue Sachen bei, ich unternehme Entdeckungsspaziergänge und spiele mehr mit ihr, als wenn ich nicht geraucht habe. Ich sehe das so, dass es uns einander näher bringt.” – Lucy 25, Portsmouth
“Meiner Meinung nach hilft es mir, mich auf dem Niveau meiner Tochter zu den Dingen zu verhalten. Ich bin verspielter und verrückter, spiele mit Begeisterung, führe verrückte Tänze auf, mache Rollenspiele und wir gehen in den Wald auf Expedition. Gleichzeitig macht es ruhiger und vertreibt die ständige Zielgerichtetheit des nüchternen Erwachsenseins. Ich dränge nicht, lenke nicht ständig, ich ziehe mich eher in den Hintergrund zurück und überlasse ihr die Show.” – Shawn 30, Massachusetts
“Es ist wunderbar, bekifft bei meinen Kindern zu sein. Ich habe zwei Kinder, eins vier, das andere acht Jahre alt. Bei dem älteren neige ich zum ‘hart’ sein, und wenn er nicht auf mich hört, rege ich mich über Kleinigkeiten auf. Wenn ich aber etwas geraucht habe, lasse ich die Kleinigkeiten durchgehen, und als ‘taktischer’ Vater bestrafe ich nur wegen schwerwiegender Dinge. Außerdem komme ich viel leichter auf ‘ihr Niveau’, weiß ihre Vorstellungskraft mehr zu würdigen und bin in der Lage, stundenlang mit ihnen zu spielen. Da kann ich den Alltagsstress leicht ablegen und verwandle mich in den ‘witzigen, verrückten Papa’, statt ein bissiger Vater zu sein, der sich nach der Arbeit nach Einsamkeit und Ruhe sehnt.” – Dan, Lemington
“Ich bedauere, dass ich nicht mehr geraucht habe, als meine Tochter noch klein war. Natürlich nicht Tag für Tag, aber wenigstens am Wochenende. Wenn ich nämlich high bin, kann ich viel besser darauf achten, was sie mir sagt, und gehe viel mehr im Spiel auf, wenn wir zusammen spielen. Das Marihuana ist für mich die Droge des ‘totalen Interesses’, die in das ‘Hier und Jetzt’ versetzt. Prinzipiell bin ich eine ruhige Person, aber im Menschen gibt es immer eine Art Ungeduld und die Sorge um sich selbst. Übrigens habe ich jetzt aufgehört zu rauchen.” – Paul, Schottland
“Ich habe chronische Angstzustände und das Marihuanarauchen hilft sehr dabei, sie unter Kontrolle zu halten. So kann ich eine witzige, lockere Mutter sein. Mein Sohn mag das und wir lachen den ganzen Tag zusammen.” – Matahina 27, England
“Kein Mensch ist besorgt, wenn im Beisein der Kinder Alkohol getrunken wird, obwohl das eine viel gefährlichere und schädlichere Droge ist. Ich war immer der Meinung, dass das Marihuana zu einem besseren Elternteil macht. Es hilft, meine bedrückenden, überflüssigen Frustrationen und Sorgen über meinen Tagesumsatz und darüber, was der Staat tut, in dem ich lebe, abzulegen. Es hilft mir dabei, bei meinen Kindern ich selbst zu sein und auf ihrem Level mit ihnen in Verbindung zu treten. Mein Sohn ist inzwischen erwachsen und das gemeinsame Rauchen von ein bisschen Gras wird immer Teil unserer Beziehung sein.” – Frank, North Carolina
Quelle: The Guardian – Pot-smoking parents explain the rules of getting high at home around the kids