Kiffende Eltern 2.

Ich bin Mutter und rauche Gras

Im ersten Teil unserer Reihe haben wir erörtert, wie man verhindern kann, dass sich Cannabiskonsum ungünstig auf die Kindererziehung auswirkt. Diesmal richten wir unser Augenmerk auf die amerikanischen Mütter und untersuchen, ob sich in den Staaten, die legalisiert haben, die Vorurteile gegen kiffende Mütter verringert haben. Außerdem zeigen wir am konkreten Beispiel, wie eine ganze Familie von der Therapie der Mutter mit medizinischem Cannabis profitieren kann.

Kiffende Eltern 2 - Ich bin Mutter und rauche Gras

Diskussionen über den Cannabiskonsum von Eltern sind vorwiegend in Colorado und Washington an der Tagesordnung, wo die neuen Gesetze es Eltern erlauben, zu Hause Cannabis zu konsumieren. Manche nehmen sich des Themas mit Humor an. Eine Episode der Comedyserie Jus‘ Sayin‘ Productions, die dieses Jahr an den Start ging, trägt beispielsweise folgenden ausgesprochen präventiven Titel: „5 untrügliche Zeichen, dass deine Eltern kiffen“. Ebenfalls keine Seltenheit: Zwischen zwei Bierreklamen lauschen Fernsehreporter mit erstaunten Gesichtern, wie Eltern über ihre keineswegs extremen Kiffgewohnheiten berichten. Die Antipathie gegen kiffende Mütter erscheint in einer Alkoholkultur unerklärlich. Sind Eltern verantwortungsloser, wenn sie mit ihrem Kind unter einem Dach Cannabis statt Alkohol konsumieren? Kennt man die Rolle, die Alkohol bei häuslicher Gewalt spielt, und das relativ niedrige Gewaltrisiko bei Cannabis, dann sollte man das Verhältnis zum maßvoll genannten Alkoholkonsum von Eltern bedenken, bevor man kiffende Eltern abstempelt.

Der werfe den ersten Stein auf mich …

Ich habe meine Mutter zurückbekommenEnde September brachte ABC News einen interessanten Bericht über einige Mütter aus Denver, die zu ihrem Cannabiskonsum stehen. Nach einem Einblick in die gemeinschaftliche Entspannungsrunde der Mütter – natürlich ohne ihre Kinder – fragt die Reporterin mit ernstem Gesicht eine von ihnen, Jane West, wie man bekifft noch verantwortungsvoll auf Kinder aufpassen könne, beziehungsweise, was die Mutter empfinden würde, wenn ihr Sprössling eines Tages anfangen würde zu kiffen. Die Antworten von Frau West sind verblüffend einfach: Erstens konsumierten verantwortungsvolle Eltern oder Babysitter im Beisein ihrer Kinder weder Cannabis noch Alkohol, obwohl man bei Letzterem gern die Augen verschließe. Zweitens gebe es keinen wesentlichen Unterschied, ob ein Heranwachsender anfängt Alkohol zu trinken oder Gras zu rauchen. In Colorado ist beides legal, aber erst ab 21. Die normale Reaktion der Eltern darauf ist, mit den Kindern über die Risiken dieser Mittel und ihres Konsums zu sprechen und zu versuchen, sie bis zum Erreichen des Alters von 21 davon abzuhalten. Die Mutter aus Denver macht sich den wissenschaftlichen Standpunkt über die Gefahren des Cannabiskonsums in der Adoleszenz zu eigen und zündet deswegen nie vor ihren Kindern einen Joint an. Auf die Frage jedoch, ob sie sich nicht einmal leicht bekifft vor ihnen zeige, gibt sie resolut zurück, wie lächerlich die Frage auf ein Glas Bier bezogen wirken würde. Jane ist der Meinung, dass man den Graskonsum von Eltern ganz einfach offener behandeln müsse: Wenn es vollkommen in Ordnung ist zu sagen: „Mensch, war ich gestern besoffen“, warum dann nicht auch: „Gestern war ich aber bekifft“. West ist fest davon überzeugt, dass man sich für den Genuss von Cannabis nicht schämen muss. Sie gründete die Firma Edible Events, deren Mission es ist, „das Cannabiserleben zu maximieren und mit Events, die unglaubliche Erfahrungen bieten und einer künstlerischen Choreografie folgen, den verfeinerten Geschmack, das Riechen und Hören zu stimulieren“. Unter anderem veranstalten sie all-inclusive Events in Privatgalerien, bei denen neben Kunstwerken himmlische Speisen und Getränke sowie Produktionen von Live-DJs geboten werden, die für höchste Bewusstseinszustände sorgen. Es wäre naiv zu glauben, dass die Grasliebhaber unter den Eltern wegen der Erziehungspflichten solche Ereignisse aus ihrem Leben verbannen müssten und für sie nur Ablenkung mit Alkohol infrage käme. Andererseits hatte man jenseits des Ozeans schon Zeit genug, sich mit der therapeutischen Nutzung von Cannabis anzufreunden, die gelegentlich auch Mütter in Anspruch nehmen. Ihre Familien berichten von gewaltigen Veränderungen – Mütter, die Cannabis konsumieren, erscheinen in einem ganz anderen Licht.

Ich habe meine Mutter zurückbekommen

Die bekannteste dieser Mütter dürfte die Leiterin des Beverly Hills Cannabis Clubs, Cheryl Shuman sein, die nach eigenen Aussagen durch Cannabis nicht nur eine bessere Mutter, sondern auch ein besserer Mensch geworden sei. Cheryl wurde vor zehn Jahren geschieden und blieb mit ihren zwei Kindern allein, was sie so mitnahm, dass sie depressiv wurde. Die rezeptpflichtigen Arzneimittel konnten ihr nicht nur nicht den Seelenfrieden zurückgeben, sondern sperrten sie auch in das Gefängnis von Abhängigkeit und Isolation. Als sie ihrem Therapeuten eingestand, dass ihr das Steuer vollkommen entglitten sei, empfahl ihr der Arzt einen Versuch mit Cannabis. Das Experiment gelang, ihre Lebenslust kehrte zurück und sie fühlte sich viel ausgeglichener als mit den herkömmlichen Medikamenten. Das bestätigt auch ihre Tochter, die endlich keinen medikamentös sedierten Zombie mehr vor sich sah, sondern eine lächelnde Mutter, die wieder am Familienleben teilnahm. „Ich habe meine Mutter zurückbekommen“, fasste sie zusammen. Die Marihuana-Stereotypien kann man auf Cheryl kaum anwenden. Seit 1996 – seit den Anfängen der Bewegung für therapeutisches Marihuana – ist sie als Aktivistin und Patientin dabei. Sie gründete unter anderem Beverly Hills NORML, NORML Women’s Alliance und die National Cannabis Industry Association, um nur die wichtigsten Institutionen zu erwähnen, und wurde mehrfach als einflussreichste Frau der Cannabisreformbewegung bezeichnet.

Aus dem Zusammenhang des Beverly Hills Club kann man auch die Geschichte von Simmi Dhillon herausstellen, die nach einem Autounfall gegen ihre Schmerzen bärenstarke Schmerzmittel bekam, die ihr neben den Schmerzen auch ihr klares Bewusstsein nahmen. Die Schmerzen kehren leider immer noch periodisch wieder, und wenn sie tagelang im Bett liegt, erinnert sie ihr 10-jähriger Sohn: „Mama, es ist Zeit, dich zu kurieren“ – das heißt, es ist an der Zeit, etwas Cannabis zu sich zu nehmen, damit sie wieder zu ihnen zurückkehrt. Ihrer Meinung nach müssten auch Erwachsene die Heilwirkung des Cannabis verstehen können, wenn ein 10-jähriges Kind das kann. Wenn sich jemand immer noch nicht mit dem Bild der Marihuana-konsumierenden Mutter anfreunden kann, dann rufen wir die Wissenschaft zu Hilfe.

Der Standpunkt der Wissenschaft

Der Standpunkt der Wissenschaft

Therapeutischer Konsum ist nicht die einzige Anwendungsmöglichkeit, aber es scheint, dass man selbst in Colorado eher geneigt ist, ihn zu akzeptieren als das Kiffen als Teil der Entspannung. Sollte jemand daran zweifeln, dass Cannabis besser als jedes andere Arzneimittel die Schmerzen von Simmi Dhillon und vielen Leidensgenoss/innen lindert, dem sei wissenschaftlich erklärt, warum das so ist. Rebecca Craft, Professorin für Psychologie an der Washington State University, bestätigte durch Experimente an Ratten, dass Frauen 30% empfänglicher für die schmerzlindernde Wirkung des THC sind als Männer. Auf Deutsch gesagt: Bei ihnen werden die Schmerzen viel wirksamer gelindert. Craft macht darauf aufmerksam, dass die Tendenz bei Forschungen stets dahin geht, dass Ergebnisse aus Untersuchungen zum Cannabisgebrauch anhand von männlichen Probanden herangezogen werden, obwohl nicht klar ist, ob sie bei Frauen ähnliche Ergebnisse erhalten würden. Die Psychologin und ihre Forschergruppe konzentrieren sich seit Jahren auf die abweichenden Wirkungen auf Frauen, für die das Östrogenhormon der Schlüssel sein könnte. Zur Zeit des Eisprungs, wenn der Östrogenspiegel das Maximum erreicht, sind Frauen noch empfänglicher für die THC-Wirkung und damit auch für die Schmerzlinderung. Die erhöhte Empfänglichkeit geht aber auch mit einer gesteigerten Aufnahmebereitschaft für die negativen THC-Wirkungen einher, daher untersuchen Craft und ihr Team auch die Wirkungen des CBD, das sich gleichfalls im Cannabis befindet und das die unerwünschten Wirkungen des THC ausgleicht. Craft ist außerordentlich froh über die Legalisierung, da sie größere Möglichkeiten eröffnet, die Geschlechtsunterschiede in Humanexperimenten zu beobachten, und so ein umfassenderes Bild über die Wirkungsunterschiede der verschiedenen THC- und CBD-haltigen Sorten bietet, sowohl aus dem therapeutischen als auch aus dem rekreativen Blickwinkel.

Zumindest dafür schulden wir den Bürger/innen von Colorado und Washington Dank, denn durch die erwähnten Diskussionen können immer mehr Menschen zu der Einsicht gelangen, dass der Hanf nicht vom Teufel stammt und mit der nötigen Umsicht auch Eltern seine entspannenden beziehungsweise heilenden Wirkungen genießen können.

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