Internationaler Aktivismus

Die Cannafest-Messe in Prag mit ihrer Professional Conference stellte den idealen Ort dar, um diverse Patientenberichte zu hören und sich untereinander auszutauschen. Im Interview mit zwei internationalen Cannabisaktivisten, Corrie Yelland aus Kanada und Bozidar Radisic aus Slowenien, erfahren wir, wie die beiden täglich PatientInnen helfen.

Medijuana: Lass uns mit deiner Krankengeschichte beginnen: Welche Krankheit hast du und warum hast du dich für Cannabis als Medizin entschieden?

Corrie Yelland: Im Juli 2011 bekam ich die Diagnose Analkarzinom, mir wurden noch zwei bis vier Monate zu leben gegeben. Zu dem Zeitpunkt hatte ich bereits eine vorexistierende Krankheit, durch die meine Lebensqualität sehr beeinträchtigt war. Ich hatte massive Schmerzen, konnte nicht schlafen, war ständig auf Opiaten und Morphium. Als ich dann noch die Krebsdiagnose bekam, war ich verzweifelt. In der onkologischen Klinik meinte der Arzt zu mir, dass der Krebs gestreut habe, wie Blumenkohl sehe er aus. Sie könnten die Spitzen entfernen, jedoch würden die Stiele zurückbleiben. Daher wollte er mich zur Bestrahlung schicken. Im Aufklärungsgespräch war der Arzt ziemlich harsch und direkt. „Sie wissen, dieser Bereich des Körpers ist am schwierigsten zu behandeln. Sie werden zweit- bis drittgradige Verbrennungen im Anal- und Vaginalbereich davontragen.“ In dem Moment dachte ich nur: „Auf keinen Fall!“ Mir wurden auch keine konkreten Antworten bezüglich Schmerzmedikation oder Nebenwirkungen der Therapie gegeben, obwohl ich explizit nachgefragt hatte.

Schließlich nahm ich mir ein wenig Zeit, um darüber nachzudenken. Meine Schwester schickte mir dann einen Link zu der Dokumentation „Run from the cure“. Das könnte schon stimmen, dachte ich mir, und rief einen bekannten Arzt in Italien an, um zu fragen, was er darüber wisse. Er meinte nur, dass sie Patienten schon seit Jahren mit Cannabinoiden auch gegen Krebs behandelten. Von hier an recherchierte ich viel und am Schluss stand für mich fest, dass ich das durchziehen werde. Dann versuchte ich, an Cannabisöl zu kommen. Mein Arzt wollte mir kein Rezept geben. Ich habe es aber geschafft, Mitglied in einem Cannabisclub zu werden, und wollte mir hier dann legal mein Cannabisöl holen. Ich war verdutzt, als sie meinten, dass sie Öle nicht führten. Also blieb nur die Option, das Öl selbst herzustellen. Vier Freunde und ich druckten uns die Anleitung aus dem Internet aus, wir folgten ihr Schritt für Schritt, mit vier Unzen (ca. 120 Gramm) haben wir gearbeitet. Und dann hab ich begonnen, es zu nehmen. Ich hatte fürchterliche Angst davor. Der Grund, warum ich sonst kein Gras rauche, ist der, dass ich früher manchmal so paranoid davon wurde. Ich begann mit kleinen Mengen und hatte jemanden bei mir zum Reden für die ganze Nacht. Zehn Tage später fiel mir auf, dass ich meine Schmerzmedikamente nicht mehr nehmen musste.

MED: Ohne psychoaktive Effekte?

CY: Am Anfang nicht, ich habe mit ganz wenig begonnen und die Dosis ganz allmählich gesteigert. Aber später lernte ich durch Janet Sweeny, die mir vorhielt, zu kleine Dosen zu nehmen, Citicolin kennen, ein Nahrungsergänzungsmittel, mit dem Paranoia auch bei Einnahme höherer Dosen bei sensiblen Personen auf ein Minimum reduziert werden kann. Das hat bei mir super funktioniert. Ich habe dann begonnen, Cannabisöl als Zäpfchen einzunehmen. Ich war aber trotzdem weit entfernt von dem einen Gramm pro Tag, das viele als Richtwert nehmen, und war mir daher sicher, dass mein Krebs noch immer da sei, und mied auch den Arzt. Nach einem Jahr schließlich hab ich so ca. ein halbes Gramm täglich genommen. Dann wurde ich von zwei Ärzten untersucht, sie untersuchten mich nochmals, sie berieten sich und teilten mir mit, dass der Tumor vollständig verschwunden sei. Nach Biopsien und weiteren Ergebnissen war es dann sicher. Nicht einmal Narbengewebe sei zu sehen gewesen. Da habe ich mir gesagt: Wenn das funktioniert, werde ich mein Leben damit verbringen, anderen Leuten davon zu erzählen.

MED: Und das ist es, was du jetzt machst.

CY: Genau, fünf Jahre später, bis zu 12 bis 14 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, das ist viel Arbeit.

MED: Nimmst du weiterhin das Öl als Prophylaxe ein?

CY: Absolut, jeden einzelnen Tag nehme ich eine kleine Dosis. Ich habe Angst davor, es abzusetzen, man muss den Cannabinoidpegel obenhalten. Ich meine, wenn ich krank geworden bin, weil ich ein Defizit an Cannabinoiden hatte, warum sollte ich dann aufhören, das Öl zu nehmen?

MED: Wie erreichst du die Leute oder wie erreichen die Leute dich?

CY: Die Leute kontaktieren mich hauptsächlich über Facebook, meine erste private Seite ist mittlerweile schon voll, der zweite Account hat auch beinahe 4.000 Freunde. Auch die Gruppe „Phoenix Tears Cannabis Oil Advice with Corrie, Janet and Jenn” mit über 30.000 Mitgliedern betreue ich mit. Ich skype auch mit den Leuten. Bis vor Kurzem hatte ich eine Radiosendung, Cannabis Health Radio …

MED: Was ist mit der Sendung passiert?

CY: Ich habe aufgrund meiner Arbeitsunfähigkeit kein Einkommen und wir haben im Endeffekt den Betrieb des Radios aus eigener Tasche finanziert. Wir hoffen, dass wir irgendwann wieder damit durchstarten können. Das hat mich schon traurig gemacht, denn wir konnten vielen Leuten helfen. Jetzt halt primär über Facebook, ich bekomme Tausende Nachrichten im Monat und ich helfe, wo ich kann.

MED: Nun zu dir, Bozidar, wie ist die Situation in Slowenien und wie hast du angefangen?

Bozidar Radisic: Nun, ich und meine Freunde hatten einen Growshop in Murska Sobota. Wir gingen zu verschiedenen Messen und entsprechenden Vorlesungen. Aber die allererste Information über Cannabis als Medizin erhielt ich, als ich in der Schule in einer Zeitung über Dr. Raphael Mecoulam und seine Studie mit einem wissenschaftlichen Team aus São Paulo las. Das ist aber schon lange her, das war zu Beginn der Achtziger. Kurz gesagt erkennt man dann, dass es helfen kann, und wenn man einer Person hilft, benötigen am nächsten Tag Tausende deine Hilfe.

CY: Ganz genau.

BR: Bis jetzt hatten wir mehrere Tausend Anfragen von Patienten, und deshalb haben wir in Ljubljana einen Cannabis Info Point aufgemacht – das ist nicht wirklich legal, aber das ist uns egal. Wo die Menschen hinkommen können und gratis Beratung bekommen.

MED: Ist es etwa illegal, Informationen zu geben?

BR: Nein, Informationen sind nicht illegal, aber medizinische Beratung dürfen nur Ärzte geben. Andererseits: Wenn die Behörden uns wirklich verbieten wollten, hätten sie es schon gemacht. Ich war schon mehrere Male im Gefängnis wegen Cannabis, ich kenne die Repression dahinter also sehr gut.

MED: Warum warst du im Gefängnis?

BR: Eigenanbau. Ich baue seit mittlerweile 40 Jahren für mich selbst an. Ich habe nie Cannabisblüten an jemanden, der es zu Genusszwecken wollte, verkauft. Aber kranke Menschen habe ich versorgt, vor allem solche, die nicht für sich selbst anbauen können. Außerdem habe ich realisiert, dass es eine sehr wichtige therapeutische Maßnahme sein kann, wenn Patienten Cannabis selbst anbauen. Und ich finde es auch wichtig, dass die Leute im Prozess mit dabei sind – dass sie wissen, was sie nehmen.

MED: Was passiert, wenn Patienten sich die Medizin nicht leisten können?

BR: Wir als Aktivisten haben ebensowenige finanzielle Mittel. Wir verkaufen Cannabisöl – zwar illegal, aber wir machen es – an Patienten, und wir überzeugen sie, Cannabis selbst anzubauen. Wenn sich diese Patienten dann besser fühlen oder gesund sind, bitten wir sie, weiterhin anzubauen – damit wir ihnen die Ernte abkaufen können, um weiteres Öl zu extrahieren. So können die Patienten ihre Ausgaben wieder hereinholen.

MED: Und welche Krankheiten haben die Patienten, die zu euch kommen?

BR: Alles Mögliche – Morbus Crohn, Autoimmunerkrankungen, Autismus. Wir haben viele kleine Kinder mit Spastiken und Epilepsie, dann noch Krebs und auch COPD (chronisch-obstruktive Bronchitis). Wir hatten eigentlich schon mit jeder erdenklichen Krankheit zu tun.

MED: Habt ihr auch Ärzte im Team?

BR: Ja, es gibt ein paar Ärzte, die auch in der Öffentlichkeit für Cannabis einstehen. Einer von ihnen ist Dr. David Neubauer, der ehemalige Leiter der Kinderklinik von Ljubljana. Mit ihm gemeinsam haben wir eine Studie zu Epilepsie durchgeführt. Er ist kurz vor der Pension und dementsprechend „furchtlos“. Und es gibt noch weitere Ärzte. Es wurde auch bereits damit begonnen, Ärzte fortzubilden. Im November fand der erste Kurs statt, mit knapp 100 teilnehmenden Ärztinnen und Ärzten. Das muss noch ausgebaut werden – ich denke, das Endocannabinoidsystem sollte an weiterführenden Schulen und im Medizinstudium behandelt werden.

MED: Wie verbreitet ist Cannabis in Slowenien?

BR: Wir haben eine riesige Gruppe von Menschen, die Cannabis als Medizin nutzen. Jeder onkologische Patient weiß zumindest über Cannabis Bescheid, jeder zweite baut selbst für sich an.

MED: Und die Polizei tut nichts dagegen?

BR: Eigentlich nicht. Sie können nicht alle einsperren. Und ich will den Richter sehen, der jemanden mit Glioblastom (Hirntumor) im Stadium 4 verurteilt.

MED: Und dich als Aktivist? Könnten sie dich einsperren? Du verteilst ja das Öl.

BR: Ja, sie könnten. Ich verstecke mich nicht. Wenn sie mich einsperren wollen, dann machen sie das auch. Sie haben mich schon dreimal eingesperrt. Beim letzten Mal im letzten Jahr ergab sich dadurch eine gute Werbung und Medienpräsenz. Als ich verhaftet wurde, haben alle Zeitungen und Nachrichtenstationen darüber berichtet.

MED: Wisst ihr, was in euren Produkten drinn ist? Welche Sorten, welche Cannabinoidzusammensetzung?

BR: Ja, wir geben alle Extrakte in unser Labor. Dr. Paul Hornby hat uns geholfen, es aufzubauen.

MED: Kann man in Slowenien legaler Cannabispatient werden?

BR: Nein, offiziell gibt es nur Sativex, Epidiolex, Marinol und Dronabinol, aber keine Cannabisblüten oder -extrakte.

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