Hanf-Diskussion in Deutschland

Ein Politiker, der gleichzeitig Wissenschaftler ist, hat es nicht leicht. Warum? Das versuchen wir hier exemplarisch darzustellen.

Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah: Vielleicht waren wir in letzter Zeit allzu sehr mit den Geschehnissen in Tschechien, Polen und der Slowakei beschäftigt. Dabei haben wir vergessen zu erwähnen, dass auch das bisher so “stille Wasser” der deutschen Politik immer mehr von der Frage der Rauschmittel-Reglementierung in Wallung gebracht wird, da es landesweit vier Millionen Konsumenten gibt, die mehr oder weniger regelmäßig zum Tütchen greifen und insgesamt 12 Millionen Einwohner, die Marihuana irgendwann einmal ausprobiert haben. Das Thema betrifft also eine Menge Leute und dabei haben wir von den Auswirkungen auf die Wirtschaft noch gar nicht gesprochen.

In Deutschland ist die Sache noch nicht so weit vorangetrieben worden wie beispielsweise in der Slowakei, wo die Entkriminalisierung bald auf die Tagesordnung gesetzt werden kann – bisher zeichnen sich lediglich die Kräfteverhältnisse ab und man konnte erste Zusammenstöße aus nächster Nähe verfolgen – die Richtungen sind allerdings ohne Zweifel schon recht eindeutig. Die Ausgangssituation sieht also so aus, dass die aus Christdemokraten und Liberalen bestehende Regierung absolut nichts von einer Aufhebung des Cannabis-Verbots hören will, und diese Grundeinstellung wird wie gewohnt nicht wissenschaftlich sondern ideologisch begründet (für die Leute mit der längeren Leitung: Drogen sind gefährlich, verstanden?). Gleichzeitig wird nicht nur nicht gegen die Konsumenten und die Anbauer für den Eigenbedarf vorgegangen, sondern angesichts der mehreren hundert Growshops in Deutschland kassiert der Bund auch noch ein beträchtliches Sümmchen an Steuern von ihnen. Diese scheinheilige Grundeinstellung des Staates wurde dem Deutschen Hanfverband nun zu viel und so wurde im Dezember 2010 eine Online-Petition zur Cannabiskonsumentenentkriminalisierung und zur Einführung der nüchtern-realistischen Drogenpolitik verfasst. Der Verband schlug vor, in allen Bundesländern einheitlich den Besitz von 30 g Marihuana und einigen Cannabispflanzen zu erlauben. Außerdem würde man die Einführung des aus Spanien bekannten Cannabis Social Club (CSC) begrüßen, wo die Mitglieder des Clubs ihren Eigenbedarf gemeinsam anbauen dürfen. Gleichzeitig sollte eine obere Grenze für die THC-Konzentration im Blut angesetzt werden, mit der man sich noch ans Steuer setzten dürfte – ähnlich wie die Promille-Grenze beim Alkoholkonsum – und bei Verfahren, die wegen geringfügigen Limit- Überschreitungen eingeleitet würden, sollte man sowohl von Hausdurchsuchungen als auch von der Erstellung von Polizei-Fotos und Fingerabdrücken absehen – kurzum von der Aufnahme ins Strafregister absehen.

Die deutsche sozialistische Partei hatte im Januar in einem Gesetzesänderungsentwurf ähnliches vorgeschlagen. Nach ihrer Konstruktion könnten die CSCs so viel Marihuana anbauen, wie sie für den Eigenbedarf benötigen, und somit würden sie vom Schwarzmarkt weder abhängig sein, noch ihn “ankurbeln”. Außerdem könnten die Clubs ihre Lieblingssorten anbauen und durch das entsprechende “Füreinander-Sorgen” könnte die Infektionsgefahr minimiert werden. Wichtiger Bestandteil des Änderungsvorschlags ist auch die Änderung hinsichtlich der “geringen Menge”, die von bisherigen 6-15 g auf 30 g erhöht werden soll. Frank Tempel, der als Verantwortlicher für Drogenpolitik in der Partei den Änderungsvorschlag ausarbeitete, begründete diese Maßnahme unter anderem mit der Tatsache, dass das Cannabis-Verbot diejenige Rechtsnorm sei, die die meisten Gegner in der Bevölkerung habe. Nach seinen Berechnungen konsumieren bis zu vier Millionen Deutsche mehr oder weniger regelmäßig Marihuana und in jährlich insgesamt ungefähr 100.000 Fällen kommt es zu Ordnungswidrigkeiten in diesem Bereich. Laut Tempel spornt das derzeit geltende Drogenverbot eher zum Konsum an, als dass es abschreckende Wirkung hätte. Wenn man sich andererseits vermehrt um die Prävention kümmern und entschiedener im Kampf gegen den Schwarzmarkt auftreten würde und außerdem im CSC-System großen Wert auf die Einhaltung der Altersgrenze und sonstiger verschiedener Genehmigungen legen würde, so könnten wesentlich mehr Jugendliche daran gehindert werden, sich zu früh dem Gras zu verschreiben. In dem Gesetzesentwurf wird auch eine Zusammenarbeit mit den Gemeindegesundheitsdiensten und dem Ordnungsamt vorgeschlagen.

Es wundert einen nicht sonderlich, dass nach Meinung der Christdemokraten gerade die CSCs eine anspornende Wirkung auf minderjährige Konsumenten hätte. Auch den Sozialdemokraten ist das Konzept nicht ganz geheuer, jedoch sind auch sie der Meinung, dass die Bestimmungen bezügliche Marihuana landesweit vereinheitlicht werden müssten, denn bisher schwanke das Mengenlimit für die geringfügige Menge z.B. je nach Bundesland zwischen 6 und 15 g.

Die Petition des Deutschen Hanfverbandes wurde bisher von über 30.000 Befürwortern unterschrieben und mehrere Presseorgane berichteten über die Aktion, das fachte erneut die Diskussionen an. Der Verantwortliche für Drogenpolitik der Linken sprach sich offen für eine Legalisierung aus und unterstützte sämtliche Punkte der Petition. Im Herbst 2011 war es dem Deutschen Hanfverband sogar gelungen, Kanzlerin Angela Merkel zum Thema zu befragen, allerdings bewirkte dies nicht unbedingt den erhofften Erfolg. Laut Merkel besteht bei Rauchen und Alkoholkonsum – sofern in entsprechende Rahmenbedingungen eingebunden – kein besonders großes Risiko, dass rasch eine Abhängigkeit entstünde, Marihuana dagegen könne auch bei Konsum von geringfügigen Mengen bereits Abhängigkeit erzeugen. Aus dem Munde der christdemokratisch-konservativen Kanzlerin müssen wir uns also immer noch diese alt bekannte Argumentation anhören, die bereits vor Jahrzehnten wissenschaftlich widerlegt wurde. Wiederholung ist die Mutter der Weisheit – dachten sich da-raufhin die Hanf-Aktivisten – und veranstalteten im Januar 2012 eine wissenschaftliche Diskussion über die Gefahr des Cannabis, bei der bereits wesentlich mehr positive Stimmen laut wurden, und zwar nicht nur über die positiven Wirkungen des Marihuana, sondern auch über die Entkriminalisierung. Aber auch die Online-Kämpfer hatten die Entkriminalisierung und ihr Fortbildungsprojekt für Politiker noch nicht so leicht aufgegeben. Auf der bundesweiten Diskussionsplattform mit dem Titel “Diskussion über Deutschlands Zukunft”, die Merkel von Februar bis April im Web unterhielt, wurde die Petition des Deutschen Hanfverbandes auf Platz zwei der Prioritäten-Liste gewählt. Da die Kanzlerin auf sämtliche zur Sprache gekommenen Themen auf jeden Fall eine gründlich durchdachte, mithilfe von Fachleuten erarbeitete Reaktion versprochen hat, wird sie wohl nicht umhin kommen, ihre Aspekte zu aktualisieren und sich z.B. mit wissenschaftlichen Ergebnissen über den Vergleich der Risiken von Rauchen, Alkoholgenuss und Graskonsum auseinanderzusetzen. Auf den ersten Blick wird sie von den Resultaten vielleicht ein wenig überrascht sein, aber da sie selbst eine Frau der Wissenschaften- ja sogar ausgerechnet Naturwissenschaftlerin ist (ursprünglich Physikerin – Anm. d. Red.), wird sie die Tatsache, dass zwischen ideologischen oder politischen Zielen und wissenschaftlichen Erkenntnissen oft eine beachtliche Schlucht klafft, vielleicht akzeptieren. Darüber hinaus könnte sich die Kanzlerin natürlich auch von den Hanf-Paraden in Frankfurt und Berlin, die Zehntausende Demonstranten auf die Straßen locken, überzeugen lassen, dass es auch politisch gesehen nicht gerade realistisch erscheint, die Meinung einer derart großen Gruppe von potentiellen WählerInnen einfach mit Nichtbeachtung zu strafen. Die harten Fälle der Drogenabhängigkeit und die verruchten Kriminellen sollte man allerdings nicht in diesen Gruppen suchen.

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