Grenzgebiete der Cannabis-Therapie

Wir sind uns sehr wohl dessen bewusst, dass bei bestimmten gesundheitlichen Problemen sowie genetischen und in Familien auftretenden Krankheiten der Cannabiskonsum unterlassen werden sollte. Der Neurologe Dr. Ilya Reznik hat unlängst allerdings Fälle beschrieben, die weit über die derzeitigen Grenzen der Cannabistherapie hinausgehen.

Lester Grinspoon ist einer der renommiertesten Cannabisforscher und Dr. Reznik vertritt aufgrund seiner Arbeiten die Meinung, dass Cannabis von den meisten PatientInnen unbedenklich verwendet werden kann. Die Medizin behandelt diese Grenzgebiete zu Recht mit Vorsicht, doch es ist umstritten, wo genau diese Grenzen liegen. Warum in manchen Fällen die Schulmedizin die Anwendung ablehnt und ob sie dazu das Recht hat, dies fragte sich Dr. Reznik bei einem Vortrag auf der Hanfmesse Cultiva. Bei speziellen neuropsychologischen Fällen und pädiatrischen Erkrankungen, so Dr. Reznik, sollten Ausnahmen gemacht werden, denn es gibt schwere Syndrome, die den Einsatz von Cannabis rechtfertigen. Basierend auf den Forschungen und seiner neurologischen Praxiserfahrung erstellte er eine Liste von Fällen, in denen Cannabiskonsum kontraindiziert ist und brachte gleichzeitig seine diesbezüglichen Zweifel zum Ausdruck.

– Allergische Reaktionen auf Cannabinoide, die allerdings äußerst selten sind. Alle Anwendungen sollten hier unterbleiben.

– Bei Verdacht auf Angstzustände, Panikattacken und Psychosen. In diesem Fall könnte die Alternative CBD sein.

– Bei Drogenmissbrauch, wenn die Person den Konsum nicht kontrollieren kann.

– Bei schweren Nebenwirkungen und geringer Wirksamkeit – d. h., wenn die Therapie keine signifikanten Ergebnisse erzielt und die Symptome verschlimmert.

– Bei Schwangeren und Kindern. Aber wie wir später sehen werden, kann es hier Ausnahmen geben.

Zur Anwendungsform sagte der Neurologe, dass diese vom Zustand der/des PatientIn und der therapeutischen Erfahrung abhänge. Er wies darauf hin, dass das Cannabis nicht geraucht werden sollte, da dies weitere Gesundheitsschäden verursachen kann.

 

Von Ausnahmefällen hin zur Norm

Dr. Reznik erinnerte daran, dass die erste medizinische Zulassung von Cannabis ein absolutes Novum war. 1973 wurde in den Vereinigten Staaten beschlossen, dass eine Gruppe von PatientInnen entgegen allen Gesetzen Cannabis zur Linderung ihrer Symptome verwenden durfte. Diese Praxis schloss allerdings viele PatientInnen aus, die ebenfalls von einer solchen Therapie hätten profitieren können. Aber zurück zu den schwangeren Frauen. Obwohl der medizinische Kanon einstimmig erklärt, dass diese wegen der wenigen vorliegenden Forschungsergebnisse auf Cannabis verzichten sollten, gibt es Fälle, in denen die Verwendung gerechtfertigt sein kann. Dr. Reznik hebt hier zum einen die Genesung nach schweren Unfällen sowie die Schwierigkeit, schwanger zu werden hervor. In Israel gibt es bei diesen beiden Fällen die Möglichkeit einer Cannabistherapie, nachdem der behandelnde Arzt die Frauen über mögliche Komplikationen aufgeklärt hat. Fraglos ist es bedeutend sinnvoller, ausgewählte Cannabissorten unter ärztlicher Aufsicht zu verwenden, als sie auf dem Schwarzmarkt zu beziehen und die Dosierungen selbst zu testen.

 

Fallstudie eines Patienten mit neurologischen Problemen

Schließlich gab Dr. Reznik einem Patienten das Wort, der schilderte, welche Veränderung Cannabis bei ihm bewirkt hat. Bei dem etwa 40-jährigen Patienten wurden ADHS, Zwangsstörungen, Hyperaktivität und das Tourette-syndrom diagnostiziert. Jahrelang wurde er mit Stimmungsaufhellern behandelt, die starke Nebenwirkungen hatten, aber weder die Depressionen noch die Muskelzuckungen des Patienten besserten sich. Das israelische Gesetz erlaubte in seinem Fall die medizinische Anwendung von Cannabis nicht, jedoch konnte Dr. Reznik beim Gesundheitsministerium erreichen, dass der Patient zumindest Sativex erhielt. Dies reduzierte seine Muskelzuckungen und löste andere positive physiologische Wirkungen aus, was bewies, dass pflanzliche Cannabinoid-Therapien auch bei ihm wirksam waren. Vor zweieinhalb Jahre ist es ihm dann gelungen, die Erlaubnis für andere Cannabispräparate zu erhalten. Die Ergebnisse sprechen für sich, denn das Publikum lernte einen psychisch stabilen Menschen kennen, der im Alltag gut zurechtkommt. Er berichtete, dass er sich zuvor mit Haschisch vom Schwarzmarkt selbst behandelt hatte, dies aber seine Hoffnungen nicht erfüllte. Er experimentierte auch mit CBD-Blüten, die ebenfalls keine große Verbesserung brachten. Den Durchbruch brachte Cannabisöl, denn jetzt verschwinden innerhalb von eineinhalb Stunden nach der Einnahme die Muskelzuckungen vollständig. Er konsumiert etwa 10 Gramm Cannabis pro Monat, hält jedoch das Öl für effektiver, da es eine gleichmäßigere Wirkung erzielt und keine Stimmungsschwankungen zwischen Hoch und Tief hervorruft. Das Öl wird aus einer Sorte hergestellt, die zu gleichen Teilen aus THC und CBD besteht. Dr. Reznik bestätigte, dass er seinen Patienten noch nie so gesund und voller Lebensfreude gesehen hat wie jetzt. In der Präsentation wurde hervorgehoben, dass gut ausgewählte Sorten, sorgfältig an die Bedürfnisse der/des PatientIn angepasst und unter strenger ärztlicher Aufsicht verabreicht, in vielen Fällen, in denen die medizinische Verwendung von Cannabis derzeit kontraindiziert ist, hochwirksam sein können.

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