Gras und Doping

Spitzensportler und Marihuana

Einen Kurzen vor dem Wettkampf, das ist völlig o.k., aber ein paar Züge Gras anstelle von Schlafmitteln, vielleicht sogar Wochen vor dem Wettkampf – na, das geht zu weit! Und daran hat sich jeder Olympionike zu halten! Die Sportler allerdings – von den Fußballspielern über die Basketballer bis hin zu den Ringkämpfern – betonen immer häufiger, dass Marihuana auf den Dopinglisten überhaupt nichts zu suchen hätte, vor allem nicht im Zusammenhang mit sportlichen Erfolgen.

Die diversen Komitees und Organisationen, die aus scheinheiligen und bigotten Sportdiplomaten bestehen, vertreten die wahren Interessen der Sportler nicht im Geringsten. Dabei wäre das wahrscheinlich das Allerwichtigste. “Der Sport lehrt uns, ehrlich zu gewinnen und mit erhobenem Haupt zu verlieren. Der Sport lehrt uns also alles”, schreibt Hemingway.
Wenn man allerdings diesen erhabenen Gedanken in seiner praktischen Umsetzung betrachtet, muss man sich damit abfinden, dass innerhalb der Olympischen Spiele der echte Sport langsam aber sicher ausstirbt, und bei der Vorbereitung, die bis an die menschlichen Grenzen des Sportlers gehen, immer häufiger das Austricksen der Doping-Tests in den Vordergrund rückt. Jedenfalls für alle diejenigen, die die Tatsache akzeptieren, dass man heutzutage aus eigener Kraft einfach nicht mehr siegen kann. Ob wir uns davon frustrieren lassen, sei uns überlassen. Es schadet aber keinesfalls wahrzunehmen, dass sich mit der Verbreitung des Dopings und der Verfolgung desselben der Charakter des Leistungssports grundlegend geändert hat. Dabei ist künstliche Leistungssteigerung noch nicht mal eine Erfindung unserer Zeit.

100 m bekokst

Punkt 8 der 2011 herausgegebenen 16-Punkte-Charta des Internationalen Olympischen Komitees (NOB) besagt, dass der Anti-Doping-Kampf im Sport einzuführen sei. Die Dopingkontrolle, die sich mittlerweile zu einem echten Kleinkrieg gegen die Sportler ausgewachsen hat, wäre vor einigen Jahrzehnten noch niemandem eingefallen. Dabei sind chemische Selbstversuche der Menschen eigentlich überhaupt keine Erfindung der Neuzeit. Wenn man heute von Dopingskandalen hört, kommt einem gar nicht in den Kopf, dass die Menschheit sich schon immer Gedanken über die Steigerung von Leistungsfähigkeit und Durchhaltekraft gemacht hat. Der Renner unter den Drogen der Olympischen Spiele im antiken Griechenland hieß natürlich nicht EPO und bestand auch nicht aus anabolischen Steroiden. Man griff beispielsweise eher auf Tierhoden zurück, die die Wettkämpfer kauten, um ihren Hormonspiegel auf Vordermann zu bringen. Der Einsatz von leistungssteigernden Mitteln stellte auch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch kein größeres Problem dar. Es war durchaus akzeptiert, dass ein Trainer seine Zöglinge mit Kokain oder Amphetamin zu besseren Leistungen anspornte. Der selbstvergessene Umgang mit allen möglichen Mittelchen fand in den 1960er Jahren ein jähes Ende, als bei den Olympischen Spielen in Rom ein dänischer Fahrradfahrer, vermutlich nach Amphetamin-Genuss, durch Überbelastung seines Organismus’ tot zusammenbrach. Seit diesem Ereignis schenkte die IOC dem Phänomen Doping größere Aufmerksamkeit, wodurch in der Geschichte des Dopings nach der Zeit der Stimulantien und Steroide in den 80er Jahren die Epoche des Blutdopings anbrach. Seitdem bemüht man sich, mit ständig neuen Kunstgriffen die Bestimmungen zu umgehen. Die Kontrolleure freuen sich heutzutage, wenn sie hier und da mal einen Olympioniken beim Doping erwischen, aber dem Gesamtprozess gegenüber sind sie absolut machtlos, auch wenn bereits mehrere hundert Mittel und Präparate auf die Liste der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) gesetzt wurden. Und wen kann man am leichtesten überführen? Klar, denjenigen, der hin und wieder mit einem kleinen Joint relaxt, denn das THC lässt sich leicht nachweisen und verschwindet erst nach Wochen vollständig aus dem Organismus.

Betrunkener Karatemeister

Beim Durchblättern der Liste der von der WADA verbotenen Mittel sind uns mindestens zwei Posten besonders aufgefallen. Einerseits wurde den Cannabinoiden eine eigene Gruppe gewidmet, und neben den natürlichen Formen vergaß man bei der Zusammenstellung der Liste auch nicht, die synthetischen Verbindungen zu erwähnen. Die zweite Überraschung verursachten die Regelungen zum Alkoholgenuss: Mit Ausnahme von zwei Sportarten (Karate und Bogenschießen) ist der Alkoholgenuss ausschließlich in solchen Sportarten verboten, in denen der Sportler irgendeine Maschine benutzt oder ein Flugzeug, ein Motorrad oder ein Auto steuert. Hier stand natürlich die Sicherheit und nicht die Verschaffung eines unrechtmäßigen Wettkampfvorteils im Vordergrund, denn Autofahren ist ja schließlich nicht nur auf sportlichen Wettkämpfen, sondern überall nur im nüchternen Zustand erlaubt. Betrunken in den Karate-Wettkampf zu gehen, ist ebenfalls verboten, aber sich vor dem Boxring oder dem Ringkampf mit Schnaps einzuheizen, nicht. Die Liste ist also in hohem Maße der gesellschaftlichen Erwartungshaltung angepasst: Alkoholtrinken zu Entspannungszwecken ist eine Selbstverständlichkeit, aber wenn man Marihuana zum selben Zweck verwendet, dann ist das nicht o.k. Nach der Logik der WADA dürfen die Bogenschützen ein mögliches Handzittern keinesfalls mit einem Pflaumenschnäpschen abstellen, aber was ist mit den Sportschützen und den Golfspielern? Die dürfen das überraschenderweise.

In diesem Jahr hat dies zum ersten Mal die Ringkämpferin Stephany Lee am eigenen Leibe erfahren müssen, die wegen eines positiven Doping-Tests von den Spielen aus London abreisen musste. Lee ist der Überzeugung, dass vor den Olympischen Spielen sehr viele Sportler regelmäßig kiffen, was sie nur zwei bis drei Monate vor den Spielen aufgeben, damit ihr Körper bis dahin wieder absolut clean ist. Nach ihrem eigenen Geständnis kiffte sie in den härteren Trainingsperioden zwei- bis dreimal wöchentlich, um sich nach dem Training zu entspannen und ihre ständige Schlaflosigkeit zu bekämpfen. Allerdings hatte sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht, als sie den Joint erst zwei Wochen vor den Tests endgültig niederlegte. Am Beispiel des erfolgreichsten Olympioniken aller Zeiten, Michael Phelps, illustrierte sie, dass jemand, der Spitzensportler ist, auch ruhig mal kiffen darf.

 

Gras ist kein Doping, sondern nur verboten

Phelps Fall ist auch deswegen interessant, weil einer seiner Hauptsponsoren – der Riesenhersteller für Getreideflocken Kellogg’s – unverzüglich nach dem Erscheinen des Photos von Phelps mit der Wasserpfeife ankündigte, dass er für seine Produkte von nun an nicht mehr mit dem Schwimmer werben möchte. Phelps kiffte in seiner Freizeit unabhängig von Wettkämpfen und Vorbereitung. Im Vergleich dazu sah die Lage bei dem Dopingskandal von Lance Armstrong ganz anders aus. Nachdem man ihm alle seine sieben Tour-de-France-Siege wegen Dopings aberkannt hatte, erklärte sein Hauptsponsor sofort: Er stehe Armstrong trotz der Geschehnisse weiterhin zur Seite, auch wenn es im Falle Armstrong eindeutig erwiesen wäre, dass er das Doping benutzte, um sich einen unrechtmäßigen Wettkampfvorteil zu verschaffen. Es ist allgemein bekannt, dass Schwimmen und Fahrradfahren zu den Sportarten zählen, die vom Doping am ehesten betroffen sind. Nichts spiegelt die Oberflächlichkeit der Menschen besser wider als die Tatsache, dass in den beiden Fällen nur der Fall von Phelps die öffentliche Meinung aufbrachte, obwohl das Gras seine sportliche Leistung in keinster Weise beeinflusste.

Durch den ständig wachsenden Druck seitens der Sportler und der Gesellschaft kann es jedoch passieren, dass Cannabis schon bald von den Dopinglisten gestrichen wird. Den ersten Schritt in diese Richtung hat die NBA bereits unternommen, indem sie dafür sorgte, dass auf Tests außerhalb der Spielsaison verzichtet wird. Der Utah Jazz Spieler Josh Howard hatte bereits in einem Interview von 2008 gestanden, dass die Basketballer außerhalb der Saison ganz gerne kifften. Die neue Untersuchungspraxis wurde den Gewohnheiten der Basketballer insofern angepasst, als dass sie nun nicht mehr davor zu fürchten haben, dass sie wegen ihrer Lieblingsentspannungspraktik gesperrt würden. Die Australische Fußballliga (AFL) ging sogar noch weiter und bat die WADA ausdrücklich darum, ihre Energie nicht auf die Jagd nach THC zu verschwenden, da Marihuana nun wirklich nicht als leistungssteigerndes Mittel bezeichnet werden könne und daher auch völlig ungeeignet sei, in irgendeinem Sport unrechtmäßige Wettkampfvorteile zu erzielen. Die Eingabe wurde vom Leiter der WADA verständnisvoll aufgenommen. Er kommentierte dazu, dass es Substanzen gäbe, die in einigen Sportarten erlaubt und in anderen verboten seien – wie z.B. Alkohol, daher sehe er keinerlei Hinderungsgrund dafür, warum man für Cannabis nicht eine ähnlich differenzierte Regelung treffen könne.

Das bedeutet, dass die Grundmauern des Marihuanaverbots im Sport bereits ins Wanken geraten sind. Es kann daher gut sein, dass die für November 2013 geplante Dopingliste nicht nur den angenommenen gesellschaftlichen Bedürfnissen, sondern auch der Wirklichkeit ein wenig besser angepasst wird.

Tomas Kardos

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