Führerscheinentzug

An der Grenze zur Willkür?

Am Wochenende vom 12. bis 14. Oktober kam es im Zuge der Hanfmesse Cultiva in der Pyramide Vösendorf zu einer äußerst repressiven Vorgehensweise der Exekutive. Bei intensiven Schwerpunktkon-trollen wurden über 100 BesucherInnen ihre Führerscheine abgenommen. Diese hätten unter Einfluss von Suchtmitteln gestanden, heißt es seitens der Polizei. Uns liegen Berichte vor, die eine Vorgehensweise an der Grenze zur Willkür belegen. Die aktuelle Gesetzeslage – ohne Grenzwerte oder genormte Testverfahren – verstärkt diese Praktiken.

 

Berichte von Betroffenen

Uns liegen mehrere Berichte von Betroffenen vor, die an diesem Wochenende ihren Führerschein abgeben mussten, unabhängig davon, ob sie berauscht Auto fuhren oder nicht. Um aufzuzeigen, warum die bei den Kontrollen durchgeführten Tests nicht geeignet sind, eine Fahruntüchtigkeit festzustellen, und daher der Entzug der Führerscheine einem Rechtsstaat nicht würdig ist, skizzieren wir zwei Berichte von Betroffenen.

 

Fall 1 – Luca von Cannafleur, Österreich

Luca berichtet, dass er keine THC-haltigen Cannabisprodukte zu sich nehme. Am Freitag, den 12. Oktober, sei er 30 Minuten nach Messeschluss zu seinem Auto gegangen und habe ein großes Polizeiaufgebot beobachtet. Da er weder im Besitz von Cannabis war noch unter Einfluss von THC stand, beschloss er loszufahren. Er stieg in sein Auto und hatte noch nicht einmal den Motor angelassen, als er von einem Polizeiwagen zugeparkt wurde. Die jungen Polizisten, die während der Amtshandlung überwiegend freundlich gewesen seien, forderten Luca auf, sich einem Urintest zu unterziehen, welchen er ablehnte. Um das Auto zu durchsuchen, kamen noch weitere Beamte in Zivil hinzu – welche natürlich nichts fanden. Immer wieder versuchten die Beamten, Luca zu einer Urinprobe zu überreden. Nach mehrfacher Ablehnung wurde er in die provisorische Einsatzzentrale der Polizei (angemietet im Hotel) gebracht. Und auch die Polizeiärztin bestand auf einem Urintest (Zitat: „Das können Sie sich nicht aussuchen“), der nochmals verweigert wurde – Luca klärte die amtshandelnde Polizeiärztin über die Rechtslage auf. Daraufhin habe er Tests machen müssen wie fünfmal im Kreis drehen und dann den Finger-Nase-Versuch sowie 30 Sekunden abschätzen. Laut Polizeiärztin und Psychologin habe er die Tests nicht bestanden. Dann wurde ihm eine Blutprobe genommen. Luca sagt: „Im Hotel ging es zu wie am Fließband, als ich mit der Untersuchung fertig war, sind schon 14 neue Leute im Warteraum gewesen.“ Eine Woche später trudelte ein Brief der BH Villach ein – Luca habe „unter Einfluss von Suchtmitteln ein Fahrzeug gelenkt“. Gegen diesen Bescheid reichte er natürlich Beschwerde ein. Wir werden weiter berichten.

 

Fall 2 – Geschäftstreibender Max* aus Österreich

Max kommt als Geschäftstreibender schon seit mehreren Jahren auf die Cultiva-Hanfmesse, um sich zu vernetzen und neue Kontakte zu knüpfen. Auch ihm wurde am Freitag der Führerschein entzogen. Schon tagsüber, als er immer wieder zu seinem Auto gegangen sei, um Produktproben zu holen, sei er aufgehalten und kontrolliert worden, wobei die Polizei seinen Ausweis sehen wollte und eine Taschenkontrolle vornahm. Etwa um 19.00 Uhr habe er dann die Messe verlassen. Keine fünf Meter gefahren, wurde er von einem Beamten in Zivil gestoppt, dazu kam ein Streifenwagen mit vier weiteren Polizisten. Die Frage, ob er Alkohol oder Suchtmittel konsumiert habe, verneinte er wahrheitsgemäß – die Antwort des Polizisten „Das stellt jetzt eh der Amtsarzt fest“ machte Max stutzig. Daraufhin wurde das Auto von einem Hund durchsucht – ohne Ergebnis. Der Zivilpolizist habe abschließend noch die Pupillenreaktion geprüft und Max mit ins Hotel genommen. Hier verneinte er nochmals Fragen nach Cannabiskonsum, auf die Verweigerung des Harntests reagierte die Amtsärztin schnippisch. Auch bei Max wurden Tests wie bei Luca durchgeführt, auf Nachfrage von Max, ob es so richtig sei, habe die Amtsärztin „Eh wurscht“ gesagt – was ihn vermuten lässt, dass ungeachtet dessen, ob eine Beeinträchtigung vorlag oder nicht, die Führerscheine einkassiert werden sollten. Und er behielt Recht. Denn sein erhöhter Puls (Zeichen von Stress und Nervosität) reichte der Amtsärztin, um den Führerschein abnehmen zu können. Gegen diesen Bescheid legte Max Beschwerde ein, wir werden weiter berichten.

*Name von der Redaktion geändert

Experten-Resolution

Unabhängig von den Ereignissen, die sich vor den Toren der Messe abspielten, fand am Freitagabend ein Expertenpodium zu Verkehrssicherheit und Rechtslage auf dem Cultiva-Cannabis-Kongress statt. Dort wurden genau diese rechtsstaatlichen Defizite diskutiert und mögliche Lösungsansätze erarbeitet. Die ExpertInnen veröffentlichen nun eine gemeinsam erarbeitete Resolution. Diese fordert u. a. objektive und genormte Testverfahren sowie das Verbot der für die Fahrtüchtigkeit nicht aussagekräftigen Harntests bei Verkehrskontrollen durch die Polizei und die Einführung evidenzbasierter Grenzwerte in der forensischen Blutanalytik.

Die Unterzeichner der Resolution sind: Dr. Martin Feigl, Rechtsanwalt, Wien; Dr. Gebhard Heinzle, Rechtsanwalt, Bregenz; Mag. Martin Hoffer, Verkehrsjurist, Wien; Mag. Klaus Hübner, ARGE CANNA, Wien; Dr. Rainer Schmid, Toxikologe, Wien.

 

Wissenschaft: Fahruntauglichkeit kaum feststellbar

Bei regelmäßiger Einnahme von Cannabis, beispielsweise bei medizinischer Indikation, ist eine Beeinträchtigung der Fahrtauglichkeit laut wissenschaftlicher Erkenntnisse nur in geringem Maße gegeben. Eine akute Berauschung durch Cannabis im Straßenverkehr birgt Gefahren und ist abzulehnen. Eine solche tritt beispielsweise auf, wenn man sich in der Einstellungsphase der Cannabismedikation hinter das Steuer setzt oder wenn man (nach Abschluss der ca. vierwöchigen Einstellungsphase) die empfohlene Dosis eklatant übersteigt.

Die Polizei kann mit den Harnteststreifen nicht einmal messen, wann und welche Cannabinoide eingenommen wurden. Lehnt der/die Kontrollierte jedoch den freiwilligen Harntest ab, ist es gut möglich, dass der Polizeiarzt voreingenommen ist – hat er/sie dann noch Probleme beim Finger-Nase-Versuch oder schätzt 30 Sekunden um eine Sekunde falsch ab, wird der Führerschein entzogen. Erst nach mehreren Wochen kommt das Ergebnis der Blutabnahme und der/die Betroffene kann dann belegen, dass z. B. kein THC, sondern nur das erlaubte CBD konsumiert wurde. Daher sollten CBD-PatientInnen, aber auch KonsumentInnen handelsüblicher Hanfprodukte den Test im Polizei-Planquadrat im Zweifelsfall verweigern und sich am besten gleich beim Polizeiarzt Blut abnehmen lassen. Wie bereits ausgeführt kann der Polizeiarzt ob der Verweigerung dann jedoch voreingenommen sein.

 

Lage der PatientInnen

Im Hinblick auf die erarbeitete Resolution zeigt sich der Vorsitzende der ARGE CANNA, Gerfried Düregger, zuversichtlich: „Es liegen zahlreiche Berichte von Betroffenen vor, die der Handhabung des Problems durch die Polizei kein gutes Zeugnis ausstellen – leider auch von PatientInnen mit ärztlich verschriebener Cannabismedikation. Die Ursache liegt nicht bei der Polizei, sondern in den Rechtsgrundlagen, nach denen diese ihr Handeln gestaltet. Die in der Experten-Resolution bezeichneten rechtsstaatlichen Defizite mögen daher möglichst rasch von politischer Seite in Angriff genommen werden.“ Weiterhin weist Düregger darauf hin, dass PatientInnen, die Angst vor Führerscheinverlust haben beziehungsweise ihn schon abgeben mussten, sich an die ARGE CANNA wenden können. Dort gibt es kostenlose Beratung und Hilfe bei der Erlangung einer ärztlichen Verschreibung und Rechtshilfe bei der Wiedererlangung des Führerscheins – schreiben Sie an kontakt@arge-canna.at.

You can share this: