Feindbild Cannabispatient?

Österreichs Regierung – allein gegen den Rest der Welt

Auf der ganzen Welt – von Chile über Thailand bis nach Neuseeland – wird Medizinalcannabis legalisiert. Doch das kleine Österreich spielt seit Kurzem gallisches Dorf und bekämpft die älteste natürliche Heilpflanze mit fragwürdigen Erlässen und Gutachten von Experten, die noch nie ein gutes Wort für Medizinalcannabis übrig hatten. Wird sich Österreich dem weltweiten Trend pro Cannabis auf Dauer widersetzen können? Eine Bestandsaufnahme des Hanf-Instituts.

Ein Erlass des Gesundheitsministeriums, der am Sonntag, den 9. Dezember 2018 veröffentlicht wurde – wohl um lästige Fragen der Medien auszuschließen – will den Verkauf von CBD-haltigen Produkten weiter erschweren, nachdem eine erst ein Jahr zuvor in Kraft getretene Gesetzesnovelle die rechtliche Grundlage für den Verkauf von CBD-Blüten und anderen CBD-Produkten  aus EU-Nutzhanfsorten klare Regelungen geschaffen hatte.

In den darauffolgenden zwölf Monaten erlebte Österreich einen regelrechten CBD-Boom, weil sich die positiven Wirkungen dieser Blüten und anderer Produkte – von CBD-Vapes bis zu mit CBD versetzten Lebensmitteln – bei den rund 1,5 Millionen SchmerzpatientInnen rasch herumsprachen. In ganz Österreich wurden Dutzende neue Läden eröffnet, neue Arbeitsplätze wurden geschaffen, die nun wieder gefährdet sind.

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Erlass muss erst umgesetzt werden

Noch ist die Situation unverändert, KonsumentInnen können in Österreich weiterhin CBD-Produkte erwerben. Denn der zweiseitige Erlass des Gesundheitsministeriums ist an die Landeshauptleute der neun Bundesländer adressiert, die diesen erst in einer gewerberechtlichen Verordnung umsetzen müssen. Ganz sicher scheint sich selbst das Gesundheitsministerium nicht zu sein. Es hat eigens dafür fünf Rechtsanwaltskanzleien beauftragt, Gutachten zur Rechtmäßigkeit dieses weltweit einzigen Rückschritts zu erstellen.

Aus dem Erlass: „Cannabinoid-haltige Extrakte, die zumeist als Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt gebracht werden, zunehmend aber auch in Lebensmitteln wie beispielsweise Süßwaren oder Kuchen eingesetzt und angeboten werden, fallen unter die ‚Novel-Food‘-(Neuartige Lebensmittel)-Verordnung der EU und dürfen daher nicht in Verkehr gebracht werden.“

CBD-dominante Blüten will das Ministerium künftig als pflanzliche Rauchwarenerzeugnisse einstufen, womit sie unter das Tabak- und Nichtraucherschutzgesetz (TNRSG) fallen würden. Diese Einstufung ist aber auch fraglich, weil die Blüten ja längst nicht nur geraucht, sondern auch verzehrt werden.

Viele Händler werden dennoch nicht aufgeben. Bei der Firma BioBloom sieht man nur eine Schlechterstellung für PatientInnen, sagte Geschäftsführerin Elisabeth Denk: „Leider bedeutet der Erlass, dass wir unsere Kunden nun weniger klar informieren dürfen. Das ist sehr bedauerlich, weil wir so viel Zuspruch von Kunden und Kundinnen mit teils ernsten Beschwerden erhalten, die unsere Hanfextrakte auch vom Arzt verordnet bekommen.“

Absage für Blüten aus der Apotheke

Für weiteren Aufruhr unter meist schwerkranken PatientInnen sorgte zudem der in der stillen Weihnachtszeit veröffentlichte „Prüfbericht“ der Gesundheitsministerin zur Abgabe von Cannabisblüten in Apotheken, in dem lange widerlegte negative Mythen unbeirrt weiter gepflegt werden. Weiterhin verwehrt sich das Ministerium, über 18.000 positive Studien aus dem englischen Sprachraum in seine Überlegungen einzubeziehen. Geradezu lächerlich erscheint die Behauptung, dass Blüten zur teuersten Form der Cannabismedikation zählten. Im Vergleich zum einzigen häufig verschriebenen THC-Medikament Dronabinol könnten Blüten ohne Profitgier um locker ein Zehntel bis ein Zwanzigstel billiger abgegeben werden. „1.000 Milligramm Rein-THC kosten in Form von Dronabinol bis zu 1.000 Euro, während dieselbe Menge in Blüten vom Schwarzmarkt locker um weniger als 100 Euro verkauft werden könnten“, sagte Hanf-Institutsvorstand Toni Straka.

Die ExpertInnen führen weitere fragwürdige Gründe an, warum sie Blüten aus der Apotheke verhindern wollen. So ist etwa von der schweren Dosierbarkeit die Rede, obwohl es gerade das Rauchen oder Verdampfen den PatientInnen aufgrund der raschen Anflutung erlaubt, so viel THC zu sich zu nehmen, wie es ihre Krankheit erfordert.

Es sei darauf hingewiesen, dass Cannabis eine einzigartige Wirkungsbandbreite hat, bei der selbst eine vielfache Dosisüberschreitung nur zu geringen, rasch wieder verschwindenden Nebenwirkungen führt. Schwindel, Mundtrockenheit und andere Nebenwirkungen sind bei Tausenden anderen Medikamenten oft eher die Regel als die Ausnahme.

Betroffene werden nicht in Diskussion einbezogen

In dem einzig auf Verhinderung abgerichteten Prüfbericht wird nur widerwillig auf die vielen positiven Wirkungen bei einzelnen Krankheitsbildern eingegangen,  Hunderte andere Indikationen wurden überhaupt nicht berücksichtigt.

Die Betroffenen und die Medien werden weiterhin komplett ignoriert, obwohl gerade PatientInnen, die lieber illegal gesund als legal krank sein wollen, am meisten dazu beitragen könnten. Auch Anfragen der Medien bleiben unbeantwortet und schon lange verwehren sich aus dem Gesundheitsministerium alle ExpertInnen einer öffentlichen Diskussion.

Dem Vernehmen nach kennen diese ExpertInnen sehr wohl die vielfältigen Vorteile von Medizinalcannabis. Unter vorgehaltener Hand wird aber kommuniziert, dass die aktuelle Rechtsregierung aus politischen Gründen wider allen wissenschaftlichen Erkenntnissen den Rückwärtsgang eingelegt hat und damit weltweit allein auf dem Prohibitions-Flur steht.

In der Politik protestiert allein die Liste Jetzt gegen die Cannabis-Verhinderungspolitik und führt ins Feld, dass damit der Zugang zu einem natürlichen und kostengünstigen Heilmittel verwehrt werde:

„Dieser Bericht ist eine schwere Enttäuschung für die 1,5 Millionen SchmerzpatientInnen in Österreich. Auf Basis der Pharmaindustrie-Hardliner unter den Ärzten wird, ohne auf die in der Ausschussbegutachtung eingeholten Stellungnahmen einzugehen und ohne die wissenschaftlichen Grundlagen der Stellungnahme nachprüfbar anzugeben, einfach festgestellt, dass in Österreich sowieso alles in bester Ordnung wäre“, stellt Peter Kolba, Leiter des Teams BürgerInnenrechte von der Jetzt-Liste Pilz und selbst betroffener Schmerzpatient, fest.

Im Hanf-Institut weist man darauf hin, dass die jüngsten Veröffentlichungen des Gesundheitsministeriums nichts an der geltenden Rechtslage änderten, sondern hier versucht werde, über Erlässe und Interpretationen die Cannabis-Welt weiterhin als Scheibe zu deklarieren. Doch das alles könnte von kurzer Dauer sein. Zwar haben die Vereinten Nationen die für letzten Dezember erwartete Neueinstufung von Cannabis aus undurchsichtigen Gründen auf dieses Jahr verschoben; angesichts der rasch wachsenden Zahl von Ländern, die jetzt Medizinalcannabis legalisieren werden, ist aber auch in Österreich mittelfristig wieder mit einer Annäherung an die Realität zu rechnen. „Und in der Realität sind 99 Prozent der ÖsterreicherInnen für Medical Cannabis. Das zeigen alle Umfragen.“

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