Die Tagung der Cannabisforscher

Am 22. Januar 2013 fand an der Universität Bern eine Tagung der Schweizer Arbeitsgruppe für Cannabinoide in der Medizin (SACM) statt, auf der aktuelle wissenschaftliche, gesundheitspolitische, rechtliche und regulatorische Fakten präsentiert wurden, die sich als Basis für eine sachliche Diskussion zu Pro und Contra Cannabis in der Medizin anbieten.

 

Einer der maßgeblichen Veranstalter der Tagung war Professor Rudolf Brenneisen. Der Leiter des Labors für Phytopharmakologie an der Universität Bern gilt schon seit Langem als einer der wichtigsten Köpfe der Schweizer Cannabisforschung. Mitte der neunziger Jahre führte er in der Schweiz die erste klinische Studie durch, die an einer Gruppe von 25 Querschnittgelähmten aufzeigte, dass THC Spastiken erheblich lindern kann. Der Schweizerische Nationalfonds (SNF) lehnte damals die Finanzierung der Studie mit der Begründung ab, dass das Sponsoring von klinischen Cannabisforschungen Sache der Pharmaindustrie sei. Und an dieser Haltung hat sich bis heute nichts geändert – auch wenn sich auf der Tagung selbst Toni Berthel, Präsident der Eidgenössischen Kommission für Drogenfragen, und FDP-Ständerat und Präventivmediziner Felix Gutzwiller für mehr klinische Cannabisstudien aussprachen.

Wir sprachen mit Prof. Dr. Brenneisen über seine Eindrücke von der Konferenz und (s)einen Blick in die Zukunft.

 

Wer nahm alles an der SACM-Tagung in Bern teil?

Die Tagungsteilnehmer waren Wissenschaftler, Studenten, Medizinalpersonen wie Ärzte oder Apotheker, Pflegepersonal, Patienten, Angehörige von Patienten, Patientenorganisationen, Behörden, Politiker, Industrievertreter, Pressevertreter und interessierte Privatpersonen. Die Mehrzahl von ihnen kam aus der Schweiz, es waren aber auch einige Teilnehmer aus dem angrenzenden Ausland gekommen – was dazu führte, dass die Tagung restlos ausverkauft war.

Was waren die Themen der Konferenz?

Am Vormittag des Tagungstages ging es vor allem um pharmazeutische Optionen und mögliche medizinische Anwendungsbereiche von Cannabinoiden. Es wurden Erkenntnisse zum Endocannabinoidsystem des Menschen und verschiedene Cannabinoid-Medikamente diskutiert. In weiteren Vorträgen ging es um den möglichen Einsatz von Cannabis bzw. Cannabis-Präparaten bei neurologischen Erkrankungen, Krebserkrankungen, bei ALS oder Schmerzpatienten, bei Asthma, Aids, Glaukom bis hin zur Verwendung bei bestimmten psychiatrischen Erkrankungen. Am Nachmittag wurde dann die rechtliche und politische Situation für Cannabis als Medizin in der Schweiz betrachtet und die verschiedenen legalen Verschreibungsmodelle der Staaten Holland, Deutschland, Österreich, Kanada, Schweiz und USA erläutert. Zum Abschluss der Tagung fand dann auch noch eine Diskussionsrunde statt, in der gemeinsam nach Schlussfolgerungen gesucht wurde.

Was war Ihrer Meinung nach das Ergebnis der Tagung?

Aus der Sicht der Organisatoren und Teilnehmer war die Tagung extrem erfreulich und nicht nur für die SACM sehr motivierend und ermutigend. Offensichtlich sind mittlerweile einige verhärtete Fronten etwas aufgeweicht worden – dies signalisierte auch das Schweizer Bundesamt für Gesundheit. Unsere Tagung hat mit ihrem ausgewogenen Programm, den hochkarätigen Referenten und der sehr offenen, sachlichen und evidenzbasierten Diskussion sicherlich auch ein Stück weit dazu beigetragen.

Welches persönliche Fazit würden Sie als Organisator ziehen? Und was würden Sie sich noch für die Zukunft wünschen?

Auf jeden Fall wollen wir die Tagung in Zukunft wiederholen. Die Schweizer Arbeitsgruppe Cannabinoide in der Medizin wird in Zusammenarbeit und Koordination mit unserer internationalen Partnerorganisation IACM, in deren Vorstand ich bin, ihre Bemühungen zur möglichst baldigen Remedizinalisierung und zum legalen therapeutischen Einsatz von Cannabis und Cannabispräparationen verstärken – zumindest, soweit es unsere personellen und finanziellen Kapazitäten erlauben. Hilfreich wäre ein offizielles Mandat, das bis jetzt noch fehlt, aber in naher Zukunft durchaus möglich ist. Spätestens bis zum Jahr 2015 ist ein wissenschaftliches Follow-Up und Update geplant. Das bereits gut funktionierende Netzwerk, bestehend unter anderem aus in- und ausländischen Fachpersonen, -organisationen sowie nationalen Entscheidungsträgern in Politik und Verwaltung, soll noch weiter ausgebaut werden. Dies bedingt weiterhin sehr intensives Lobbying auf wissenschaftlich-rationaler Basis und möglichst nicht polarisierende, unpolemische Öffentlichkeitsarbeit.

Eine sachliche Diskussion über die medizinischen Möglichkeiten von Cannabis wäre tatsächlich mehr als überfällig und überaus wünschenswert. Doch wie realistisch ist die Hoffnung darauf? Würde Cannabis erst heute im südamerikanischen Dschungel entdeckt werden, würde sich die medizinische Fachwelt sicherlich viel unvoreingenommener der Erforschung des medizinischen Potenzials widmen. Doch die Geschichte dieser Heilpflanze, die lediglich in den letzten knapp 100 Jahren zu Unrecht als gefährliches “Rauschgift” verschrien wurde, scheint eine wirklich sachliche Diskussion nahezu unmöglich zu machen. Denn was für eine Lobby steht schon hinter der Erforschung einer uralten, nicht patentierbaren Heilpflanze? Wer hat Interesse an der Cannabinoid-Forschung? Schaut man sich die letzte Seite der SACM-Tagungsunterlagen an, dann sieht man es und kommt fast ein wenig ins Staunen: Sponsoren der Konferenz waren neben der Uni Bern auch die Almirall AG, die Schweizer ALS-Vereinigung, der holländische Medizinalhanfproduzent Bedrocan B.V. Veendam, die Bionorica Ethics Austria GmbH, die Hänseler AG Herisau, der Nachtschatten Verlag, Quadrimed Crans-Montana, die Schweizerische Multiple Sklerose Gesellschaft, die Storz & Bickel GmbH Tuttlingen sowie die THC-Pharm GmbH aus Frankfurt am Main. Der Schweizerische Nationalfond übernahm zudem die Defizitgarantie für die Tagung, die aber erfreulicherweise gar nicht in Anspruch genommen werden musste.

Und wie haben die vielen Teilnehmer die SACM-Tagung empfunden? Die zahlreichen positiven Kommentare im Internet sprechen eine deutliche Sprache. Stellvertretend dafür hier das von einem schweizer Teilnehmer hinterlassene persönliche Feedback: “Die Tagung war sehr informativ, auch die angenehme und sehr konstruktive Atmosphäre wurde sehr geschätzt. Ich bin überzeugt, dass Cannabinoide in der Medizin ein Thema mit einem großen Entwicklungspotenzial sind und wenn wir es klug angehen, dann wird es uns schließlich auch gelingen, dieses Potenzial auszuschöpfen. Der Tunnel ist vielleicht noch lang, aber das Licht am Ende ist bereits sichtbar.”

Wer daran interessiert ist, etwas tiefer in die fachliche Materie einzutauchen, dem sei das Fachbuch Die Behandlung mit Cannabis und THC – Medizinische Möglichkeiten, Rechtliche Lage, Rezepte, Praxistipps in der 2012 überarbeiteten Ausgabe empfohlen.

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