Die Pharmaindustrie kann zittern

Die Wiederentdeckung der natürlichen Medizin

Auf der diesjährigen Cultiva konnten wir zwei großartige Vorträge über die wohltuenden und heilenden Eigenschaften des Cannabis hören. Jahrzehntelange Erfahrung haben beide Ärzte zu der Überzeugung gebracht, dass dem Cannabis in der tagtäglichen Therapie ein wichtiger Platz zukommen müsste. Zwischen den beiden Vorträgen berichtete ein Patient von seinen positiven Erfahrungen.

Der Kanadier Dr. Paul Hornby arbeitete in den 80er Jahren im Rahmen eines ärztlichen Austauschprogramms als Pathologe in Indien. Dort fiel ihm auf, dass ältere Menschen, die Naturheilmethoden anwenden, sich einer besseren Gesundheit erfreuen, als andere, die sich mit den Mitteln der Pharmaindustrie kurieren. Nach der Rückkehr nach Kanada gründete er 1988 die Firma Hedron Analytical Inc., welche die Qualität von Produkten aus natürlichen Rohstoffen prüft. Über einen Kunden, für den er den THC-Gehalt von Industriehanf festgestellt hatte, gelangte Hornby Ende der 90er Jahre an den Gründer des Compassion Clubs, der als Erster Marihuana für die medizinische Anwendung verkaufte. Von ihm erhielt er Marihuanaproben zur Qualitätskontrolle. Hornby stellte das Verhältnis von THC zu CBD fest und untersuchte es auf Verunreinigungen. Bei seinen Analysen fand er drei wiederkehrende Typen: THC hoch CBD niedrig, CBD hoch THC niedrig und Sorten, bei denen sich THC und CBD ungefähr die Waage halten. Auf einem Dia stellte er die jeweiligen Anwendungsmöglichkeiten dar: etwa 40 Krankheiten, die mit Cannabis heilbar oder deren Symptome mit ihm zu lindern sind. „Deshalb ist es illegal denn es bringt die Gewinne der Pharmaindustrie in Gefahr.“ Von den Methoden der pharmazeutischen Industrie hatte er keine hohe Meinung. Ein weiteres Dia zeigt gefesselte Affen, an denen gerade ein Experiment durchgeführt wird. Jede Droge müsse man an ihrem Erfinder testen, fügte er hinzu, und, dass Cannabis im Vergleich zu Pharmaprodukten, die schwere Nebenwirkungen mit sich bringen, viel weniger schädlich sei. „Wäre Cannabis schädlich, wäre heute meine ganze Familie tot, und der Hund auch.“ Seine Familie baut auf Naturheilmethoden. Die Entdeckung des Endocannabinoidsystems, die zum Verständnis der Heilwirkungen des Cannabis beitrug, nannte Hornby die größte Entdeckung der Medizin in diesem Jahrhundert. Schließlich kam er auf seine Experimente mit CBD-haltigen Sorten zu sprechen, wo sich nach Fremduntersuchungen die Zahl der Anfälle bei den Untersuchten um 70%, nach seinen Untersuchungen aber um 100% verringert hatten. Dann überließ Hornby die Bühne einem 20-jährigen Kroaten, dem man auf den ersten Blick keine Symptome einer Krankheit ansah. Bei ihm sei im Alter von 16 Jahren multiple Sklerose diagnostiziert worden, sein Zustand habe sich mit den herkömmlichen Medikamenten nicht verbessert, sodass er oft kaum das Bett verlassen konnte. Nach einem Vortrag von Rick Simpson in Kroatien habe er Hanföl ausprobiert, danach konnte er nicht nur spazieren gehen, sondern sogar springen. Er erkannte, dass bei ihm Sorten mit hohem THC-Gehalt am besten wirken, und seit vier Jahren wendet er sie an. Letztes Jahr bekam er Ärger mit der Polizei und verbrachte kurze Zeit im Gefängnis. Diese Erfahrung bestärkte seine Meinung, dass die Verfolgung und Inhaftierung hilfsbedürftiger Patienten Nonsens ist, man solle statt dessen anstreben, das Recht auf ein lebenswertes Leben für alle durchzusetzen.

Es folgte ein weiterer Vortrag zum Thema Heilwirkung von Cannabis und der Cannabinoide im Spiegel der Medizin. Der israelische Psychiater und Wissenschaftler Dr. Ilya Reznik begann mit einer guten Nachricht: Nachdem Time und National Geographic im Mai dem Cannabis eine Ausgabe gewidmet hatten, publizierte Nature, bekannt als Kompassnadel der Wissenschaft, Ende September eine Ausgabe über Forschungen mit Cannabis, die vollständig online einzusehen ist. Reznik ist der Meinung, dass das Cannabis damit im Mainstream angekommen ist. Er erinnerte daran, dass vor einem Jahr auch die American Academy of Neurology, der 30.000 Neurologen und Nervenkundler angehören, die Wirksamkeit von Cannabis in der Behandlung bestimmter neurologischer Phänomene anerkannte. Ein Bereich sind die neurodegenerativen Anomalien, die mit Cannabis zwar nicht heilbar, aber gut zu behandeln sind. Neue Untersuchungen belegen, dass die Wirkung mit dem CB2-Rezeptor des Endocannabinoidsystems in Verbindung steht, was selbst für praktizierende Neurologen eine Neuigkeit ist. Sie müssten unbedingt eine Fortbildung erhalten, um diese Heilmethode einsetzen zu können, betonte Reznik. Der Doktor hob das Tourettesyndrom hervor, bei dem Cannabis – im Gegensatz zu herkömmlichen Medikamenten – nicht nur Einfluss auf den neurologischen Hintergrund der Anomalie nehmen könne, sondern auch die Beklemmungen und die Aggressivität, die zum Krankheitsbild gehören, verringere und einen ruhigen Schlaf garantiere. In Verbindung mit der Alzheimerkrankheit sagte er, dass man dem Krankheitsbild in Zukunft in überalterten Gesellschaften immer öfter begegnen wird und es daher wichtig sei, eine wirksame Therapie zu entwickeln. Nach einer 2015 beendeten, aber zur Zeit des Vortrags noch nicht publizierten Untersuchung, können die Medikamente mit Cannabis bei 90% der Kranken reduziert werden, wodurch die PatientenInnen deutlich weniger mit Nebenwirkungen zu kämpfen haben. Dr. Reznik ging auf eine weitere psychiatrische Anomalie ein und zog in Zweifel, dass Grasrauchen Schizophrenie auslöse, was er damit begründete, dass die gestiegene Zahl regelmäßiger Cannabiskonsumenten bei den Jugendlichen keinen Anstieg der Schizophrenierate nach sich zog. Sorten mit hohem THC-Gehalt könnten psychotische Symptome hervorrufen, zur Ausbildung der Schizophrenie gehörten aber gewisse genetische Anlagen. Gleichzeitig betonte er die Empfindlichkeit des in der Entwicklung begriffenen jungendlichen Gehirns für Cannabis und – in noch größerem Maße – für synthetische Cannabinoide. Bei einer britischen Untersuchung, die er unethisch nannte, hatten Freiwillige hohe Dosen von THC intravenös zugeführt bekommen; mehrere von ihnen berichteten über psychotische Erlebnisse. Testpersonen, die vor der Injektion CBD bekamen, erlebten solche Phasen nicht. So sei es mit Humanversuchen gelungen, die antipsychotische Wirkung des CBD zu beweisen. Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist für Dr. Reznik eine Anomalie von besonderer Bedeutung. Fachleuten sprechen von einem der schrecklichsten Krankheitsbilder, unter dem Menschen leiden können. Nach dem Trauma erlebt das Individuum die Schrecken immer wieder neu. Eine Untersuchung belegt, dass 15% der Soldaten, die im Irak gekämpft haben, unter PTBS leiden. Die traumatischen Erlebnisse werden sie bis ans Ende ihres Lebens verfolgen.

Dr. Reznik und seine MitarbeiterInnen untersuchten nun, in welcher Form Cannabis gegen das Syndrom wirkt. Die Testpersonen wurden in drei Gruppen aufgeteilt. Die erste Gruppe wies außer PTSB keine weiteren Symptome auf. In der zweiten Gruppe hatten die Teilnehmer außerdem Depressionen und in der dritten Gruppe chronische Schmerzen. Nach der willkürlichen Logik einer Entscheidung des israelischen Gesundheitsministeriums durfte nur die Hälfte der Teilnehmer Cannabis bekommen, durchschnittlich 1-2,5 Gramm einer Sorte mit hohem THC-Gehalt. Die vom Psychiater verschriebenen Medikamente wurden reduziert. Die Nachuntersuchungen werden über insgesamt sieben Jahre erfolgen; der Arzt gab die Ergebnisse der ersten drei Jahre bekannt: Die Lebensqualität der Kranken steigerte sich in dieser Zeit um 36–57%; bei jenen, die neben PTSB an Depressionen oder chronischen Schmerzen leiden, um 43–57%; und die Mehrheit der Patienten setzte ihre Medikamente ab oder reduzierte sie. Dr. Reznik sagte, es handele sich um sehr teure Medikamente, daher stelle sich die Frage nach einer kostenlosen Versorgung mit Cannabis, wodurch der Staat viel Geld sparen könnte. Seinen Vortrag beendete der Arzt mit der Feststellung, dass weitere Forschung zu Cannabis notwendig sei, was die Pharmaindustrie aber nicht gerne sähe. Er vertraue aber darauf, dass Marihuana in die Mainstreamtherapien gelangen werde.

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