Die Pflanze der Erkenntnis

Die zweifache Wirkung des Cannabis auf die Alterung des Hirns

Während es die Leistung des jugendlichen Gehirns herabsetzt, verjüngt Cannabis regelrecht das ältere Gehirn – so lautet die Feststellung einer Forschungsgruppe der Universität Bonn, die sich mit der Untersuchung der Alzheimerkrankheit beschäftigt. Über die Ergebnisse einer Studie an Mäusen berichtete auf der Konferenz Cannabicum ein Mitglied der Forschungsgruppe, der Biologe András Bilkei-Gorzó.

 

Wenn wir uns die Frage stellen, was sich die Menschen zeitlebens wünschten, würden wir an erster Stelle wahrscheinlich sagen: Unsterblichkeit oder ein längeres Leben. Kein Wunder also, dass sich die Wissenschaft seit undenklichen Zeiten bemüht, den Prozess des Alterns zu verlangsamen oder umzukehren. Allerdings konnte sie bis heute dem modernen Menschen relativ wenige Ergebnisse präsentieren. Die 2017 publizierte Forschungsarbeit, in der die Wirkstoffe des Cannabis als mögliches Gegenmittel gegen den Alterungsprozess des Gehirns genannt wurden, fand daher großes Interesse. In dem Vortrag von András Bilkei-Gorzó auf der Konferenz Cannabicum wurde über die Bedeutung der Entdeckung und den gegenwärtigen Wissensstand im Detail referiert.

Auch für Ältere ist es nicht zu spät

Der Alterungsprozess des Gehirns und die Abnahme der kognitiven Fähigkeiten verlaufen in allen menschlichen Gehirnen nach ähnlichen Mustern ab. Die Makromoleküle des Gehirns nehmen mit der Zeit Schaden, die Teilung der Stammzellen verlangsamt und reduziert sich. Unterdessen tritt zur Aktivierung der Mikrogliazellen eine Entzündung im Hirn ein, in deren Folge kognitive Störungen auftreten und der Prozess der Demenz einsetzen kann. Das mag eine genetische Codierung sein, ist aber mit einer entsprechenden Lebensweise kon-trollierbar und herauszuzögern. Vorangegangene Forschungsarbeiten zeigten, dass unser Endocannabinoidsystem die Häufung von Makromolekülen beeinflusst und die Teilung der Stammzellen fördert, womit die Alterung verzögert wird. Das innere Cannabinoidsystem ist in der Pubertät am aktivsten, danach verringert sich seine Aktivität. Es wurde auch festgestellt, dass in Stresssituationen in unserem Hirn Cannabinoide freigesetzt werden, die helfen, die Ruhe wiederherzustellen. Im Endocannabinoidsystem befinden sich zwei Hauptrezeptorentypen: die sogenannten CB1- und die CB2-Rezeptoren. Der bekannteste Wirkstoff des Cannabis, das THC, steht unter anderem mit ihnen in Verbindung und aktiviert ihre Funktionen. Die ForscherInnen zeigten auf, dass die Deaktivierung des CB1–Rezeptors bei jungen Mäusen vorzeitige Gedächtnisstörungen verursachte, sie ihnen bekannte Mäuse nicht wiedererkannten, ihr Gehör und ihre Lernfähigkeit nachließen und sie begannen, sich wie ihre älteren Artgenossen zu verhalten. Folglich schlug man mit dem Experiment die entgegengesetzte Richtung ein: Stimulation der Aktivität des CB1-Rezeptors durch Gabe von THC. Dabei war man besonders auf die Veränderungen bei der Lernfähigkeit gespannt. Wie sich herausstellte, wirkte THC so positiv auf die Lernfähigkeit älterer Tiere, dass sie sich praktisch auf die gleiche Ebene mit jüngeren begaben. Die Zahl der Verbindungen der Nervenzellen stieg, das Erkennen ihrer Artgenossen und die Orientierungsfähigkeit verbesserten sich.

Die sichersten Ergebnisse zeigten sich bei der Ausbildung der Gene, in der Gen-expression. Die Untersuchung von 12.000 Genexpressionen bekräftigte die Beobachtung, nach der THC ältere Gehirne verjüngt, jüngere Gehirne jedoch altern lässt. Spanische ForscherInnen untersuchten die beiden wichtigsten Wirkstoffe des Cannabis, THC und CBD, in einer kombinierten Dosierung an Mäusen, die genetisch zur Alzheimerkrankheit neigten, und kamen zu ähnlichen Ergebnissen wie bei den Mäusen, die nur mit THC behandelt worden waren. Der Cannabinoidcocktail verschlechterte in der Jugend die Lernfähigkeit, glich im mittleren Alter die Unterschiede aus, und bei älteren Mäusen steigerte er die Lernfähigkeit.

Kein Wundermittel für alle

Warum ist es für Ältere ein Lebenselixier, lässt aber Jüngere vorschnell altern? Der Schlüssel liegt im Endocannabinoidsystem. Wir haben erwähnt, dass das System in der Jugend den Gipfel seiner Aktivität erreicht und anschließend deutlich nachlässt. Nach Meinung der Fachleute bringt die Wirkung des THC im älteren Gehirn die Funktion des Endocannabinoidsystems in Ordnung, sodass es fast wie in der Jugend funktioniert, während bei Jugendlichen das prinzipiell gut funktionierende System überlastet wird und in einen pathologischen Zustand gerät – was zu einer schlechteren Leistung führt. Die Alterungsprozesse sind bei Mäusen und Menschen ähnlich, daher meint Bilkei-Gorzó, es gebe Grund zur Annahme, dass Cannabis sich auch bei älteren Menschen positiv auf die Lernfähigkeit auswirken kann, aber auch, dass es bei jüngeren Menschen die Ausbildung der kognitiven Funktionen behindert.

Was aber, wenn schon – nach unserem gegenwärtigen Wissen – irreparable Schäden am Gehirn eingetreten sind, wie wir sie beispielsweise bei einer Alzheimererkrankung feststellen können? In solchen Fällen war bei Mäusen keine Besserung durch THC feststellbar und auch die Entzündung wurde nicht reduziert. Es scheint also, dass es nach dem Zellsterben und der Entzündung unmöglich ist, durch den Konsum von Cannabis eine Demenz zu verhindern. Am wirksamsten erweist sich gegenwärtig der kombinierte Einsatz von THC und CBD bei Mäusen in der Prophylaxe, wodurch sich Alzheimer später herausbildet als ohne diesen Schutz, oder auch beim ausschließlichen Einsatz von THC. Weiterführende Forschungsarbeiten sind nötig, um die Wirkung auch beim Menschen zu bestätigen, außerdem sollten die Untersuchungen auch andere Cannabinoide einbeziehen.

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