Der Brexit und die Legalisierung in Schottland

„Was mir wirklich die Augen geöffnet hat, waren die kleinen Kinder mit Epilepsie“

Langzeit-Aktivistin Linda Hendry ist schon 1979 in Schottland für die Legalisierung von Cannabis auf die Straße gegangen. Über ihr Engagement und die Situation von Patient-Innen in Schottland haben wir uns bei der International Cannabis Policy Conference unterhalten. Dass der Brexit der Legalisierung einerseits einen Strich durch die Rechnung machen und sie andererseits vielleicht erst ermöglichen könnte, klingt paradox.

 

Medijuana: Bitte stelle dich und die Organisation, in der du aktiv bist, kurz vor.

Linda Hendry: Ich bin Sprecherin der Legalise Cannabis Campaign Scotland, und zwar schon seit ungefähr 20 Jahren, da sich andere Leute eher ungern öffentlich zu diesem Thema bekennen. Ich habe 1979 mit dem Cannabis-Aktivismus begonnen – als ich entdeckte, wie nützlich die Hanfpflanze sein kann. Zu dieser Zeit wurden die Gesetze verschärft, die Verfolgung nahm zu. Ich trat 1979 der Legalise Cannabis Campaign Scotland bei, dann wurde ich Mitglied der Grünen Partei Großbritanniens und warb dort für ein Cannabis-Programm, das sie 1982 auch wirklich verabschiedeten. Es hat sich seit damals noch etwas weiterentwickelt, aber es entstammt diesem Aktivismus.

MED: Was sind die Hauptziele der Legalise Cannabis Campaign Scotland?

LH: Es soll Bauern einfacher gemacht werden, Hanf anzubauen; es sollen Cannabis Social Clubs existieren können; es soll eine medizinische Cannabis-Tinktur verfügbar sein; und niemand soll wegen Cannabis ins Gefängnis müssen. Jetzt gibt es mittlerweile schon unzählige Cannabis Social Clubs in Schottland, also brauchen wir da keine Kampagnen mehr, aber wir leiten die Kontaktdaten von Clubs auf Facebook weiter.

MED: Wie funktionieren Cannabis Social Clubs in Schottland? Gibt es da legale Möglichkeiten oder sieht die Polizei einfach weg?

LH: Das wissen wir nicht wirklich. Ich nehme an, dass die Polizei die Clubs ignoriert, weil es keine gesetzliche Grundlage für den Betrieb gibt. Die Social Clubs sind davon überzeugt: Wenn der Anbau vom Beginn bis zum Ende sowie die Verarbeitung und die Abgabe dokumentiert und kontrolliert geschehen, dann genießen sie auch eine Art Schutz vor Verfolgung. Auf der anderen Seite kann es sein, dass durch die penible Aufzeichnung der Clubaktivitäten den Betreibern ein konspiratives Vorgehen vorgeworfen wird. Eine diesbezügliche Anklage gab es noch nicht. Von daher müssen wir annehmen, dass die Polizei die Existenz der Clubs ignoriert.

MED: Kann Schottland eigene Cannabisgesetze verabschieden?

LH: Momentan hat die Westminster-Regierung die Kontrolle über die Drogengesetzgebung, wohingegen Schottland die Kontrolle über die Polizeieinheiten hat. Die schottische Regierung hat erst kürzlich begriffen, dass Cannabispatienten geholfen werden kann, wenn die Polizei medizinisches Cannabis ignoriert. Da gibt es jetzt Gespräche zwischen Regierung, Polizei und anderen Organisationen.

MED: Wie wird sich der Brexit auf die Cannabisgesetzgebung im Vereinigten Königreich und spezieller in Schottland auswirken?

LH: Ich weiß nichts über den Brexit – ich habe einen Tag lang keine Nachrichten gehört, und mittlerweile könnte alles anders sein. Aber mit dem Brexit werden wir wahrscheinlich nicht eher legales Cannabis in Schottland bekommen, da die EU eine europaweite Liberalisierung ausarbeitet. Andererseits jedoch ist im Falle eines Brexits die Unabhängigkeit Schottlands wahrscheinlicher, und dann könnten wir unsere eigene Cannabisgesetzgebung haben.

MED: Gibt es die Möglichkeit einer Verschreibung von Cannabismedizin? Es gibt ja das neue Gesetz bezüglich medizinischem Cannabis in England – wie betrifft das Schottland?

LH: Seit dem 1. November 2018 ist es offiziell und theoretisch möglich, aber faktisch unmöglich. Man muss einen Arzt finden, der auf Cannabis spezialisiert ist, aber alle Ärzte sagen, dass sie in ihrer Ausbildung nichts über Cannabis gelernt haben. Und in unserem Gesundheitssystem benötigt jedes Medikament ein Budget. Das kann bei Cannabis noch zwei, drei Jahre dauern, bis da ein Budget freigemacht wird.

MED: Wie kommt dann ein Patient in Schottland an Cannabismedizin, wenn er sie benötigt? Wendet er sich an einen der Cannabis Social Clubs?

LH: Ja, oder er kauft es im Internet. Auch gibt es jetzt die Möglichkeit, CBD legal zu kaufen. Viele probieren nun CBD und ergänzen dies zum Teil, indem sie Skunk [Anm: in UK verbreiteter Begriff für THC-reiche Sorten] oder Ähnliches dazu rauchen. Aber einige Patienten wollen nicht illegal handeln, insbesondere, wenn sie Kinder haben. Man kann Probleme mit dem Jugendamt bekommen, den Job verlieren oder auch die Wohnung, wenn man zur Miete wohnt.

MED: Also werden Cannabiskonsumenten doch noch verfolgt.

LH: Ja, Verfolgungsdruck besteht nach wie vor. Für kleine Mengen gibt es ein Ticketsystem, aber da solltest du nicht zu viele davon sammeln. Die ersten ein oder zwei Tickets sind ohne Geldstrafe oder Sonstiges, aber wenn du dann innerhalb von sechs Monaten noch eins bekommst, kann das zum Problem werden. Das Ticketsystem ist aber noch ziemlich neu, es ist erst vier Jahre in Anwendung. Und es ist ziemlich schwierig, jemanden zu finden, der so ein Ticket bekommen hat.

MED: Also gibt es keine übertriebenden Hetzjagden auf Cannabiskonsumenten?

LH: Was etwas geholfen hat, waren Liquids für E-Zigaretten mit Cannabisgeruch, das hat die Reaktion der Leute auf den Geruch reduziert. Du magst denken, da raucht jemand Cannabis, aber vielleicht ist es nur ein Liquid mit Cannabisgeschmack. Auch die Polizei weiß das. Ich habe einen Polizisten diesbezüglich gefragt und er meinte, er behauptet einfach, er wisse nicht, wie Cannabis riecht.

MED: Was ist dir in deiner langen Zeit als Aktivistin besonders aufgefallen?

LH: Was wirklich interessant ist: Wir versuchen seit 1979, Cannabis zu legalisieren, aber wirklich zu einer Veränderung hat erst medizinisches Cannabis geführt. Das UK Home Office hörte Mütter mit kleinen Kindern, die Epilepsie hatten, an und ebnete den Weg für legales medizinisches Cannabis.

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