Der Baum des Wissens

Iboga–spiritueller Weg aus der Abhängigkeit

Bereits im Jahr 1962 probierten ein paar Teenager Iboga. Sie hofften darauf, einen mehrtägigen Drogentrip zu erleben. Keiner von ihnen hatte die Absicht, den Heroinkonsum aufzugeben.  Als Folge des Trips „auf Iboga“ kamen aber fünf von sieben Teenagern vom Heroin los, ohne später rückfällig zu werden. Quasi zufällig entdeckten also ein paar Junkies eines der vielversprechendsten Gegenmittel gegen Drogenabhängigkeit.

 

Ibogain (oder Ibogen) ist ein Alkaloid, welches aus den Wurzeln des Tabernanthe Iboga Strauchs stammt. Dieser Strauch ist in den Wäldern von Mittel-West Afrika heimisch. In geringen Dosen wird die Pflanze von den Ureinwohnern seit langem zur Heilung bestimmter Krankheiten und gegen Müdigkeit verwendet. Im Rahmen religiöser Zeremonien wird die Wurzel auch in größeren Mengen konsumiert. So ist beispielsweise das Iboga-Wurzelkauen unter Aufsicht des Schamanen ein essentieller Bestandteil der Zeremonie für die Weihe des erwachsenen Mannes. In den Augen des in Gabon lebenden Babongo-Stammes, welcher die Bwiti-Religion praktiziert, ist die Iboga eine heilige Pflanze. Sie gilt als spiritueller Führer der Menschheit. Für den Stamm ist der rituelle Verzehr der Wurzel ein gesellschaftliches Ereignis. Sie nutzen die bewusstseinserweiternde Wirkung, um mit ihren verstorbenen Urahnen zu kommunizieren. Während der französischen Kolonialherrschaft, bedienten sich die Ureinwohner in großen Mengen der Wurzel, um ihre Identität zu bewahren. Als die Anthropologen in den 1980ern begannen, die Rolle der Iboga-Wurzel in der Bwiti-Religion  genauer zu untersuchen, hatten einige junge Menschen schon seit Jahrzehnten Bekanntschaft mit der Wirkung der Pflanze gemacht.

 

Erleuchtung ohne Entzugserscheinungen

Ein Teenager namens Howard Lotsof machte im Jahr1962 in Begleitung einer 20-köpfigen Gruppe Bekanntschaft mit der Wirkung der Iboga-Wurzel. Neben ihm hofften noch sechs weitere Heroinabhängige auf ei-nen mehrtägigen Drogentrip mit dem unbekannten Mittel. Keiner von ihnen hatte die Absicht, den Heroinkonsum aufzugeben.  Als Folge des Trips „auf Iboga“ kamen aber fünf von sieben Teenagern vom Heroin los, ohne später rückfällig zu werden. Quasi zufällig entdeckten also ein paar Junkies eines der vielversprechendsten Gegenmittel gegen Drogenabhängigkeit.

Ein paar Jahrzehnten später herrschte die Weltanschauung vor, dass das Erlebnis als Folge von Drogenkonsum nicht nur von der Menge des konsumierten Mittels abhängt, sondern auch von den Persönlichkeitsstrukturen des Konsumenten, dem Ziel des Konsumierens und auch von Umweltfaktoren. So gilt beispielsweise für eine Gruppe der amerikanischen Ureinwohner in Oklahoma der Konsum der Peyote-Kaktee für religiöse Zwecke als legal, während unter normalen Umständen der Konsum in großen Teilen des gesellschaftlichen Lebens als Drogenkonsum gilt. Einige Halluzinogene schienen in den 60er Jahren vielversprechende Mittel bei der Behandlung psychiatrischer Erkrankungen und beispielsweise auch bei Alkoholabhängigkeit zu sein. Der LSD-Rausch der Menschenmassen von Woodstock führte allerdings zu der Konsequenz, dass Halluzinogene – und mit ihnen auch Iboga – im Jahr 1970 auf die Liste der gefährlichsten Drogen gesetzt wurden. Diese neue Rechtslage behinderte auch die Forschung: die Versuche zur therapeutischen Anwendung mussten 40 Jahre auf Eis gelegt werden, und auch heute noch sind staatlich geförderte Forschungsreihen zur  Nutzung von Iboga Einzelfälle.

In den 60er Jahren entsprach Lotsofs Meinung dem vorherrschenden Zeitgeist. So war auch er der Auffassung, dass LSD, Meskalin und andere für heilig gehaltene Halluzinogene die Welt verbessern könnten. Zu dieser Zeit assoziierte man den Konsum von Halluzinogenen mit einer pazifistischen Einstellung, mit Schutz von Menschenrechten und der Feministinnen-Bewegung. Die gesellschaftskritische Bewegung der Blumenkinder war allerdings nicht langlebig. Laut Lotsof fällt Iboga insofern aus der Reihe der anderen Halluzinogene heraus, als dass der Konsument als Konsequenz des Rausches nicht die Welt verbessern möchte, sondern mehr nach Veränderungen seiner selbst strebt. Im Gegensatz zur Natur von LSD gleicht die Wirkung von Iboga einer gesteuerten Rakete, welche in die Persönlichkeit eindringt und das Individuum zur selbstkritischen Reflektion und Arbeit an sich selbst anregt.  Iboga ist keine Partydroge: zur Rekreation ist sie überhaupt nicht brauchbar. Wenn eine gesunde Person Iboga konsumiert, geschieht das selbe, wie bei Einnahme von Iboga zu Therapiezwecken: in einem Zeitraum von 3-6 Stunden kommt es zu einem traumähnlichen Zustand, wo mit geschlossenen Augen intensive Visionen durchlebt werden. Bei der ersten Anwendung werden unterdrückte Erinnerungen abgerufen, dann ebbt diese Wirkung ab, und bei der dritten – vierten Anwendung hört diese Vision völlig auf – so lange entleert sich die Erinnerungsdatenbank, woraus das Iboga-Erlebnis genährt wird. Ohne Vision ist das Erlebnis ziemlich anstrengend, daher bietet regelmäßiger Konsum keinen besonderen Genuss. Das Individuum wird dann in der nächsten Station der Reise die durchlebte Ereignisse neu bewerten, und wenn das alles passiert ist, kann der Schlaf  und am anderen Tag das Aufwachen in einem entzugsfreien, neuen Leben kommen. In Anbetracht dessen, dass eine solche Aufarbeitung ca. 35-40 Stunden in Anspruch nimmt, ist es zu verstehen, dass viele geheilte Abhängige das Durchleben als das schwerste, jedoch das meist bestimmende Erlebnis ihres Lebens bezeichnen.

 

Heilung im Stamm, mit Wurzel

Das gemeinsame Element der afrikanischen und westlichen Iboga-Therapien ist, dass der Mensch neue Ziele in sein Leben einzubringen versucht. Bei den Babongos sind diese das unregelmässige und zwecklose Leben und Mangel im Denken in der Gesellschaft, in der westlichen Welt sind dies die selbstzerstörerische Lebensweise, aus der ein Ausweg mit Iboga gesucht wird. Bei den Naturvölkern – anders als in den zivilisierten Kulturen – ist die Krankheit eines Menschen gleichbedeutend mit der Krankheit der Gesellschaft. Deshalb bedeutet Heilung nicht nur Heilung der einzelnen Person, sondern auch der Gesellschaft. In der Kultur der Babongos wird Iboga konsumiert, um Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu erfahren. In der westlichen Welt wird Iboga konsumiert, um die eigenen „Dämonen“ zu besiegen und seinen Platz in der Welt wieder zu finden– meist unter Aufsicht einiger ehemaliger Abhängiger.

Auch ein ungarischer Fernsehsender hat die bewusstseinserweiternde Reise ins Programm aufgenommen, in der Bruce Parry einen Monat bei verschiedenen Naturvöl-kern der Welt an verschiedenen Stellen der Erde verbrachte, um die Glaubenswelt, die Weltanschauung und die Rituale der Kulturen vorzustellen. In einer Episode trifft er auf einen Babongo-Stamm und erhält die Gelegenheit, unter Führung des Schamanen die Iboga-Wurzel, den sogenannten Baum des Wissens, auszuprobieren.  Nach anfänglicher Übelkeit und Todesangst beginnt sich der Zustand Parrys zu normalisieren, und der Iboga-Trip beginnt. Den Trip selber konnte das Team aus Respekt vor dem Bwiti-Glauben nicht mehr filmen. Der nachträglich aufgenommene Erlebnisbericht entschädigt in seiner Ausführlichkeit allerdings völlig. Parry berichtet, dass er Visionen von vergessenen Episoden aus seiner Jugend hatte, in denen er anderen Menschen Schlechtes angetan hatte. Laut seiner Interpretation wirkt das Mittel auf die Regionen der Reue und des Schuldbewusstseins. Nachdem er seine Taten aus dem Blickwinkel der Leidenden neu durchlebt hatte, gewannen die Taten einen anderen Sinn für ihn. In der zweiten Hälfte des Rituals wurde Parry in einen Fluss getaucht, in dem durch einen Baum das weibliche Geschlechtsorgan nachgebildet ist. Nach dem Bad im Fluss galt er als neugeboren. Relativ leicht lassen sich Parallelen zum christlichen Glauben erkennen: Schuldbekenntnis, Eintauchen (Taufe), Neugeburt. Ein wesentlicher Unterschied jedoch liegt darin, dass die transzendente Kommunikation an dem zweiten Abend des Iboga-Erlebnisses nicht mit dem erschaffenden Gott, sondern mit den Stammesgeistern abgewickelt wurde. Auch musste Parry über seine Visionen berichten, damit ihn die Gesellschaft als Mitglied aufnahm.

 

Zur Behandlung in den Untergrund, statt ins Krankenhaus

Noch immer ist heutzutage der Konsum von Iboga in großen Teilen der Welt , so auch bei uns, illegal. Jedoch tun die Aktivisten recht viel, um diesen Zustand zu ändern. Lotsof hat zuletzt im Jahr 2009 auf der in Mexiko stattfindenden Iboga-Konferenz die Vorteile des therapeutischen Gebrauchs der Pflanze zusammengefasst: so verringert Iboga Entzugssymptome in großem Ausmaß, sie verringert das Verlangen nach Drogen, und Konsumenten von Iboga gelingt es, sich in einen Zustand  vor Beginn der Drogenabhängigkeit zu versetzen. Zudem hat Iboga eine antibakterielle Wirkung, sie gibt dem Konsumenten den freien Willen zurück und befreit vom Stigma, das auf allen Abhängigen lastet.

Es ist eine imposante Liste, die auf den Erfahrungen von nahezu einem halben Jahrhundert basiert. Noch vor knapp einem Jahrzehnt prophezeite Lotsof optimistisch, dass die Iboga-Therapien in den Vereinigten Staaten innerhalb der nächsten drei Jahren anlaufen könnten, allerdings ist er heute skeptischer. Die Ursachen der Ablehnung sind klar und sehr spezifisch für die Denkweise der westlichen Zivilisationen: wie soll eine Pflanze, die eventuell schon bei der ersten Anwendung von der ängstlichen Abhängigkeit befreit, den Kampf gegen die Lobby der Arzneimittelindustrie gewinnen, die auf langwierigen Medikamentenkonsum angewiesen ist?  Und selbst wenn die Pharmalobby das Iboga-Geschäft in die eigenen Hände nehmen würde, so wäre doch mit deutlich weniger Profit zu rechnen, als wenn Therapeutika auf Opiat-Basis jahrzehntelang dem Patienten verabreicht werden!

Die NIDA (National Institute on Drug Abuse), die 85% der Drogenforschungen der Welt finanziert, konzentriert sich auf die bereits verwendeten Mittel und sperrt sich gegen solche neuen Heilungsideen wie die Anwendung von Iboga. Auf diesen Zustand ist es zurückzuführen, dass in den letzten Jahren im Untergrund auf dem Schwarzmarkt Therapien mit Iboga zu horrenden Preisen gehandelt werden. Nur im Idealfall behandeln hier wirkliche Experten die Patienten. Zweifellos ginge es allen besser, wenn diese Behandlungen in kontrollierter Form für die breite Masse der Bedürftigen erreichbar wäre. Aber was soll man von ei-ner Wurzel schon erwarten?!

Tomas Kardos

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