Das Netz als Falle

Suche nach einem Ausweg aus der Onlinesucht

Heute besteht kein Zweifel mehr daran, dass der zwanghafte Gebrauch von Informationsmitteln und das ständige Onlinesein ähnliche Symptome hervorrufen, wie die Drogenabhängigkeit. Abhandengekommen ist, ähnlich wie beim Drogenmissbrauch, auch das gesunde Gleichgewicht. Bewusster Gebrauch und Schadensbegrenzung helfen, und bereits bieten kommerzielle Unternehmen Rehabilitation im Dienste der digitalen Entgiftung an.

 

In einer Episode der Kultserie Black Mirror wird jede kollektive Interaktion online bewertet. Wer uns im Lift anlächelt, bekommt ein paar Punkte auf sein Profil. Drängelt jemand im Café, gibt es einen Abzug. Alle sind User des sozialen Netzwerks, das auf der Grundlage von Bewertungen eine Art modernes Kastensystem in der Gesellschaft herausbildet. Mit der entsprechenden Punktzahl eröffnen sich Möglichkeiten, einen günstigeren Kredit zu bekommen, eine bessere Stellung oder Immobilie zu erhalten und somit seine Popularität zu steigern. Und schließlich scheint auch der Lifestyle der oberen Zehntausend zum Greifen nah. Mehrere negative Bewertungen können den Beginn einer Abwärtsspirale sein und leicht finden wir uns an der Peripherie wieder. Als gesellschaftlich marginalisierter Paria können wir kaum jemals wieder unseren früheren Status erreichen. Die Stärke dieser Episode von Black Mirror, die uns eine bedrückende Welt zeigt, liegt darin, dass das gezeigte Bild der Zukunft zum Greifen nahe ist und die nötigen Instrumente zur Realisierung schon jetzt zur Verfügung stehen. Ausgangspunkt für diese Episode ist ein reales Modell. Es wird gegenwärtig in China aufgebaut und befindet sich vorläufig im Testbetrieb. Genannt wird es „Gesellschaftliches Kreditsystem“, und wenn alles nach Plan läuft, wird es 2020 starten. Bis dahin kann man freiwillig teilnehmen. Grundgedanke ist hier – einem kommunistischen Staat würdig – das begeisterte Befolgen der Systemideologie und deren euphorische Verbreitung. Wenn man als nützliches Zahnrädchen rechtzeitig seine Steuern zahlt, sich durch seinen Lebensstil, seine Hobbys und politischen Äußerungen als guter Untertan erweist, erhält man zur Belohnung einen Einkaufsgutschein, wird bei Reisen bevorzugt abgefertigt und kann sogar ein Visum nach Europa erhalten. Wenn man jedoch regierungskritische Inhalte teilt, vielleicht sogar zu viel Zeit mit als schädlich beurteilten Videospielen verbringt, kann man mit der allerniedrigsten Punktezahl rechnen. Dies ist bisher nur die Probephase, einmal in Betrieb genommen werden sicherlich noch eine Vielzahl weiterer Äußerungen staatlich sanktioniert werden. Aus westlicher Sicht mag man glauben, dass dieses System, das fatal an den „Großen Bruder“ erinnert und die Privatsphäre vernichtet, für uns keine Bedrohung darstellt. Vielleicht stimmt das auch. Wir neigen jedoch dazu, zu vergessen, dass wir online Tag für Tag freiwillig mitspielen, auch wenn der Staat uns nicht dafür belohnt, sondern nur die chemischen Reaktionen in unserem Gehirn.

Bewusstes abhängig werden

Sean Parker, ausgestiegener Mitbegründer von Facebook, gab Ende letzten Jahres unumwunden zu, dass die Oberfläche des bekanntesten sozialen Netzwerks mit Absicht so gestaltet wurde, dass sie den User immer länger bindet, ihn quasi abhängig macht. Nach Parkers Erklärung führten die Schöpfer bewusst Likes ein, um eine Bestärkung durch die Community zu schaffen, die der User nach einer Zeit einfordern wird. Facebook verschaffte mit den Likes, den Kommentaren und dem Teilen dem Gehirn praktisch einen Dopaminschub. Populäre geteilte Inhalte, eine Vielzahl von Kommentaren und Likes wirken auf die Instinkte des Users, der ebenfalls einen ähnlichen virtuellen Erfolg erzielen möchte und sich schlecht fühlen wird, wenn seine Posts zu schnell in Vergessenheit geraten. „Jagd nach Likes“ nennt man eine solche Betätigung. Am Ende der Timeline kann jeder zahlreiche Beispiele dafür sehen, wie die Bekannten um die Beschaffung der täglichen Dosis von Likes kämpfen. Im vergangenen Dezember beschäftigten sich außer dem zurückgetretenen Mitbegründer auch die Forscher von Facebook in einen Blogpost mit den potenziellen Schäden an der mentalen Gesundheit durch soziale Medien. Natürlich wollten sie die User nicht dazu bewegen, unverzüglich ihre Profile zu löschen und sich eine weniger riskante Betätigung zu suchen. Sie nutzten die Gelegenheit, um Neuentwicklungen vorzustellen, die negative Einflüsse durch Facebook verringern sollen. Der Verursacher der Sucht also, die durch seine schädlichen Aktivitäten entstanden ist, schuf diese Schäden gleich einer Onlineschadensbegrenzung. Dieser Schritt ähnelt, wenn man eine Parallele zum Cannabis ziehen will, einem Coffeeshop, der weniger riskante Sorten – beispielsweise mit weniger THC und mehr CBD – in den Vordergrund stellt, und für ihren Konsum anstelle eines Joints den Vaporizer propagiert.

Entgiftung

Facebook wäre natürlich dumm gewesen, als Erstes Anwendungen für den maßvollen Gebrauch zu schaffen. Es gibt schon Apps auf dem Markt, welche die Onlinezeit reduzieren und auf ihre Optimierung abzielen. Dazu zählen die 2013 entstandenen Entwicklungen der Firma Kovert. Das Unternehmen beschäftigt auch Psychologen, Neurologen und Philosophen, welche die Verbindung von menschlichem Verhalten und Technologien analysieren. Der Firmengründer wurde von Studien motiviert, welche die schädlichen Auswirkungen eines übertriebenen Internetgebrauchs analysieren.  Sie zeigen unter anderem, dass die sozialen Medien narzisstische Neigungen fördern, der übermäßige Gebrauch von Smartphones Schlafstörungen verursachen bzw. bei Kindern die Empathie verringern kann. Grundlegend beschäftigt sich die Firma mit Forschungsarbeiten, aber es gibt auch Produkte, beispielsweise ein intelligentes Schmuckstück, das dafür sorgt, dass wir nur dann Benachrichtigungen bekommen, wenn sie wirklich wichtig sind. Die Firma führte auch ein Experiment zum Entzug von digitalen Gadgets mit 35 Personen durch, für die Technologie im Zentrum stand. Nach drei Tagen ohne Gadgets und Internet wandten sich die Versuchspersonen mit größerem Interesse einander zu und ihre Körpersprache zeigte größere Offenheit an. Der Blickkontakt verbesserte sich, sie sprachen mit größerem Selbstvertrauen und Empathie und zeigten größere Bereitschaft, tiefere Kontakte zu knüpfen. Durch die direkte Teilnahme an den Gesprächen konnten sie sich auch an mehr Details erinnern und die Qualität des Schlafs verbesserte sich. Eine der überraschenden Ergebnisse im Experiment war, dass die TeilnehmerInnen mehr Bereitschaft zeigten, bei ihrer Arbeit oder im Privatleben entscheidende Veränderungen in Angriff zu nehmen. Viele schworen, in Zukunft gesünder zu leben. Das erreichten ein paar Tage Gadgetentzug!

Rückkehr in die Wirklichkeit

Anders ist die Situation, wenn wir nicht freiwillig auf unser Telefon oder Gadget verzichten, sondern wir Opfer eines Diebstahls werden. Schon, wenn wir einmal unser Smartphone zu Hause vergessen, wird klar, in welchem Maße unser Leben schon mit der Onlinewelt verwoben ist. Wenn unser Telefon, das Korrespondenz, Kontakte, Fotos und Aktivitäten in den sozialen Medien, oder sogar unsere am besten gehütete Geheimnisse enthält, in unbefugte Hände gerät, würden wir alles tun, um es wieder zu beschaffen. Wenn unsere Fantasie nicht dazu ausreicht, uns vorzustellen, wie man unsere Daten missbrauchen kann, helfen ein paar Episoden von Black Mirror auf die Sprünge. Obwohl es Möglichkeiten gibt, die persönlichen Daten sichern zu können, zeigt sich in einem solchen Fall, dass unsere Symbiose mit intelligenten Geräten zu stark ist. Gibt es einen Ausweg aus dem ewigen Gadgetrausch? Nach Ansicht von Spezialisten für Technologieabhängige muss zunächst die Zeit, die man mit diesen Geräten verbringt, reduziert werden, damit wir mehr Aufmerksamkeit für das Geschehen in der wahren Welt und die persönlichen Kontakte aufbringen können. Es kann hilfreich sein, sich Regeln aufzustellen, bei bestimmten Tätigkeiten nicht zu elektronischen Gerätschaften zu greifen und ihren Gebrauch zu gewissen Tageszeiten vollkommen zu unterlassen. Wie bei der Bekämpfung von übermäßigem Drogengebrauch kann es auch sehr hilfreich sein, sich realistische Ziele zu setzen und sie Schritt für Schritt zu erreichen. Ziel ist gewöhnlich nicht, Virtuelles vollkommen zu verbannen, sondern nur, nicht jeden Augenblick mit Scrollen in den sozialen Medien und dem Lesen unserer E-Mails zu verbringen, auch beim Essen am Tisch und im Schlafzimmer. Das Starren auf die Hintergrundbeleuchtung des Telefons in den Stunden vor dem Einschlafen ist der direkte Weg zu einer Schlafstörung. Wenn wir uns eine Woche an einen verminderten Betrieb halten können, sind wir schon auf einem guten Weg. Hilfreich sein können auch bestimmte Phasen, ähnlich der trockenen Monate bei Alkoholikern, oder der Austausch mit SchicksalsgenossenInnen, um an der digitalen Entgiftung zu arbeiten. Wie bei den Drogen entsteht durch den Einzug der Gadgets ein Gefühl der Leere oder der Begierde. Daher ist es sinnvoll, sich eine Ersatzaktivität auszudenken, die ein angenehmes Gefühl verschafft und die Entzugserscheinungen lindert oder sogar vergessen lässt. Wer spürt, dass er ohne fremde Hilfe nicht in der Lage ist, den Kampf mit dem virtuellen Entzug zu führen und über das nötige Geld für eine Veränderung verfügt, kann sich auch in ein internetfreies Hotel zur Rehabilitation zurückziehen. Bei der irischen Hotelkette Westin kann man für ein schönes Sümmchen das Wellnesspaket Digital Detox buchen. Die BesucherInnen geben bei der Anmeldung ihr Mobiltelefon an der Rezeption ab und verbringen ihre Zeit, statt mit chatten und scrollen, mit Zeitung lesen, Massagen und Spaziergängen. Auf den ersten Blick eine seltsame Geschäftsidee, für den Entzug von Dienstleistungen einen Aufpreis zu verlangen. Die Tatsache aber, dass immer mehr solcher Angebote erscheinen, spricht für die Realität des Gadgetproblems. Wenn wir nicht in die Falle des Internets geraten wollen, müssen wir über unsere virtuellen Aktivitäten vom Smartphone bis hin zu den sozialen Medien nachdenken, und wenn wir sehen, dass sie auf Kosten der Aktivitäten im wirklichen Leben – oder unserem sogenannten Offlinedasein – gehen, müssen unbedingt die nötigen Schritte folgen.

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