Das Harborside Health Center

An vorderster Medijuana-Front in den USA

Im Hafenviertel von Oakland bei San Francisco befindet sich ein unscheinbarer Betongebäudeblock – darin residiert die größte Hanfapotheke der Welt. Als vorangekündigte Pressevertreter wurden wir hier herzlich willkommen geheißen und erfuhren auf einer etwa einstündigen Tour durch das weitläufige Gebäude eine Menge aus dem Alltag der “Weedwars”- Protagonisten.

In Kalifornien werden keine Rezepte für medizinisches Cannabis ausgestellt, sondern die Ärzte stellen ihren Patienten eine grundsätzliche Empfehlung aus, in der sie ausführen, dass sie glauben, Cannabis würde ihrem Patienten helfen. Damit trauen viele kalifornische Ärzte ihren Patienten zu, ganz alleine zu entscheiden, welches Cannabisprodukt ihnen in welcher Menge am besten hilft. In legalen Verkaufsstellen wie dem Harborside Health Center kann man das herausfinden – auch wenn jeder, der das Center betreten möchte, zunächst einmal an einigen Sicherheitsleuten vorbei muss. Diese prüfen nicht nur, ob man autorisiert ist, hier einzukaufen, sondern entscheiden auch, ob man eine Gefahr für das Center oder die anderen Kunden darstellt. Doch das kommt fast nie vor – in den mittlerweile 6 Jahren gab es keinen Vorfall bzw. kein Problem, welches sich nicht völlig gewaltlos lösen ließ.

Neulinge werden zunächst in den Empfangsraum geleitet, wo ihnen erklärt wird, was hier passiert und was man ganz konkret erwarten darf. Währenddessen werden die Angaben des Besuchers überprüft und wenn alles korrekt ist, wird ihm gezeigt, wie er hier Cannabis erwerben kann.

Geöffnet ist das Center 7 Tage die Woche – nur an 4 Feiertagen im Jahr bleibt es geschlossen. Tagtäglich sind hier zwischen 30 und 35 verschiedene Sorten Gras und etwa 10 Hasch-Sorten im Angebot – außerdem noch zahlreiche Tinkturen, Getränke, Cookies und andere THC-haltige Esswaren. Selbst für Patienten, die überhaupt keine psychoaktive Wirkung verspüren wollen, gibt es eine Reihe von Produkten wie Cremes oder Lotionen, die Schmerzen lindern ohne ein “High” auszulösen. Außerdem werden auch zwischen 20 und 25 verschiedene Stecklingssorten angeboten, da immer mehr Patienten selbst anbauen. Auch das ist in Kalifornien legal, wenn man eine ärztliche Empfehlung vorweisen kann – allerdings variiert die erlaubte Menge von Bezirk zu Bezirk erheblich.

Registrierte Patienten, die legal anbauen, dürfen überschüssige Ware an das Center verkaufen – das heißt aber nicht, dass man hier alles ankauft, was geht. Schließlich ist eine Menge Konkurrenz im Spiel und so werden etwa 90% der Angebote abgelehnt. Das hat nicht immer etwas mit mangelnder Qualität zu tun – manchmal wird auch Spitzenware abgelehnt, da so große Mengen gar nicht verkauft werden können.

Alle angekauften Blüten werden genauestens untersucht und analysiert – auch der THC- und Feuchtigkeitsgehalt lässt sich mittlerweile ganz einfach bestimmen. Dafür wurde eine Maschine angeschafft und weiterentwickelt, die das innerhalb von Sekunden herausfindet.

Neben zahlreichen Cannabisprodukten bietet das Center auch viele kostenlose Zusatzleistungen an: Schmerztherapien, Selbsthilfegruppen, Familientherapien, Seniorengruppen, Grow-Kurse, Yoga-, Thai Chi- und Meditationskurse oder sogar Akupunktur. Die 85 Angestellten sind alle komplett krankenversichert und werden – wie auch die Grund- und Gebäudekosten – stets pünktlich bezahlt. Nur für Cannabis muss hier bezahlt werden – und der Gewinn aus diesem Geschäft finanziert den ganzen Rest.

Kurz vor Redaktionsschluss baten wir Chef und Gründer Steve deAngelo noch um ein Statement, wie er die Zukunft des Centers einschätzt. Nach unserem Besuch waren wir davon ausgegangen, ein optimistisches Statement zu erhalten, doch Steve schrieb uns:

Aufgrund der aktuellen Angriffe der US-amerikanischen Bundesregierung auf staatliche Gesetze zur Regulierung von medizinischem Cannabis ist das Schicksal des Harborside Health Centers derzeit ebenso ungewiss, wie das Schicksal aller anderen lizenzierten Cannabis-Apotheken in Kalifornien. Es bleibt abzuwarten, ob unsere Organisation am Ende dieser Bundeskampagne gegen eine medizinische Verwendung von Cannabis noch intakt sein wird. Sicher ist zurzeit nur eins: dass die Cannabis-Gesetze verschärft werden sollen. Dabei weisen alle langfristigen Trends in eine ganz andere Richtung, denn:

– 80% der Amerikaner unterstützen das Recht der Patienten, Cannabis zu verwenden, wenn sie eine dahingehende ärztliche Empfehlung besitzen.

– 51% der Amerikaner sprechen sich für eine grundsätzliche Legalisierung von Cannabis für Erwachsene aus – unabhängig davon, ob dies von einem Arzt empfohlen wurde.

– beide Umfragen haben eine erhöhte Unterstützung für eine Lockerung der Medical-Marihuana-Gesetze aufgezeigt, und man kann davon ausgehen, dass sich diese Unterstützung jährlich um mindestens 2 bis 3 weitere Prozent erhöht.

– führende Ärzteverbände wie die “California Medical Association”, das “American College of Physicians” oder die “California Nurses Association” befürworten weitgehende Reformen der Cannabis-Gesetze.

– viele regierungsunabhängige Organisationen vom rechts-liberalen “Cato Institute” bis zur liberalen NAACP unterstützen eine Lockerung der Cannabis-Gesetze.

– selbst Konservative wie Senator Rand Paul und Pat Robertson unterstützen eine Reform der Cannabis-Gesetze.

– 17 US-Bundesstaaten haben Cannabis bereits für medizinische Zwecke legalisiert, einige andere haben dies bereits beschlossen, aber noch nicht in ihrer Gesetzgebung verankert.

– obwohl die Obama-Administration nun die lizenzierten Institutionen angreift, welche medizinisches Cannabis anbieten, unterstützt sie offiziell das Recht, Cannabis als Medizin zu verwenden.

Zweifellos wird eines nicht allzu fernen Tages Cannabis für Erwachsene legal sein – auch als Genussmittel. Die Frage ist nur, wie viel mehr Menschen noch leiden müssen, bevor die Gesetze endlich geändert werden. Die Bundeskampagne hat bereits Hunderttausende von Patienten von sicheren und lizenzierten Apotheken zurück in die Hände krimineller Anbieter geschickt, deren Aktivitäten erneut Gewalt in unsere Wohnviertel bringen. Tausende gut bezahlte Arbeitsplätze und mehrere Millionen Dollar Steuern wurden zerstört – all diese Vermögenswerte wurden an die mexikanischen Kartelle zurückgegeben. Die Belastung der Strafverfolgungsbehörden hat sich dadurch wieder erhöht, während gleichzeitig die Steuereinnahmen zurückgingen. Es ist eine Politik, die alle Amerikaner schmerzt – nicht nur diejenigen, die auf Cannabis als Medizin angewiesen sind.

Wir wissen derzeit noch nicht, ob das Harborside Health Center den aktuellen Angriff überleben wird. Alles, was wir tun können, ist, unser Versprechen zu halten, welches wir bei unserer Eröffnung vor sechs Jahren gaben: Cannabis an rechtskundige Patienten in einer Weise zu verteilen, die unseren Gemeinden Vorteile bringt anstatt zu schaden. Wir werden auch weiterhin dieses Versprechen halten – bis die Bundesregierung Vorhängeschlösser an unseren Türen anbringt. Falls wir dann das Glück haben, nicht im Gefängnis zu sitzen, werden wir zurückkommen, um diese Schlösser zu knacken!

Martin Müncheberg

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