Cannabistherapie in Österreich

Dr. Kurt Blaas, Vorsitzender der CAM – Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin

Neben der Cultiva und der Hanfmesse in Österreich gibt es jedes Jahr viele weitere tolle Veranstaltungen. Ende März veranstaltete der Wiener Growshop Bushdoctor zusammen mit der namensgebenden Zeitschrift den ersten grow! Vaporizer Award. Wir freuten uns über die Einladung und nahmen am Vaporizer-Test teil.

Die im Brunner Bushdoctor abgehaltene Veranstaltung brachte neben der Möglichkeit, einzelne Produkte auszuprobieren und ihre Funktionen kennenzulernen, weitere interessante Programmpunkte. Als Gast nahm Dr. Kurt Blaas, Vorsitzender der österreichischen Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin teil und hielt einen Vortrag über “Cannabistherapie und Heilmittel auf Cannabisgrundlage”. Die wichtigste Frage galt natürlich den Anwendungsmöglichkeiten der Cannabisblüte als Pflanzentherapie. Während des informativen, insgesamt eineinhalbstündigen, interaktiven Vortrags war – außer von Krankheiten und Symptomen – die Rede von der Lage in Österreich, Deutschland und Italien.

Das Erste und Wichtigste ist immer die Diagnose. Sie entscheidet darüber, ob die Krankheit oder ihre Symptome wirksam mit Cannabis behandelt werden können. In den letzten fünfzehn Jahren, nachdem in Kalifornien zum ersten Mal Cannabis zur Therapie verschrieben wurde, beschäftigten sich zahlreiche Untersuchungen mit dem Thema und es stellte sich heraus, dass die Symptome vieler Krankheiten wirksam mit Cannabinoiden gelindert werden können. “In dieser Zeit habe ich insgesamt 290 Patienten behandelt und 600 Diagnosen gestellt, die ich in fünf Gruppen einteile. Etwa 40 % der Patienten sind psychiatrische Fälle, 37 % neurologische Patienten mit Schmerzen, 13 % ringen mit Problemen der inneren Organe, und die übrigen sind unheilbar – beispielsweise Krebspatienten. Das Tourette-Syndrom, Multiple Sklerose, das Posttraumatische Stresssyndrom, Depression sowie die verschiedenen Arten von Krebs sind die üblichen Krankheitsbilder, mit denen die Patienten zu mir kommen und bei denen die Cannabistherapie erwiesenermaßen wirksam ist. Bei den neurologischen Fällen sind Phantomschmerzen am häufigsten, Probleme mit dem Augendruck und den Bändern.”

Daneben kann die Cannabistherapie eine wichtige Begleiterin anderer Behandlungen sein – wie bei der Chemotherapie von Krebskranken. Die Wirkung von Cannabis mit dem entsprechenden Cannabionidprofil lindert die Schmerzen, die Patienten haben wieder Appetit und kommen infolgedessen wieder zu Kräften, in vielen Fällen steigert sich auch die Lebenslust. Die Behandlung kann nicht nur mit dem Konsum von Blütenständen erfolgen, sondern auch die Anwendung von Arzneimitteln auf Cannabisbasis beinhalten. Solche stehen den Patienten in Deutschland und Österreich schon zur Verfügung. Sie sind zwar nicht billig, aber immerhin gibt es sie. In vielen Teilstaaten der EU und in den meisten Teilen der Welt ist die Verwendung von Cannabis wegen der strafrechtlichen Betrachtungsweise überhaupt nicht möglich.

“Mehrere Arten von Präparaten stehen zur Verfügung, der Wirkstoff ist größtenteils derselbe, abhängig von der Form des Arzneiträgerstoffs wird der in Pflanzenöl gelöste Wirkstoff in einer Flüssigkeit, einem Spray oder in Kapseln dargeboten, denkbar wären auch Tabletten. Das als Flüssigkeit zur Verfügung stehende Arzneimittel Sativex können in Österreich nur auskurierte Multiple-Sklerose-Patienten bekommen, mit der Genehmigung eines Oberapothekers. Das Präparat enthält natürliche Wirkstoffe, jeweils zur Hälfte THC und CBD-Cannabionoid. In Österreich ist CBD vollkommen legal. Ein Flakon enthält 45 Dosen, was bei 10-15 Portionen am Tag keine Woche reicht. Der Preis ist gewaltig. Ein Flakon kostet 700 Euro. Es gibt aber noch teurere Medikamente.”

Dronabinol ist in Kapseln erhältlich. Es sind fetthaltige Tabletten in verschiedenen Farben mit unterschiedlichem Wirkstoffgehalt. “Die grünen enthalten 2,5 mg des Wirkstoffs, die gelben 5 mg, die roten 10 mg; die Durchschnittsdosierung pro Patient liegt bei 7,5 mg täglich. Das Medikament wird in Deutschland von der Firma Bionorica hergestellt und in Apotheken vertrieben. Es steht auch in injizierbarer Form zur Verfügung, diese ist zu 99,5 % rein. Es wird von zwei Firmen angeboten – eine ist Bionorica, die auch in Wien eine Filiale hat, die andere THC Pharm GmbH. Mit ihnen stehe ich seit fünfzehn Jahren in Kontakt.”

THC Pharm ist eine relativ kleine Firma mit fünfzehn Angestellten, ihre Medikamente sind von guter Qualität. Sie hatten große Schwierigkeiten, in Deutschland eine Genehmigung zu bekommen. Sie liefern sehr viel in die Schweiz und auch nach Amerika. “Für sie besteht die Herausforderung darin, dass viele Länder nur die Anwendung von synthetischem THC erlauben, während die Firma Medikamente herstellt, die natürliches THC enthalten. Bionorica konnte in Österreich erreichen, dass sie für pharmazeutische Zwecke eine eigene Cannabisplantage einrichten konnten. Dafür änderte das Parlament sogar ein Gesetz. So züchtet die staatliche Firma Ages legal Cannabispflanzen, was konkret bedeutet, dass es in Österreich gegenwärtig auch staatlich hergestelltes Cannabis gibt.”

Dronabinol ist als Tropfen oder in flüssiger Form erhältlich. Eine Phiole enthält 52 ml mit einer 2,5 %-igen Lösung in Sesamöl. Ein Tropfen enthält 0,8 mg Wirkstoff. Ein Patient nimmt am Tag durchschnittlich 5-10 Tropfen ein. Würde ein gesunder Mensch diese Dosis zu sich nehmen, könnte er nicht mehr aufstehen. Die Patienten jedoch, die dieses Medikament ständig brauchen, sind an diese Dosierung gewöhnt. Eine Phiole kostet 280 Euro. “Die Dronabinol-Patienten bekommen von mir einen Dronabinol-Ausweis, mit dem sie offiziell dieses Medikament erwerben können. Da es ziemlich teuer ist, haben sich viele Patienten mit Ärzten zusammengetan und den Hersteller, beziehungsweise die Apotheken kontaktiert, um über den Preis zu verhandeln. Sie haben eine Vergünstigung von 50 % erlangt, sodass sie das Medikament für 140 Euro bekommen können. Eine Phiole reicht einem Patienten durchschnittlich 25 Tage. Das ist auch so noch teuer genug, aber für die Patienten ist es von großer Bedeutung, dass es überhaupt erhältlich ist, denn es lindert, ja, kann sogar die Symptome beseitigen.”

40 % der Kosten für verschriebene Medikamente übernehmen in Österreich die Krankenversicherungen. Der Prozess ist in Deutschland und Italien auch in Gang gekommen und in einem immer größeren Maße gelingt es, obwohl manchmal nur auf dem Rechtsweg, dass die Krankenkassen auch die Kosten dieser Therapien übernehmen, wenigstens zum Teil. “Gegenwärtig werden 30-50 % der verschreibbaren Medikamente übernommen, obwohl die Gesuche individuell geprüft werden, die Kostenerstattung erfolgt also nicht automatisch. Die kleinen Krankenkassen entwickeln sich gut und genehmigen immer mehr Erstattungen. In Niederösterreich zum Beispiel, wo die Krankenkassen früher diese Form der Behandlung überhaupt nicht unterstützten, werden immer mehr Medikamente und Behandlungen erstattet.”

Die neuste und benutzerfreundlichste Darreichungsform ist wahrscheinlich Sativex als Spray, das 62 % Dronabinol, Dunaviz und 200 mg THC-Solubilisator enthält. “Letzterer ist daher wichtig, weil er es ermöglicht, THC in Wasser zu lösen. Cannabis löst sich grundsätzlich nur in Öl oder Alkohol, so kann man es auch mit Wasser einnehmen. So kann der Organismus es schneller aufnehmen, während die in Fett gelösten Stoffe vom lebenden Organismus nur teilweise absorbiert werden. Sie durchlaufen nämlich das Darmsystem und ein bestimmter Teil von ihnen, etwa 30-40 %, werden nicht aufgesogen. Das Absorbierungsverhältnis von Dunaviz beträgt das Vierfache, also muss man weniger von dem Medikament konsumieren, weil es vom Organismus mit größerer Wirksamkeit angenommen wird.”

Jedes Medikament kann Nebenwirkungen haben. Im Fall von Cannabis ist es auch wegen der Arten des Konsums nötig, darüber zu sprechen. Das Inhalieren ist keine neumodische Technik, das Vaporisieren und die dazu geeigneten Hilfsmittel sind bekannt, aber noch nicht so verbreitet, aber es gibt immer mehr von ihnen. Diese Methode des Konsums ist unter den Patienten sehr verbreitet. Der Vapomat ist gegenwärtig das beste geprüfte Gerät, wenigstens vom therapeutischen Standpunkt. Drei unabhängige Fachorganisationen in Österreich, der Schweiz und in Kalifornien haben ihn getestet. Besonders nützlich an dem Gerät ist das austauschbare Mundstück. So können es mehrere Patienten benutzen. “Ich empfehle es, weil man damit auch 5 %-ige Dronabinol-Tropfen benutzen kann. Ich habe recht viele Patienten, die dieses Gerät benutzen. Es wird ebenfalls von der österreichischen Krankenkasse übernommen. Der zweite große Vorteil ist, dass man den Wirkstoff viel wirkungsvoller dosieren kann. Ihr Tagesablauf ist angenehmer, es sediert nicht, es macht nicht schläfrig, die Patienten sind positiver, sozialer eingestellt und haben bessere Laune. Einige meiner Patienten benutzen es seit sechs Monaten und sind frei von allen Symptomen. Besonders für Patienten, die unter einer Erkrankung der Atemwege leiden, kann es nützlich sein, beispielsweise ist es bei Asthma besonders gut einsetzbar.”

Cannabis flos, also Cannabisblüten, sind prinzipiell ebenfalls verschreibungsfähig, trotzdem können sie das Produkt nicht in der Apotheke kaufen. Es gibt Länder, in denen ein staatliches Medizinalmarihuana-Programm existiert, die Therapie ist in dieser Form zum Beispiel in Kanada, Holland und bald auch in Tschechien erhältlich. “Es gibt sehr gut informierte Patienten, die zielstrebig sind und genau wissen, welche Medikamente sie benötigen. Ihnen kann ich Bediol verschreiben – mit dem Rezept reisen sie dann nach Holland und dort kaufen sie es in einer Apotheke. Wir haben gute Kontakte mit dem Hersteller von Bediol, beziehungsweise mit dem Niederländischen Institut für Medizinischen Hanf in Den Haag. Damit ist sichergestellt, dass die österreichischen Patienten das Medikament in einer bestimmten Apotheke in Holland beschaffen können. Der Pferdefuß bei der Sache ist nur, dass sie es nicht legal nach Österreich einführen dürfen. Darauf muss ich jedes Mal hinweisen, wenn ich es verschreibe.”

Viele versuchen, die Situation zu verändern. Einige junge Patienten haben sich auch in Österreich zusammengeschlossen, weil sie nicht länger warten können oder wollen. Sie sind sehr aktiv und haben begonnen, mit Apotheken zusammenzuarbeiten, um bei der Regierung durchzusetzen, dass das Medikament auch in Österreich erhältlich ist. Sie bemühen sich um eine Sondergenehmigung, wie sie schon in Deutschland und in der Schweiz erteilt wurde.” In diesen Ländern wurde das Gesetz nicht grundlegend geändert, sondern nur um einen Passus erweitert, der es ermöglicht, Patienten eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen. “Wann und welche Entscheidung auf diesem Gebiet zu erwarten ist, hängt stark davon ab, welcher Wind in der Politik weht. Grundsätzlich wäre das innerhalb von ein paar Monaten zu lösen, es müsste nicht so viel verändert werden. In Österreich sind gegenwärtig zahlreiche Krankheiten mit Cannabis behandelbar, was beim Lauf der Dinge viel helfen kann.” Ein Gramm Bediol-Cannabis kostet 14 Euro plus Versandkosten und Apothekengebühr – im Vergleich zu den oben erwähnten Medikamenten sicher günstig, aber eigentlich immer noch ein teures Vergnügen. Manche Patienten nehmen täglich zwei Gramm ein.

Zahlreiche Kranke – auch viele, die in den Mitgliedsstaaten der EU leben – können von einer Cannabistherapie nur träumen. Sie leiden ohne Grund mehr als nötig und sterben, ohne die Chance auf eine erträgliche Lebensqualität, wenigstens in den letzten Monaten ihres Lebens, zu haben. Viele EU-Bürger werden noch lange nicht in den Genuss der bewiesenermaßen wirkungsvollen Therapie kommen – in den EU-Staaten, in denen noch nicht einmal Ärzte die Cannabistherapie und die Medikamente auf Cannabisbasis kennen (oder zu kennen wagen). Zu Dr. Blaas kommen gegenwärtig auch Patienten, die aus Ungarn, der Slowakei und Slowenien stammen und aus ebendiesem Grund in Österreich leben. Hier kann nämlich Bürgern jeder Arzt die oben genannten Arzneimittel verschreiben. Im Moment befassen sich in Österreich allerdings nur 10-12 Ärzte mit diesem Fachgebiet, und sie entscheiden garantiert nicht aufgrund der Abstammung oder Nationalität der Patienten, sondern ausschließlich aufgrund der Diagnose über die anzuwendende Therapie.

You can share this: