“Cannabis ist mein universelles Schmerzmittel”

Claudia R. (41) lebt in Berlin-Prenzlauer Berg und hat sich gerade als Illustratorin und Zeichnerin selbstständig gemacht – in der Hoffnung, damit ihren benötigten Medizinalhanf auch bald ganz legal finanzieren zu können. Sie hat Krebs und ihre Leber verträgt keine Pharmazeutika mehr – eine Folge ihrer jahrelangen Heroinabhängigkeit.

 

Medijuana: Wie bist du auf Cannabis als Medizin gestoßen?

Claudia R.: Ich kiffe schon fast 30 Jahre, und Cannabis ist rückblickend die einzige Substanz, die mir mein Leben nicht versaut hat, sondern mir inzwischen sogar effektiv dabei hilft, meine Schmerzen zu lindern. Als ich im Teenageralter begann, gelegentlich Cannabis zu rauchen, war mir noch nicht klar, dass es auch intensive Heilkräfte hat – aber ich merkte schon damals, dass es mich stützt. Das war auch meine erste Berührung mit Betäubungsmitteln, obwohl ich Cannabis nie als Droge angesehen habe. Dazu muss ich sagen, dass ich 18 Jahre lang heroinabhängig war und mir Cannabis sehr dabei geholfen hat, wieder davon wegzukommen. Inzwischen bin ich seit zehn Jahren clean – so lange benutze ich nun auch schon Cannabis als mein einziges und universelles Schmerzmittel. Damit lebe ich zwar auch nicht völlig schmerzfrei, aber es gelingt mir damit zumindest, meine Schmerzen zu ertragen.

M: Welche körperlichen Beschwerden behandelst du mit Cannabis?

CR: Ich hatte Hepatitis C und habe 2er, 3er und 4er Unterleibskrebs, ein kaputtes Herz, eine kaputte Leber und einen kaputten Rücken. Cannabis hilft mir daher nicht nur gegen die Schmerzen, sondern macht mir auch Appetit und mildert depressive Zustände und Schlafstörungen. Es schmeichelt insbesondere meinen versteiften Rückenpartien und lässt mich wieder fast normal am Leben teilhaben. Durch meinen vormaligen Heroin- und Benzodiazepinkonsum, durch Chemo und Stammzellaufbau kann meine verfettete Leber herkömmliche Schmerzmittel gar nicht mehr verarbeiten bzw. Rückstände abbauen.

M: Könnte da nicht eine Lebertransplantation helfen?

CR: Das schon, aber ich kriege so einfach kein Spenderorgan – begründet wird das meist damit, dass ich früher meine Leber ganz bewusst geschädigt habe. Wenn man jedoch mit 13 Jahren abhängig von Heroin bzw. Benzodiazepinen wird und denkt, dass man das 18. Lebensjahr eh nicht mehr vollendet, denkt man schon gar nicht an Leber-, Krebs-, Herz- und Knochenschäden im Alter. Wir haben auch noch keine Spenderleber beantragt, denn durch Cannabis und die geheilte Hepatitis sind die Werte zurzeit eigentlich ganz gut. Und irgendwo kann ich sogar verstehen, dass die so fies reagieren – denn die kennen mich ja nicht persönlich. Würden sie mich wirklich kennen, dann wüssten sie ja, wie positiv ich mich verändert habe und dass ich mich auch für andere Kranke einsetze. Bei meinem Antrag auf medizinisches Cannabis läuft das nun auch so ähnlich – aber ich möchte dennoch raus aus der Illegalität und Cannabis ganz legal und angstfrei als Medizin nutzen dürfen, ohne gleich stigmatisiert zu werden oder zuvor erst mal irgendwelche charakterlichen Prüfungen ablegen zu müssen.

M: Welche Cannabis-Applikationsform ist für dich die geeignetste?

CR: Ich nutze – so oft es finanziell geht – Cannabisblüten vom Schwarzmarkt und Öl, welches ich selbst herstelle, da das ja praktisch nicht für mich zu kriegen ist. Ich habe im Internet ein Video gefunden – “How to Make Rick Simpson‘s Medicinal Hemp Oil Safely” – und dachte mir: “Okay, es kann zwar sein, dass dir die Küche in die Luft fliegt, aber du probierst das jetzt mal aus!” Es klappte, und ich fand heraus, wie effizient das Öl auch in Keksen oder im Kakao funktioniert. Es war unglaublich. Zuvor hatte ich zwar schon lange gekifft und mich auch schon für unheimlich schlau gehalten – doch nun erst lernte ich, was noch so alles mit Cannabis möglich ist. Hätte man mir vor 20 Jahren erzählt, dass Cannabis auch Medizin ist, hätte ich das mit Sicherheit nur belächelt. Heute bin ich da schon viel schlauer.

M: Du kannst dir also ausreichend Cannabis-Öl selbst herstellen?

CR: Leider nein, denn für die Herstellung bin ich auf freundliche Gaben meines Umfelds angewiesen, und nicht immer habe ich genug Pflanzenteile für meine Öl-Produktion. Wenn ich mal kein Öl gegen meine Schmerzen habe, rauche ich eben Hanfblüten – mal im Vaporizer, mal in der Tüte. Und wenn ich nicht mal Blüten zum Rauchen habe, sollte man mich besser nicht besuchen – denn wie ich dann drauf bin, möchte ich wirklich niemandem zumuten. Letztendlich ist das einfach ein finanzielles Problem – ich könnte sofort Sativex legal bekommen, aber die 500 Euro Zuzahlung pro Monat kann ich mir einfach nicht leisten.

M: Wie oft konsumierst du heutzutage deine Medizin?

CR: Morgens schmeiße ich immer erstmal den Vaporizer an und konsumiere dann so lange, bis ich einigermaßen ansprechbar bin. Danach trinke ich eine Tasse Kaffee und rauch’ dazu noch eine Tüte – und danach wird gefrühstückt. Vorher geht das gar nicht. Über den Tag verteilt konsumiere ich in der Regel zwei Gramm Gras und ca. ein bis zwei Gramm Öl – wenn ich gerade kein Öl habe, dann verrauche ich etwa zwei Gramm Blüten pro Tag.

M: Wenn du das höher konzentrierte Öl hast, konsumierst du trotzdem die doppelte Menge?

CR: Ja, denn wenn man versucht, Tumore aus dem Körper zu verbannen oder auch mal wieder einen etwas schmerzfreieren Tag erleben möchte, muss man die Toleranzschwelle einfach nach oben schrauben. Wenn ich also gerade Öl habe, dann versuche ich, davon möglichst viel zu konsumieren – das macht es natürlich besonders schwer, wenn ich dann mal wieder kein Öl habe: Dann spüre ich meine Schmerzen einfach wieder viel deutlicher. Von meinem Krebs sind übrigens nur noch 2er Tumore sichtbar.

M: Hast du selbst schon mal die repressive Seite unseres Staates in Bezug auf Cannabis kennengelernt?

CR: Ja, meine schlimmste Erfahrung mit der Polizei hatte ich hier in Berlin. Um das nachvollziehen zu können, muss ich ein wenig ausholen: Nachdem ich vom Heroin losgekommen war, versuchte ich, möglichst vielen Menschen von meinen Erfahrungen zu berichten. Insbesondere junge Menschen wollte ich davor bewahren, Ähnliches durchleiden zu müssen – und so schenkte ich verschiedenen Jugendlichen Cannabis, wenn sie denn ihr Heroin in meiner Toilette entsorgten. Damals kriegte ich meinen Spitznamen: “Muddi”, denn ich war für diese Jugendlichen da und versuchte sie von der Straße zu holen – mal mit Rap-Alben, mal mit Graffiti oder anderen Workshops. Eines Abends lag ich schon im Bett, als das Telefon klingelte – einer “meiner” Kids war am Telefon: “Muddi, Muddi, darf ich bitte bei dir vorbeikommen? Meine Mutter schmeißt mich raus, wenn ich so nach Hause komme – ich habe Augen wie Teller.” Natürlich sagte ich: “Klar, komm’ vorbei!”, und dachte mir nichts weiter dabei. Irgendwann klopfte es dann an meiner Tür, und als ich öffnete, sah ich nur schwarze Masken und dachte: “Oh mein Gott, was ist denn hier los?” Kaum, dass ich das gedacht hatte, lag ich auch schon auf dem Boden. Mir wurden Haare ausgerissen, meine Beine waren auf meinen Rücken geklappt und meine Arme schmerzhaft verschoben – es war wie im Film. Insgesamt hatte ich Besuch von über 30 Polizisten in meiner kleinen Einraumwohnung, die sogleich anfingen, alles umzugraben. Wie ich später erfuhr, hatte ein Jugendlicher, der mich nachmittags besucht und etwas bei mir zum Selbstkostenpreis erworben hatte, auf dem Weg nach Hause im Bus ein Graffiti gemalt und war dabei vom Busfahrer gesehen worden. Der informierte umgehend die Polizei, die dann den Bus stoppte und den Jungen herausholte – bei der anschließenden Kontrolle wurde dann ein Tütchen mit Cannabis bei ihm gefunden. Man drohte ihm mit Jugendknast und machte ihm derartig Angst, dass der Junge schließlich mit der Sprache herausrückte und sogar noch etwas dazudichtete. Er sagte schließlich aus, dass das Gras von mir sei, denn bei mir gäbe es schließlich das allerbeste Zeug – dafür wäre ich in und um Berlin schon bestens bekannt. Der Junge mit den “Telleraugen” wurde dann nach seinem Eintreffen von der Polizei gefesselt auf dem Boden gehalten. Ich musste wohl erst lernen, dass hinter “gut Gemeintem” auch Dummheit liegen kann. Nicht nur meinerseits, sondern auch bei teils bösartigen Menschen und der meiner Meinung nach grundrechtsverletzenden Gesetzeslage.

M: Wie viel Cannabis fand die Polizei damals bei dir?

CR: Das waren so um die zwölf Tütchen mit jeweils 1,8 Gramm – und noch ein paar Reste in diversen Dosen. Das Schlimmste aber war, dass man auch Waffen bei mir fand, die ich den Jugendlichen abgenommen hatte, wenn die im Suff bei mir waren: Pfefferspray, Baseballschläger, Messer und sogar eine ungesicherte Pistole. Das alles hätte ich anzeigen müssen – aber das wusste ich damals alles noch nicht. Ich hatte die Waffen nur eingesammelt, um irgendwelche blutige Scheiße zu vermeiden. Die Polizei strickte mir daraus eine Anzeige wegen “Dealerei mit Waffe” und “Abgabe an junge Erwachsene”. In der letzten Instanz wurde ich dann zu 15 Monaten verurteilt und kam ins Gefängnis. Allerdings musste ich diese Zeit nicht absitzen, da ich zu Weihnachten 2009 die Diagnose “Krebs” bekam – daraufhin wurde ich im Januar 2010 entlassen und notoperiert. Wie ich später erfuhr, konnte das Krebsgewebe dabei nicht komplett entfernt werden, weil es eine schwierig zu operierende Stelle sei – für mich brach in dem Augenblick erneut eine Welt zusammen, und der Kampf gegen meine Dämonen ging weiter.

M: Hielt deine Familie immer zu dir, und konntest du mit ihr auch offen über deine Probleme sprechen?

CR: Natürlich war meine Mutter gegen meinen Heroinkonsum – ich war als Junkie auch nicht gerade einfach, sondern versuchte mit allen Mitteln, das in der Kindheit Erlebte zu verdrängen. Ich hatte keine wirklich angenehme Kindheit, denn ich wurde schon als Kleinkind häufig missbraucht und versuchte daher, das Erlebte mit verschiedenen Drogen – inklusive Heroin und Benzodiazepinen – zu kompensieren. Ich brauchte einfach etwas, was meinen Kopf ausschaltet. So gesehen hat Heroin, was ja häufig Leben nimmt, mir das Leben geschenkt – denn so kann ich nun über meine Erfahrungen sprechen. Früher habe ich einfach nur so laut geschrien, dass mich gar keiner mehr gehört oder für voll genommen hat. Inzwischen akzeptiert und versteht selbst meine Mutter, dass Cannabis auch Medizin sein kann – und mit meinem Vater habe ich schon lange keinen Kontakt mehr, da der mir fast 18 Jahre meines Lebens gestohlen hat.

M: Welche Zukunft würdest du dir für die Heilpflanze Hanf wünschen?

CR: Ich würde mir wünschen, dass alle Menschen Zugang zu dieser Heilpflanze bekommen – also sowohl Patienten als auch Menschen, die sich gesund und vital halten, oder aber auch berauschen wollen. Das wünsche ich mir nicht nur, weil Cannabis medizinisch toll ist und mir nebenwirkungsfrei alle Medikamente ersetzt, sondern weil es auch stützt, vital macht, einen ausbalanciert und dabei auch noch die Seele streichelt. Auch für unsere Umwelt und die Wirtschaft ist Hanf sehr wertvoll – und für mich ist er einfach meine “Number One”.

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