Cannabicum 2018

Konferenz zum medizinischen Cannabis in Budapest

Ungarn steht beim medizinischen Cannabis noch ganz am Anfang. Auf der Cannabicum 2018, die im September stattfand, diskutierten ÄrztInnen, PatientInnen und auch PolitikerInnen miteinander; die Konferenz markiert daher einen ernsthaften Fortschritt. Medijuana-Redakteur Tomas Kardos hielt auf der Veranstaltung einen Vortrag über medizinische Cannabisprogramme in Europa.

Positive Erwartungen weckt der Umstand, dass die zweitägige Cannibicum der Ungarischen Vereinigung für medizinisches Cannabis (MOKE) größeres Interesse fand als die Konferenz für medizinisches Cannabis, in deren Rahmen sie stattfand. An beiden Tagen hatte sie ein volles Haus – das heißt, ungefähr 200 Personen nahmen an den zehnstündigen Marathon-events teil. Rund zwei Drittel der BesucherInnen waren MedizinerInnen, aber auch PatientInnen waren in großer Zahl erschienen, außerdem verschiedene Hersteller von Hanfprodukten. Nur die VertreterInnen der staatlichen Organisationen wiesen die Einladungen zurück. Ohne sie wird es schwierig werden, eine Einigung über den Start eines Programms für medizinisches Cannabis zu erzielen.

 

Rückkehr des Cannabis in die Medizin

Miklós Szelestei, MOKE-Vorsitzender, legte zur Eröffnung Rechenschaft über die Aktivitäten der Organisation in den letzten zwei Jahren ab. Es ist gelungen, Absprachen mit mehreren Dutzend ÄrztInnen zu treffen und Tausende von PatientInnen zu beraten, darüber hinaus 200 Videos mit Untertiteln zu versehen und in Fernsehen, Radio und Zeitungen präsent zu sein. Der anschließende Vortrag führte aus, dass Cannabis in der europäischen Medizin von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zu den 1930er Jahren eine wichtige Stellung einnahm.

Péter Sárosi, Direktor der Rights Reporter Foundation, sagte, dass in den 1860er Jahren Präparate auf Cannabisbasis gegen Cholera, Epilepsie, Blutvergiftung und Keuchhusten angewendet wurden. Ebenso nutzte man seine appetitanregenden Wirkungen. Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts verdrängten synthetische, genau dosierbare Medikamente das Cannabis, dessen Qualität damals noch schwankte. Heute jedoch richtet sich das Interesse von Neuem auf die Heilpflanze und standardisiertes Marihuana von medizinischer Qualität tritt seinen Siegeszug in der Medizin an. Wirksame Gesetze ermöglichen die medizinische Anwendung von Cannabis und verringern den früheren politischen Widerstand – davon sprach der tschechische Ökonom und drogenpolitische Sachverständige Dr. Pavel Pachta.

Der dieses Jahr publizierte Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) über CBD, der ausgesprochen positiv ausfällt, rät der UNO, den Wirkstoff auf keinen Fall auf die Liste der Rauschmittel zu setzen. Die Organisation wird bis 2019 Vorschläge zum Thema Cannabis ausarbeiten und der UNO vorlegen, wobei sie, wie zu erwarten steht, fordern wird, die Pflanze, ihre Wirkstoffe und die aus ihr hergestellten Präparate von der Liste der als gefährlich eingestuften Mittel zu streichen. Tomas Kardos, Redakteur des Magazins Medijuana und drogenpolitischer Sachverständiger der Gesellschaft für Freiheitsrechte, sprach über die Entwicklung des europäischen Programms für medizinisches Cannabis und dessen Zukunftsaussichten. Nachdem er die Standpunkte einzelner Länder erläutert hatte, fasste er zusammen, dass es ohne Aktionen von Kranken, ÄrztInnen und regionalen Sachverständigen kaum Aktivitäten vonseiten der Politik in Sachen medizinisches Cannabis geben werde. Er machte darauf aufmerksam, dass man sich, wenn gesetzliche Genehmigungen zum Start von Programmen vorlägen, nicht zurücklehnen dürfe, da dies erst den Anfang der Arbeit markiere. Mit PatientInnen, ÄrztInnen und der Zivilgesellschaft müsse dann ständig abgestimmt werden, welche Teile der Cannabisprogramme noch verbessert werden müssten, damit sie den PatientInnen entsprechend funktionierten.

Jenseits von THC und CBD

Der slowenische Biologe Gregor Zorn sprach über die Funktion des Endocannabinoidsystems und die weniger bekannten Cannabinoide, Terpene und ihre Eigenschaften. Die weit gefächerten Wirkungen der Cannabinoide sind bisher nur wenig erforscht, daher können wir sicher sein, dass die Wirkstoffe des Cannabis noch bei sehr viel mehr Krankheitsbildern einsetzbar sein werden, als heute bekannt sind. Der israelische Forscher und Mitarbeiter des Krebsbiologischen und Cannabinoidforschungslaboratoriums Technion, Gil Lewitus, machte ebenfalls darauf aufmerksam, dass die Wirkungen sich nicht nur auf das Verhältnis von THC zu CBD reduzieren lassen können. Das zeigten auch die Ergebnisse des Instituts sowie Experimente an autistischen Kindern. Die Gabe von Mitteln mit dem gleichen THC:CBD-Verhältnis und allen anderen Cannabinoiden in unterschiedlichen Relationen riefen radikal unterschiedliche Ergebnisse hervor. Durch die Wirkung einer Probe verbesserte sich der Zustand der großen Mehrheit der Kinder. Sie hielten beispielsweise den Blickkontakt und erwiderten Umarmungen, bei anderen zeigte sich sukzessive eine gefährliche Autoaggression. Die Aggressivität reduzierten am wirkungsvollsten Cannabinoide mit dem Namen CNB1; CBD bewährte sich nur unter Anwesenheit von THC. Im Forschungsinstitut werde unter Hochdruck daran gearbeitet, den Konsum von medizinischem Cannabis wirkungsvoller individuell abzustimmen.

Mit unterschiedlichen Cannabinoidprofilen beschäftigt sich auch der Kinderarzt des Canna-Centers in Los Angeles, Dr. Bonni Goldstein, nach dessen Meinung Cannabiswirkstoffe keine Nebenwirkungen aufweisen und eine nicht-toxische Heilmethode darstellen. Trotzdem müsse THC bei Kindern sehr vorsichtig dosiert werden. Dr. Goldstein verwendet Cannabinoide bei der Behandlung von Krebserkrankungen, Aufmerksamkeitsstörungen, Hyperaktivität, Essstörungen, Autismus, Angststörungen, Tourette-Syndrom, chronischen Schmerzen und Autoimmunstörungen sowie anderen genetischen Problemen.

Therapieprogramm jetzt!

PatientInnen, die auf der Konferenz das Wort ergriffen, berichteten gleichermaßen von Erfolgen und von Versorgungsschwierigkeiten. Es sei die Ausnahme, dass ein ungarischer Arzt kooperiere, und sei es nur bei der Anwendung von CBD-Öl. Es gebe große Wissensdefizite, aus denen die Ablehnung resultiere. Die Podiumsdiskussion am Ende der Veranstaltung rief ÄrztInnen, PatientInnen und Betroffene auf, aktiv zu werden. Denn wirkliche Ergebnisse sind nur dann zu erwarten, wenn eine breite Masse gemeinsam gegen die Ablehnung von medizinischem Cannabis auftritt.

Ein Hanfzüchter berichtete über seinen persönlichen Kampf, eine Erlaubnis zur Herstellung von CBD-Öl zu erlangen, und rief alle Anwesenden auf, sich an diesem Kampf zu beteiligen. Die Mehrheit der ÄrztInnen trug sich in eine Liste ein, um weitere Fachinformationen zu erhalten und weitere Schritte zu einer angemessenen Regulierung des Cannabis zu koordinieren. Ein liberaler Politiker sicherte dem Publikum die Unterstützung seiner Partei bei allen Initiativen zu. Die zweitägige Veranstaltung vermochte es, vielleicht auch bei den größten Skeptikern die Hoffnung auf eine Veränderung zu wecken.

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