Anstatt auf „nicht schuldig“ zu plädieren, verklagten wir den Staat

Bei der International Cannabis Policy Conference in Wien konnte man ExpertInnen, EntscheidungsträgerInnen und AktivistInnen aus aller Welt treffen – so auch Myrtle Clark – die eine Hälfte des berühmten „Dagga Couples“ (dagga = dt. Cannabis) aus Südafrika. Sie und Julian Stobbs wurden 2010 mit 1,87 Kilogramm Cannabis erwischt und angeklagt, woraufhin sie sich entschlossen, ihrerseits den Staat zu verklagen.

 

Medijuana: Kannst du dich bitte kurz vorstellen und uns erzählen, was 2010 passiert ist und wie das mit dem Urteil des Verfassungsgerichts zusammenhängt?

Myrtle Clark: Mein Name ist Myrtle Clark und ich bin Vorsitzende der Organisation Fields of Green for all, Südafrikas einzige Non-Profit-Cannabisfirma. Wir sind vorwiegend auf dem Gebiet der Relegalisierung von Cannabis tätig. Und ich bin eine Hälfte des Dagga Couples. Mein Partner Julian Stobbs und ich wurden 2010 verhaftet. Wir haben uns dagegen entschieden, ein Bestechungsgeld zu zahlen – denn das wäre eine Option in Südafrika –, und haben uns auch nicht schuldig bekannt. Wir haben uns entschieden, den Staat zu verklagen, und kämpfen nun seit acht Jahren. Im September 2018 urteilte der Verfassungsgerichtshof, dass die Prohibition des privaten Gebrauchs und Anbaus von Cannabis verfassungswidrig ist, und der Regierung zwei Jahre Zeit gegeben, um das Gesetz zu ändern. Bis jetzt ist nichts geschehen. Dieses Urteil betraf nicht unseren Fall, sondern basiert auf einem anderen Fall aus einer anderen Provinz. Nach den vorliegenden Beweisen zu urteilen war es das bestmögliche Ergebnis. In unserem Fall ist die Beweislage anders, denn bei uns geht es auch um den Handel und Anbau für alle möglichen Anwendungen – religiös, traditionell, kulturell, medizinisch, industriell und natürlich auch rekreativ. Daher ist es eine gute Sache, dass wir dieses Urteil für die private Sphäre haben, aber der Kampf ist noch nicht vorüber. Wir müssen auch mit den Produkten der Pflanze handeln können, damit Cannabis die Wirtschaft positiv beeinflussen kann. Was unseren Fall betrifft, ist dieser nun ruhend; wir warten das neue Gesetz ab. Wenn es nicht alle Punkte enthält, die uns wichtig sind, ziehen wir wieder vor Gericht. Ein großer Teil unserer Arbeit besteht darin, dass wir Leuten helfen, die wegen Cannabis eingesperrt wurden, denn das sind die Leute, die unsere Hilfe am nötigsten brauchen. In den letzten acht Jahren haben wir wirklich einige Horrorstorys rund um Cannabis und südafrikanische Gesetze erlebt.

 

 

MED: Wie hat sich das Urteils des Verfassungsgerichts ausgewirkt?

MC: Der größte Effekt war, dass alle Konsumenten ihre Paranoia ablegen konnten. Ab diesem Zeitpunkt wussten sie: Wenn sie Cannabis im Auto, in ihrer Tasche oder im Rucksack haben, kann ihnen nichts mehr passieren, sie können dafür nicht mehr verhaftet werden. Weiterhin besagt das Urteil, dass sie dich auch bei Verdacht auf Handel nicht einsperren dürfen, sondern vorladen müssen. Sie können keine Pflanzen konfiszieren, sie können das Equipment nicht zerstören, sie können alle diese fürchterlichen Dinge nicht mehr machen, die die Leute so verängstigt haben. Es hat wirklich gute Auswirkungen auf unser Land. Aber es macht uns auch ein wenig erschrocken zu sehen, dass so viele ausländische Firmen ins Land kommen, um sich ihren Teil vom Kuchen zu holen. Das ist vielleicht nicht die beste Entwicklung, aber es ist eine Herausforderung.

MED: Ich habe gelesen, dass Cannabis schon vor dem Gerichtsurteil in Südafrika weit verbreitet war.

MC: Ich habe gehört – wobei ich nicht weiß, ob die Zahlen zuverlässig sind –, dass Südafrika die Nation Nummer drei der größten Cannabisverbraucher ist. Wir haben hier 900.000 Cannabisbauern und 350.000 traditionelle Heiler, die Cannabis anwenden. Von daher ist es wirklich weit verbreitet. Traditionell wird es als Tee zubereitet.

MED: Welchen Stellenwert hat Cannabis in der Medizin? Kann es verschrieben werden?

MC: Nein, es kann nicht verschrieben werden, da diese Gesetze noch nicht geändert wurden. Aber in den letzten Jahren hat die Anzahl der Ärzte, die sich selbst auf diesem Gebiet weiterbilden, stetig zugenommen. Das medizinische Cannabis wird illegal beschafft, manches wird sogar importiert – aber eher für die reichen Leute.

MED: Wer sind diese Untergrund-Versorger?

MC: Es gibt Zehntausende von ihnen. Sie produzieren wirklich hochqualitative Produkte. Es gibt einige Labore, die an die Universitäten im Land angeschlossen sind und wo Cannabisprodukte getestet werden können. Immer mehr Patienten lassen dort ihre Produkte testen, da dies jetzt möglich ist – die Qualität ist also hoch. Wir hoffen, dass diese Produzenten von „Craft Medical Cannabis“ – kleine Cannabisbauern und -verarbeiter – auch in Zukunft so agieren können, wie sie es jetzt tun.

MED: Was ist mit den Horrorstorys, die du vorhin erwähnt hast?

MC: Zum Beispiel wurden wir im März 2018 informiert, dass es eine Verhaftung in der Nähe von Durban gegeben habe, und dass die Beschuldigten ohne Kaution eingesperrt worden seien. Da wir Leuten helfen, die wegen Cannabis verhaftet wurden, haben wir uns den Fall genauer angesehen. Wir haben gleich gemerkt, dass es sich hier um Europäer, genauer: um ungarische Staatsbürger, handelt. Zwei von ihnen waren schon seit 20 Jahren in Südafrika, aber die anderen vier – Verwandte – waren gerade erst aus Ungarn für einen Urlaub in Südafrika angekommen. Es stellte sich also heraus, dass sie hochgenommen wurden, als die Verwandtschaft auf Besuch war. Bei der Verhaftung wurde eine ziemlich große Menge Cannabis gefunden. Seit März versuchen wir nun, sie aus dem Gefängnis zu bekommen, aber leider ist auch ihr gesamtes Geld aufgebraucht und für eine vernünftige Verteidigung braucht man Einiges an Geld. Da wir hier in Wien auch Aktivisten aus Ungarn getroffen haben, ist unser Ansatz jetzt, dass wir die Ungarn darauf aufmerksam machen, dass bei uns in Südafrika sechs Landsmänner ohne Kaution und Verfahren eingesperrt worden sind, vor allem die vier Männer, die nur zu Besuch waren und nicht einmal Englisch sprechen. Die Gefängnisse in Südafrika sind eine Katastrophe.

Der springende Punkt ist, dass Julian und ich mit 1,87 Kilogramm Cannabis erwischt worden sind, was jetzt nicht übermäßig viel ist, aber darauf schließen ließ, dass wir damit auch dealten – deshalb bei uns die Anklage wegen Handels. Wir sind auf Kaution freigelassen worden, auf eine Kaution von 1.000 Rand (ca. 60 Euro), nun seit acht Jahren. Und in Südafrika sind wir alle gleich vor dem Gesetz, und wenn wir auf Kaution frei sein können, warum dann nicht diese Männer aus Ungarn, etwa weil sie keinen südafrikanischen Pass haben? Das ist nicht richtig. Wir sind die Regenbogennation, wir sollten die beste Verfassung der Welt haben. Sie müssen auf Kaution freigelassen werden, damit sie die Anklage anfechten und vor Gericht Beweise einbringen können. Dann ist eine Bestrafung möglich. Aber im Moment werden sie bestraft ohne Urteil und Verhandlung. Das tut mir sehr leid für die Familien.

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