Abschied vom Drogenkrieg?

Die Niederlage des strafrechtlichen Ansatzes

Lateinamerikanische Legalisierungsbemühungen, gemeinsamer Einsatz namhafter Politiker für die Aufhebung des Drogenverbots und das Ganze unter der Leitung eines vorsichtigen russischen Diplomaten – der seine geplanten Fragen im Voraus einzuschicken hat –, ungefähr so stellte Frederik Polak, Mitglied  ENCOD-Regierungsgremiums seine Vorstellungen im Zusammenhang mit der Jahrestagung 2012 der UN-Suchtmittelkommission dar. Auf die drogenpolitische Revolution muss in der UNO leider noch weiterhin gewartet werden.

 

Hundert Jahre nach dem ersten Internationalen Opium-Abkommen – dem zunächst der Hanf und anschließend hunderte und tausende anderer Mittel auf der Verbotsliste folgten – werden nun die Stärken und Schwächen der Verbotsstrategie deutlich. Als ausgesprochen effizient erweist sich das System wenn es darum geht, Milliarden von Dollar auszugeben, den Schwarz-markt anzukurbeln, die Entwicklung ständig neuer Drogen anzuregen, die Umwelt zu zerstören, arme Landwirt und Einmal-Konsumenten zu schikanieren sowie den Einsatz von Cannabis im Gesundheitswesen und in der Verarbeitungsindustrie unmöglich zu machen. Demgegenüber erweist sich die Strategie bei der Erreichung ihrer erklärten Ziele, d.h. zur Unterbindung oder zumindest Verringerung des Drogenkonsums als denk-bar gebrechlich. Aus eben diesem Grunde hoffen die Fachleute dieses Themas von Jahr zu Jahr darauf, dass nun endlich der Augenblick der nüchternen Einsicht und der Selbstkritik gekommen sei, in dem die UNO-Mitgliedsstaaten  gemeinsam beginnen, neue Lösungen im Bereich der Drogenpolitik zu erarbeiten. Es gibt nämlich immer wieder neue Anzeichen, die darauf hinweisen, aber solange die auch von Frederik Polak erwähnte Konsens-Abstimmung bei den Jahrestagungen des Suchtmittelrats ihre Geltung behält, darf man keine Wunder erwar-ten. Dennoch waren auch erfahrene Drogenreformer leicht verblüfft von dem Anblick der sich ihnen vor dem Wiener Gebäude bot, wo ihnen ein Megaplakat entgegenprangte, das in Anspielung auf die Tagung vom Jahre 1998 die Gestaltung einer drogenfreien Welt illustrierte. Falls sich jemand nicht daran erinnern sollte: vor 14 Jahren setzten sich die UNO-Mitgliedstaaten selbst eine Frist von 10 Jahren, um die Utopie einer drogenfreien Welt umzusetzen. 2008 wurden dann leicht beschämt die Statistiken hervorgeholt, aus denen sämtlichen Bemühungen zum Trotz ein Anstieg in der Herstellung und der Verbreitung des Konsums von Rauschgift hervorging und bzw. bestenfalls ein Stagnieren abgeleitet werden konnte. Die Mehrheit ging hiernach davon aus, dass nun die Zeit der Selbstprüfung und der Suche nach lebensfähigen Alternativen anbrechen würde, aber als sie zur diesjährigen Jahressitzung eintrafen, mussten sie ernüchtert feststellen, dass diejenigen, die an der Spitze der Hierarchie sitzen, noch immer einem unerfüllbaren Traum nachjagen, für den die Menschheit allerdings ohnehin schon einen viel zu hohen Preis bezahlt hat. In seiner Eröffnungs-rede zur Konferenz gelang es Jurij Fedotov, dem Leiter des Büros der Vereinten Nationen für Drogen und Verbrechensbekämpfung (UNODC), die Gemüter ein wenig zu beschwichtigen.

Fernab jeder Erfolgstrunkenheit ernüchternde Statistiken

In Erinnerung an das bereits erwähnte 100 jährige Abkommen gestand Fedotov ein, dass man nur beschränkt von Erfolg reden könne und darüber hinaus, dass der Opiumanbau auch in jüngster Vergangenheit noch zugenommen habe, was der organisier-ten kriminellen Szene riesige Gewinne einbrächte. Enttäuscht berichtete er auch, dass die nationalen drogenpolitischen Strategien das Phänomen als strafrechtliches Problem behandelten und nicht als Frage des Gesundheitswesens. Auch Gil Kerlikowske, der Drogenzar der USA, schloss sich dieser Meinung an und gestand ein, dass sein Land für die globale Verbreitung des strafrechtlichen Ansatzes verantwortlich sei. Er bezeichnete es allerdings als Fortschritt, dass die Obama-Regierung die Drogenkrieg-Rhetorik bewusst vermeide. Doch vergaß er zu erwähnen, dass in den letzten Jahren des Obama-Regimes die Razzien gegen die Zentren für Medizinalmarihuana wieder zugenommen haben und dass das US-weite Verbot der Nadelaustausch-programme ebenfalls wiedereingeführt wurde. Der Drogenzar bedachte zwar die Legalisierungsvorstellungen der lateinamerikanischen Präsidenten mit heftiger Kritik – man solle nur einmal versuchen, eine einzige Woche in einer der unzähligen von Kartell-kämpfen gebeutelten Städte zu verbringen -, aber den Berichten der HCLU zufolge soll die USA mittlerweile doch erste Schritte unternehmen, sich aus der kostspieligen und unpopulären Rolle der Welt-Drogenaufsicht   zurückzuziehen. Größte Chancen auf die Nachfolge auf dem früher oder später unbesetzten Posten hat der Spitzenreiter im Kampf für eine drogenfreie Welt, der gleichzeitig auch an allererster Stelle im Heroinkonsum des Landes, in der Drogenüberdosierung und in der HIV-Infiziertheit steht: Russland.

 

Freier Anbauer im Hause des Präsidenten

Frische Farbe in die Konferenz brachten mal wieder die Drogenreformer und Aktivisten. Der bolivianischen Präsident Evo Morales, der früher einmal selbst Koka-Bauer war, hatte bereits vor drei Jahren Kokablätter kauend versucht nachzuweisen, dass diese Pflanze absolut nicht auf die Verbotsliste gehört. Diesmal verlieh er seinen Worten mit verschiedenen Kokaprodukten Nachdruck (Kokatee und Kokaerfrischungsgetränk), während er betonte, dass die Kultur des Konsums von Kokablättern seit Jahrtausenden mit der Bolivianischen Tradition verwoben sei, und das man wegen irgendwelchen Abkommen über eine drogenfreie Welt nicht bereit wäre, diese Tradition aufzugeben. Sollte im Gegenzug Bolivien daraufhin von UNO Abkommen ausgeschlossen werden, sähe man auch dieser Tatsache ins Auge. Die ENCOD-Mitglieder, die für den freien Anbau plädierten, bereiteten den Anwesenden ebenfalls ein paar unbehagliche Minuten. Einer von ihnen, Farid Ghehioueche, fragte Fedotov auf der Pressekonferenz, warum es nötig sei, den Drogenkrieg fortzuführen, auch wenn sonnenklar sei, dass das Verbot zu Infektionen, Gewalt und der Zunahme von Rechtsverstößen beitrüge, während die organisierte Kriminalität mächtiger sei als je zuvor. Er fügte hinzu, dass in weiten Teilen der Welt Schmerzmittel Mangelware seien, und die medizinische Anwendung von Marihuana hier eine angemessene Alternative darstellen würde. Fedotov versuchte gar nicht erst, auf diese geballten Argumente im Rahmen einer Diskussion einzugehen sondern antwortete lediglich knapp: „Das war eher ein Glaubensbekenntnis eines Aktivisten als eine Journalistenfrage.“ Und als ein anderer Zuhörer die Frage aufwarf, ob die USA-Staaten, die die Anwendung von medizinischem Marihuana zuließen, gegen das entsprechende UNO-Abkommen verstoßen würden, antwortete Fedotov mit einem entschiedenen „Ja“ und fragte zurück, ob außer  Aktivisten wohl auch Journalis-ten zur Pressekonferenz gekommen seien. Da die Drogenreformer eine gewisse Angst verbreitet hatten und man sich gegen echte Antworten abgeschottet hatte, dauerte die Veranstaltung, die als einstündig geplant war, letztendlich nur eine halbe Stunde.

Boaz Wachtel, über dessen Interview Sie auf den folgenden Seiten lesen können, erhielt ebenfalls die  Möglichkeit, dem russischen Leiter der UNODC eine Frage zu stellen. Wachtel nahm Bezug auf eine Studie der internationalen Organisation aus dem Jahre 2011, in welcher darauf hingewiesen wurde, dass einige reiche Länder einen Großteil der opiumhaltigen Schmerzmittel konsumieren, während Jahr für Jahr an die 50 Millionen Bedürftige ihre Schmerzen nicht angemessen behandeln lassen können. In diesem Zusammenhang sprach er auch an, dass das medizinische Cannabis eine gute Alternative für die schmerzhaften Begleiterscheinungen von Tumorerkrankungen und anderen Krankheiten böte. Der Vorsitzende antwortete darauf, dass die UNO-Abkommen den Einsatz von Cannabis in der Medizin ermöglichten, allerdings müsse man das Gleichgewicht zwischen den einzelnen Therapieformen aufrecht erhalten. Damit Patienten in Ländern, in den herkömmliche Schmerzmittel Mangelware seien, Zugriff auf medizinisches Cannabis erhielten, ist es jedoch nach Meinung Wachtels unabdingbar, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nicht nur den Heilwert der Cannabinoiden, sondern auch der Cannabispflanzen anerkenne. Damit dieser Prozess anliefe, müssten mehrere UNO-Mitgliedstaaten die WHO dazu auffordern, diese Frage eingehend zu untersuchen. Mit einer erfolgreichen Untersuchung an der Hand könne dann die WHO die CND bitten, Rahmenbedingungen eines Programmes zur Einführung von me-dizinischem Marihuana auszuarbeiten, was übrigens in mehreren Ländern derzeit bereits angewendet würde.

Derartige Gedankenanstöße – unabhängig davon, ob sie nun von der ENCOD oder von irgendeiner anderen Organisation stammen, die sich beispielsweise mit Krankenrechten beschäftigt – sind nicht nur wichtig und nützlich, sondern auch notwendig, auch wenn die Delegierten der Nationen bei dieser Sitzung noch keine Fortschritte damit erzielen konnten – aber immerhin mussten sie auch keine Rückschritte verzeichnen. Äußerst begrüßenswert wäre natürlich, wenn die Teilnehmer der nächsten CND-Konferenz von einem Plakat erwartet würden, dass die Einführung des medizinischen Marihuanas in seinen Details darstellen würde.

Tomas Kardos

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